15.12.1995

Der Frieden – eine Zeitbombe?

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Der Frieden – eine Zeitbombe?

Am 20. Januar 1996 sollen die Wahlen zum Palästinensischen Rat stattfinden, und die Bewohner des Westjordanlandes und des Gazastreifens tragen sich derzeit in großer Zahl in die Wählerlisten ein. Mit ihrer Beteiligung an diesen Wahlen wollen sie den Anspruch auf einen unabhängigen Staat und auf Rückgabe der seit dem Juni 1967 von Israel besetzten Gebiete bekräftigen. Denn die beiden Abkommen von Oslo bieten in dieser Hinsicht durchaus keine Garantien. Politisch wie territorial sind der palästinensishen Atonomie enge Grenzen gesetzt – es besteht die Gefahr, daß sie nur ein Köder ist. In Israel selbst hatte der geplante Rückzug der Armee aus einer Reihe palästinensischer Dörfer bereits zu einem Aufstand der extremen Rechten geführt (siehe den Beitrag von Joseph Algazy auf Seite 11). Am heftigsten ist der Widerstand in den jüdischen Siedlungen; doch der Schock der Ermordung von Premierminister Jitzhak Rabin am 4. November hat die Rechte geschwächt und den Befürwortern einer Fortsetzung der Verhanlungen mit assir Arafat Auftrieb gegeben. Aber auch die neue Regierung folgt den alten politischen Grundsätzen: Ein Rückzug auf die Grenzen vom Juni 1967 kommt für sie nicht in Frage, und nach wie vor ist die Regierung entschlossen, zumindest einen Teil des Westjordanlandes zu annektieren.  ■ Von ALAIN GRESH

„Ich bin bereit zu töten.“

„Wen?“ will der Journalist wissen.

„Man wird mir sagen, wen ich töten soll.“

„Araber?“

„Vielleicht einen Terroristen, oder einfach nur einen Araber, das ist mir egal.“

„Und wenn Sie den Auftrag bekommen, einen Juden zu töten, werden Sie das auch tun?“

„Also wenn es ein Jude ist, der kein Jude ist – dann ja. Sie wissen schon, wen ich meine.“

Die Litanei des Hasses wurde am 9. November 1995 im Ersten Programm des israelischen Fernsehens öffentlich heruntergebetet – von einem Mitglied der Gruppe Ejal, zu der auch Jigal Amir, der Mörder des israelischen Premiers Jitzhak Rabin gehörte. Etwa zur gleichen Zeit empörte sich der israelische Umweltminister Jossi Sarid: „Wenn die Regierung die jüdischen Terroristen weiterhin mit Samthandschuhen anfaßt, wird sie unterliegen, und mit ihr die Demokratie.“1 Aber der nachsichtige Umgang der Regierenden mit diesen Terroristen hat eine lange Tradition, die schon 1967 gestiftet wurde, als die Armee das Westjordanland und den Gazastreifen besetzte. Damals verfolgte die regierende Arbeiterpartei die gleichen Ziele wie die jüdischen „Eiferer Gottes“: „Israel muß für alle Zeit im Westjordanland bleiben (...)“, erklärte der damalige Verteidigungsminister Mosche Dajan im Mai 1973. „Wenn man den Wunsch, sich im ganzen Westjordanland zu Hause zu fühlen, als expansionistische Bestrebung ansehen will – bitte, dann bin ich eben ein Expansionist.“2

Fortsetzung auf Seite 12

DIE GRENZEN DER PALÄSTINENSISCHEN AUTONOMIE

Der Frieden im Nahen Osten – eine Zeitbombe ?

Fortsetzung von Seite 1

Es war der Arbeitspartei-Premier Jigal Allon, der 1968 gegen den Widerstand einiger Regierungsmitglieder den ersten jüdischen Siedlern in Hebron erlaubte, sich im Herzen dieser arabischen Stadt niederzulassen. Und er sorgte persönlich dafür, daß ihr Anführer, der Rabbiner Mosche Levinger, mit drei Uzi-Maschinenpistolen ausgestattet wurde.3 1983, nach der Ermordung von drei Schülern der islamischen Oberschule in Hebron, durfte dieser Rabbiner ungestraft erklären: „Wer immer es getan hat, er tat es zum Ruhme Gottes.“ Gedeckt durch die Regierung konnten die jüdischen Extremisten Kirjat Arba gründen, die Siedlung, in der Baruch Goldstein lebte, der am 25. Februar 1994 neunundzwanzig Palästinenser während einer Gebetsversammlung kaltblütig erschossen hat. Sein Grab ist inzwischen zur Pilgerstätte für jüdische Fanatiker geworden. Als 1993 das Abkommen mit der PLO geschlossen wurde, regte sich bei einer Minderheit der Siedler heftiger Widerstand. Vor allem die religiösen Siedlungsbewegungen waren nicht bereit, auch nur einen Fußbreit Bodens aufzugeben. Monatelang schmähten sie den „Verräter Rabin“ und stellten ihn sogar in Nazi-Uniform dar. In ihren Augen fand ein Ausverkauf des Gelobten Landes der Juden statt. Aber sind ihre Befürchtungen überhaupt berechtigt? Die regierende Arbeitspartei war auch nach dem Massaker von Hebron keineswegs bereit, die vierhundert jüdischen Fanatiker zu evakuieren, die sich im Stadtkern festgesetzt haben, obwohl ihre Anwesenheit seither zu dauernden Spannungen in der von 130000 Palästinensern bewohnten Stadt geführt hat.

Intensiver Wohnungsbau

DIE Siedlungspolitik wurde auf breiter Front fortgesetzt – in offenem Widerspruch zu Geist und Buchstaben des Abkommens, das am 13. September 1993 in Oslo unterzeichnet wurde. Nach Angaben der israelischen „Peace Now“-Bewegung hat der Wohnungsbau in den jüdischen Siedlungen des Westjordanlandes 1995 einen neuen Höchststand erreicht: 6000 Wohnungen wurden fertig, wozu man noch Tausende von neuen Wohnungen rund um Jerusalem hinzurechnen muß. Ein Sprecher der Friedensbewegung formulierte es so: „Es gibt praktisch keinen Unterschied zwischen der gegenwärtigen Strategie und den früheren Maßnahmen der Likud-Regierung.“4 „Peace Now“ zeigte sich überrascht, daß dies sogar für die kleinen, abgelegenen Siedlungen in der judäischen Wüste und nahe der Stadt Jenin gilt, aus der erst vor einem Monat die israelischen Truppen abgezogen sind.

Für diese Politik erhielt die Arbeitspartei-Regierung Beifall von unerwarteter Seite. General Ariel Scharon, einer der Führer des Likud und hauptverantwortlich für die Libanon-Invasion von 1982, erklärte am 14. Juli in einem Interview mit der Tageszeitung Davar, das gegenwärtige Vorgehen in „Judäa und Samaria“ (dem Westjordanland) entspreche genau jenem Plan, den er seit 1974 verfolge: „Im Ausland sind manche Leute der Meinung, daß Rabin den Palästinensern große Zugeständnisse gemacht hat. Das ist überhaupt nicht der Fall. Rabin packt die ganze Sache sehr geschickt an.“5 Ähnlich äußerte sich auch Polizeiminister Mosche Schahal, Mitglied der Arbeitspartei, nachdem am 28. September in Washington ein weiteres israelisch-palästinensisches Abkommen (auch „Oslo II“ genannt) unterzeichnet worden war: „Arafat mußte im Weißen Haus einen Vertrag unterzeichnen, der de facto und de jure die Anerkennung des gesamten Netzes jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten bedeutet (...). Oslo I hatte den Palästinensern für die Übergangszeit alles außer den Siedlungen zugesprochen, aber Oslo II kehrt diese Vereinbarung um und beläßt alles außer den palästinensischen Städten in der Verfügung Israels.“6

Ein Blick in den Vertrag zeigt, wie richtig diese Behauptung ist (zu den wichtigsten Punkten des Vertrages siehe nebenstehend: „Ein Vertrag zwischen ungleichen Partnern“, sowie den Artikel unten auf dieser Seite von Jan de Jong). In der Zeit bis zu den palästinensischen Wahlen, die für den 20. Januar 1996 angesetzt sind, werden zusätzlich zu Jericho insgesamt sechs Städte unter palästinensische Gebietshoheit kommen, dazu noch ein Teil von Hebron – das entspricht drei Prozent des Territoriums und zwanzig Prozent der Bevölkerung. In 450 Dörfern (siebenundzwanzig Prozent des Territoriums und siebzig Prozent der Bevölkerung) werden die Palästinenser nur die Kommunalverwaltung stellen, für die Sicherheit bleibt die israelische Armee zuständig, die damit – im Namen der Terrorismusbekämpfung – jederzeit eingreifen kann.

Solange Israel nicht nur ganz Jerusalem beansprucht, sondern auch den entscheidenden Einfluß auf rund siebzig Prozent des Territoriums des Westjordanlands behält, bleiben die palästinensischen Gebiete kleine Inseln, die von Siedlungen und Soldaten der Israelis umgeben und deshalb im Bedarfsfall jederzeit abzuriegeln sind. Zudem treibt die israelische Regierung den Ausbau von Umgehungsstraßen voran. Für rund hundert Millionen Dollar soll (auf neu beschlagnahmtem arabischen Land) ein Straßennetz entstehen, so daß sich die Siedler im Westjordanland bewegen können, ohne auf Palästinenser zu treffen. In Südafrika nannte man eine solche Politik Apartheid... Kann man angesichts solcher Infrastrukturmaßnahmen noch darauf setzen, daß Israel die Kolonien in einigen Jahren aufgeben wird? Schließlich ist die Regierung in Tel Aviv, mit oder ohne Jitzhak Rabin, noch immer entschlossen, Jerusalem und große Teile des Westjordanlands zu annektieren. Unter diesem Aspekt ist der Großteil der Siedler in ihrem politischen Spiel nicht etwa ein Handicap, sondern ein ausgesprochener Trumpf.

Als Jitzhak Rabin das frisch unterzeichnete Abkommen vom 28. September 1995 im Parlament verteidigte, sprach er die langfristigen Ziele seines Landes ganz deutlich aus: Jerusalem, an das die Siedlungen Maale Adumim und Givat Ze'ev angegliedert werden sollen, wird annektiert – das macht bereits etwa fünfzehn Prozent des Westjordanlands aus; Israel übernimmt die Sicherung der Grenze zu Jordanien; auch Gusch Etzion und eine Reihe weiterer Siedlungen werden annektiert.

„Wir glauben“, erklärte der Premierminister damals, „daß das jüdische Volk das Recht dazu hat“ – ein Anrecht auf Groß- Israel also, auf das man nur deshalb verzichtet, weil in einem binationalen Staat fast drei Millionen Palästinenser (einschließlich der israelischen Araber) leben würden und diese für sich die gleichen Rechte wie die Juden fordern könnten. Der jetzige Plan sieht vor, daß siebzig Prozent der Siedler im Westjordanland (Jerusalem ausgenommen) unter israelischer Souveränität bleiben.7 Offenbar hält die Regierung den rechten Augenblick für gekommen, die Palästinenser zur Anerkennung der israelischen Oberherrschaft zu zwingen. Dabei wird sie von der amerikanischen Regierung unter Bill Clinton unterstützt wie selten zuvor, während die internationale Gemeinschaft damit zufrieden ist, sich am Klang des Wortes „Frieden“ zu berauschen.

Obwohl den Palästinensern diese Situation sehr wohl bewußt ist, konnte Jassir Arafat während der vergangenen Monate seine Position im Westjordanland und im Gazastreifen weiter festigen. Nach Umfragen des Forschungsinstituts von Nablus wird das Oslo-II-Abkommen von zweiundsiebzig Prozent der Palästinenser akzeptiert. Die Wahlen zum Palästinensischen Rat, die am 20. Januar 1996 stattfinden sollen, finden noch größere Zustimmung: Obwohl vierzig Prozent der Befragten davon ausgehen, daß die palästinensischen Machthaber die Abstimmung zum Anlaß nehmen werden, die Opposition zu zerschlagen, wollen sich einundachtzig Prozent der Einwohner in die Wählerlisten eintragen. Arafat genießt nach wie vor große Popularität; achtundfünfzig Prozent der Befragten haben eine gute Meinung von ihm.8

Der Kreis um Arafat zeigte sich durch die Ermordung Rabins einigermaßen aufgeschreckt. Zum ersten Mal seit der Unterzeichnung des Oslo-I-Abkommens von 1993 trat am 12. November 1995 in Kairo die Mehrheit (zwölf von achtzehn) der Mitglieder des Exekutivrates der PLO zu einer Sitzung zusammen.

Arafat hatte sich seit seiner Ankunft in Gaza bemüht, stabile Machtstrukturen zu schaffen, und darum seine Minister zum Teil aus der PLO-Bürokratie in Tunis und zum Teil aus der traditionellen Oberschicht und den einflußreichen Familien in Gaza und im Westjordanland rekrutiert. Sozialen Rückhalt und finanzielle Unterstützung findet er bei der Schicht der Großgrundbesitzer, die in der Geschichte Palästinas schon immer eine entscheidende Rolle gespielt hat.9

Was die Kämpfer der Intifada anbetrifft, so wurden sie größtenteils – dank der internationalen Hilfsgelder – in den Verwaltungsapparat eingegliedert, insbesondere in die diversen Nachrichtendienste und Sicherheitskräfte (die insgesamt 20000 Menschen umfassen), die wie weitere 20- bis 30000 Verwaltungsangestellte eine vollkommen abhängige Klientel darstellen.

Seinen Erfolg verdankt Arafat aber in erster Linie der Schwäche seiner Gegner. Der Einfluß der oppositionellen Nationalisten und der palästinensischen Linken – also vor allem der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und der Demokratischen Front zu Befreiung Palästinas (DFLP) – ist gering; sie sitzen in Damaskus und haben den Kontakt mit der Wirklichkeit in Gaza und im Westjordanland verloren. Während sie sich darauf konzentrierten, den „Verräter Arafat“ anzuklagen, ist ihnen entgangen, daß am 13. September 1993 die Karten neu gemischt wurden und daß die politische Realität des Landes von einer Reihe neuer Faktoren geprägt wird. Das Abkommen, das von den USA getragen und von der EU und der Mehrheit der Arabischen Staaten unterstützt wird, hat – in Ermangelung besserer Lösungen – auch die Zustimmung der „Inlands-Palästinenser“ gefunden. Nach den Jahren der Intifada herrscht Erschöpfung, man ist froh, daß die israelische Armee wenigstens aus einigen Städten abgezogen ist, und will logischerweise nicht, daß sie zurückkehrt.

„Ein Zelt im eigenen Hinterhof“

DIE islamische Hamas verfügt in den besetzten Gebieten zwar über eine eigene Machtbasis, aber es ist ihr nicht gelungen, die Verhandlungen durch eine Strategie des Terrors zum Scheitern zu bringen. Weil die Bevölkerung nach jedem Anschlag der Islamisten die Auswirkung der israelischen Grenzschließungen zu spüren bekam, hat sie sich von den Islamisten abgewendet und das harte Vorgehen der palästinensischen Autonomiebehörde gegen Hamas begrüßt.

Die internationale Gemeinschaft hat übrigens geflissentlich übersehen (und tut es noch), wie häufig in Gaza die Prinzipien der Demokratie im Namen des Kampfes gegen den Islamismus verletzt werden: Willkürliche Verhaftungen, Folter und Mißhandlungen, Sondergerichte und Ausnahmegesetze sind an der Tagesordnung. Rascher als die nationalistische Opposition hat Hamas jedoch begriffen, daß das Abkommen von Oslo inzwischen eine Realität ist, an der man nicht mehr vorbeikommt: Auf Drängen ihres gemäßigten Flügels10 sind die Islamisten in Verhandlungen mit Arafat eingetreten. Einer ihrer Führer, Scheich Jamal Salim, hat in einem Interview mit dem palästinensischen Radiosender erklärt, daß „die Aussöhnung der Palästinenser untereinander absoluten Vorrang haben muß“11. Der Journalist fuhr erklärend fort: „Stellen Sie sich vor, man hat Sie aus Ihrem Haus vertrieben. Da ist jemand gekommen, der stärker war als Sie, und hat Sie auf die Straße gesetzt, samt Frau und Kindern. Und nun bietet man Ihnen an, daß Sie in Ihrem eigenen Hinterhof ein Zelt aufschlagen dürfen. Was ist besser? Auf der Straße zu sitzen oder im Zelt im eigenen Hof?“ – „Es gibt keine einfache Lösung“, antwortete der Scheich, aber „manchmal muß ein Mann kurzfristig gewisse Zugeständnisse machen, um auf lange Sicht seinen Vorteil zu wahren.“

Bei den Verhandlungen zwischen Hamas und der palästinensischen Autonomiebehörde geht es um zweierlei: um die Einstellung aller militärischen Operationen gegen Ziele in Israel aus den Autonomiegebieten heraus; und um die Beteiligung der islamistischen Organisation an den Wahlen zum Palästinensischen Rat am 20. Januar 1996.

Vertreter beider Seiten sind bereits mehrfach zusammengetroffen, zunächst in Khartum, dann in Kairo; Mitte November 1995 erklärte ein Sprecher der islamistischen Organisation in Gaza, Dr. Mahmud az-Zahar, die Verhandlungen kämen voran. Die palästinensische Autonomiebehörde werde demnächst die letzten noch inhaftierten Aktivisten seiner Organisation aus dem Gefängnis entlassen, und Hamas habe die Absicht, in Kürze eine politische Partei nach dem Vorbild der jordanischen Islamischen Aktionsfront zu gründen, die dann an den Wahlen teilnehmen könne.12 Ein solcher Kurswechsel könnte, vor allem wenn er mit einer Absage an Gewalt verbunden wäre, allerdings leicht zu einer Spaltung innerhalb von Hamas führen.

In Israel hat die Ermordung Jitzhak Rabins den Befürwortern weiterer Verhandlungen mit der PLO klar und eindeutig den Rücken gestärkt. Auf palästinensischer Seite hat Jassir Arafat mittlerweile die Zügel fest in der Hand, und vielleicht gelingt es ihm sogar, die Islamisten zu reumütiger Umkehr zu bewegen. Entscheidend wird also weniger die Umsetzung des Abkommens von Oslo sein als vielmehr die Frage, ob es den Weg zu einem dauerhaften Frieden eröffnet oder nur das Ticken der Zeitbombe verlängern wird. Spätestens im Mai 1996 werden Palästinenser und Israelis in die entscheidende Runde der Verhandlungen eintreten; hier wird es dann um jene besonders heiklen Probleme gehen, die bislang ausgespart geblieben sind: um den Status von Jerusalem, um die Zukunft der Siedlungen, um die Wasserrechte, um Fragen der inneren Sicherheit, um die Grenzen, und vor allem um das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge.

Bereits das erste Abkommen von Oslo sah Gespräche über die Zukunft der 200000 bis 300000 Displaced persons vor, die heute überwiegend in Jordanien leben – jener Palästinenser also, die 1967 aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland vertrieben worden waren. Nach fast zwei Jahren Geheimverhandlungen sind nicht einmal Ansätze zur Lösung dieses Problems erkennbar. Was aber soll dann erst mit den drei Millionen Flüchtlingen aus dem Krieg von 1947-1948 geschehen? Ihr Recht auf Rückkehr oder Entschädigung wurde schließlich von der Internationalen Gemeinschaft anerkannt, auch wenn man sich daran nicht mehr gern erinnert. Diese „Verdammten dieser Erde“ bleiben ein erheblicher Faktor der Instabilität, vor allem in Jordanien. Solange sie weiter in den Flüchtlingslagern leben, sind künftige Konflikte jetzt schon abzusehen.

In seinen Erinnerungen beschreibt Jitzhak Rabin, wie die frisch formierte israelische Armee im Juli 1948 die palästinensischen Ortschaften Lidda (Lod) und Ramleh einnahm: „Wir traten neben Ben Gurion ins Freie. Allon wiederholte seine Frage: ,Was sollen wir mit der Bevölkerung machen?' Ben Gurion machte eine Handbewegung, die besagte: Verjagt sie! Allon und ich berieten uns, und ich stimmte ihm zu, daß sie unbedingt vertrieben werden mußten. Also ließen wir sie abmarschieren, auf der Straße nach Bet Horon (...). Die Bewohner wollten sich nicht dazu bewegen lassen, uns blieb nichts übrig, als Gewalt anzuwenden und Warnschüsse abzufeuern.“ Auf diese Weise sind 70000 Palästinenser aus ihren Wohnorten vertrieben worden.13 Ist diese Geschichte heute, fünfzig Jahre danach, so weit in Vergessenheit geraten, daß man diese Menschen zum zweiten Mal vertreiben kann?

dt. Edgar Peinelt

1 Diese Äußerung wurde am 8. November 1995 über den israelischen Armeesender verbreitet, am 10. November brachte sie die Londoner BBC in ihrem „Summary of World Broadcasts“ (im folgenden SWB genannt).

2 Zit. n. Amnon Kapeliuk, „Hébron, un massacre annoncé“, Paris (Arléa-Seuil), 1994, S. 111.

3 Siehe Robert L. Friedman, „Zealots for Zion. Inside Israel's West Bank Settlement Movement“, New York (Random House), 1992.

4 Interview im israelischen Rundfunk am 12. Oktober 1995; am 13. Oktober im SWB ausgestrahlt.

5 Zitiert in Tanya Reinhart, „The Israel Government's Settlements Policies were created by Sharon“, Yedioth Aharonot vom 19. Juli 1995, zit. n. From the Hebrew Press, Woodbridge (USA), September 1995.

6 Davar vom 29. September 1995, zit. n. News from Within, Jerusalem, Oktober 1995.

7 Ähnliche Pläne wurden vom Institut für strategische Studien in Jaffa und von General Ariel Scharon ausgearbeitet (siehe die Karte in Le Monde diplomatique, Februar 1995), ebenso von der Bewegung „Der Dritte Weg“ (siehe den nebenstehenden Artikel von Jan de Jong sowie die Karte auf dieser Seite).

8 Zitiert nach Angaben des Radiosenders „Stimme Palästinas“ (Jericho), Sendung vom 22. Oktober 1995 (wiederholt in SWB, 24. Oktober 1995).

9 Siehe dazu Graham Usher, „Palestine in Crisis. The Struggle for Peace and Political Independence“, London (Pluto Press), 1995, S. 73, und vom selben Autor: „Arafat on the Top“, Middle East International, London, 31. März 1995.

10 Siehe Wendy Kristiansen Levitt, „Palästinenser zwischen den Gräben“, Le Monde diplomatique (dt.), Juni 1995.

11 Interview mit der „Stimme Palästinas“, Jericho, 7. Oktober 1995, wiedergegeben in SWB am 16. November 1995.

12 Interview mit der ägyptischen Presseagentur MENA am 15. November 1995; wiedergegeben in SWB, am 16. November 1995.

13 Zit. n. Alain Gresh, Dominique Vidal, „Palestine 47. Un partage avorté“, Brüssel (Complexe), 1994, S. 206. Aus der Endfassung von Rabins Memoiren wurde diese Passage herauszensiert, publiziert wurde sie nachträglich in der New York Times vom 23. Oktober 1979.

Le Monde diplomatique vom 15.12.1995, von Alain Gresh