15.12.1995

Papua-Neuguinea sucht eine gemeinsame Zukunft

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Papua-Neuguinea sucht eine gemeinsame Zukunft

SEIT Papua-Neuguinea 1975 die Unabhängigkeit erlangte, setzten die führenden Politiker des Landes vor allem auf die Ausbeutung der Bodenschätze, die man ausländischen Firmen überließ, ohne sich groß um soziale Gegebenheiten oder den Schutz der Natur zu kümmern. Eine solch kurzsichtige Politik, die dazu beitrug, den nationalen Zusammenhalt auszuhöhlen, löste heftigen Widerstand aus und ließ auf Bougainville eine separatistische Guerillabewegung entstehen. Die Elite des Landes plaziert ihr Vermögen jedoch nach wie vor im nahen Australien, bei den ehemaligen Kolonialherren.

Von unserem Sonderkorrespondenten JEAN-PIERRE CLERC *

„Hätte sich einst eine gute Fee über die Wiege von Papua-Neuguinea gebeugt, sie hätte kaum etwas Besseres zustande gebracht als die Natur selbst.“ Jean-Philippe Audubert, „Chef“ von Indosuez in Port Moresby, der Hauptstadt von „PNG“, gerät ins Schwärmen: „An drei Seiten fischreiche Küsten, eine Erde von erstaunlicher Fruchtbarkeit, wenn auch das Inselinnere schwer zugänglich ist, üppige Wälder, wo Kaffee und Kakao gedeihen. Beträchtliche Vorkommen an Kupfer und Gold. Vielversprechende Reserven an Erdöl und Erdgas. Und das alles bei nur vier Millionen Einwohnern.“ Dennoch gelingt es dem Land kaum, sich von der im Sommer 1994 ausgebrochenen Krise zu erholen: Ein immenses Haushaltsdefizit hätte das Land fast ruiniert. Warum?

Ein klassischer Fall: Eine Ausgangssituation, in der es ein Nebeneinander von offensichtlichen Schwachstellen und Stärken gibt, rutscht einseitig ins Negative ab. Als Australien, Schutzmacht seit Beginn des Jahrhunderts, dem Land am 16. September 1975 die Unabhängigkeit gewährte, hinterließ es ihm ein Parlament, das die auseinanderstrebenden Kräfte des „Landes der 800 Stämme“ zusammenführen und ein gutes Rechtssystem und eine solide öffentliche Verwaltung errichten sollte. Die überlassene Infrastruktur hingegen war nur mittelmäßig: Es gab weder eine Nord-Süd-Verbindung noch eine Küstenstraße. Lediglich zwischen dem Osten und dem Westen gab es eine Straßenverbindung über das gebirgige Inselinnere hinweg. Die Hauptstadt ist an keine andere Stadt angebunden, der größte Teil des Landes mit der Außenwelt – abgesehen von einem passablen Telekommunikationssystem – nur durch das Flugzeug verbunden.

Doch die führenden Politiker des unabhängigen Papua-Neuguinea ließen dieser dürftigen Basis keine weitere Entwicklung folgen. Ihr wichtigster Beitrag bestand in der Erteilung von Zulassungen für neue Minen: zuerst Ok Tedi im einsamen Westen mit Kupfer- und Goldvorkommen, dann Missima auf einer der Louisiade-Inseln im Osten und Porgera in den Highlands, wo Gold gefördert wird.

Diese Minen sind freilich nur Enklaven von wenigen tausend Arbeitsplätzen inmitten einer verarmten Bevölkerung, die von den Gesellschaften unablässig „Entschädigungen“ fordert und im äußersten Fall auch rebelliert. Anstatt daß die Gewinne aus dem Bergbau dazu verwandt worden wären, jenseits des landwirtschaftlichen Sektors neue Industrieansiedlungen zu befördern, dienten sie in erster Linie dazu, die Bürokratie aufzublähen und Kredite nach dem Gießkannenprinzip über die einzelnen Regionen zu verteilen.

Nach der Krise von 1994 mußte vordringlich das Vertrauen der ausländischen Investoren wiedergewonnen werden. Deshalb hat Finanzminister Chris Haiveta zunächst eine Reihe von Reformen in die Wege geleitet. Dazu zählten die Abwertung, dann das freie Floaten der Kina (einer bis dahin sehr stabilen Währung) sowie Sparmaßnahmen im Beamtenbereich. Schließlich faßte die Regierung von Sir Julius Chan den revolutionären Beschluß –, eine neue Mine zu eröffnen: den „Goldhaufen“ von Lihir im Neuirland-Archipel. Für dieses Unternehmen werden in Australien und in den USA derzeit Aktien für 700 Millionen Dollar emissiert.

Als Ausweg aus der mißlichen Lage setzt das Land auf zwei allerneueste „Booms“: auf die Abholzung der Wälder, die – übrigens unter der Regie malaysischer Gesellschaften – bereits exzessiv und mit unzureichenden Kontrollen betrieben wird; und auf einen intensiven Fischfang, bei dem sich vor allem Gesellschaften aus Taiwan, Korea und Japan engagieren. Diese Aktivitäten sind jedoch bereits wegen des damit verbundenen Raubbaus national und international in die Kritik geraten.

Im vergangenen Herbst brachten die Zeitungen Papua-Neuguineas eine Nachricht groß auf den Titelseiten: Der oberste Gerichtshof des Staates Victoria (Melbourne, Australien) hatte über eine Klage wegen schwerer Umweltschädigung entschieden, die 30000 Bewohner der Region Fly River gegen die BHP als Hauptaktionär und Betreiber der großen Mine von Ok Tedi angestrengt hatten. „Dies ist ein typisches Beispiel für neokolonialistische Arroganz“, erklärt uns ein alter australischer Auswanderer, der seinen Namen lieber nicht nennen will. „Da hält sich ein Gericht der ehemaligen Schutzmacht für zuständig, in einer Angelegenheit zu entscheiden, die eindeutig die Souveränität des unabhängig gewordenen Landes betrifft; offensichtlich hält man also dessen Behörden nicht für fähig, ein gerechtes Urteil zu fällen, weshalb man einfach die Rechtsprechung selbst vornimmt.“

Tatsächlich ist Canberra in Papua-Neuguinea in mehrerer Hinsicht so präsent geblieben, als habe es eine Entkolonisierung nur dem Namen nach gegeben. So sind viele der 12000 australischen Auswanderer in der Funktion von „Beratern“ im Lande geblieben. „Die Hälfte der Richter am obersten Gerichtshof sind Australier“, erklärt Dominic Kakas, Journalist beim renommierten Saturday Independent, als Beispiel. Und auch die 300 Millionen Dollar, die Papua-Neuguinea jährlich von Canberra bezieht (etwa 20 Prozent des Staatshaushalts), werden „bei weitem durch die Erträge ausgeglichen, die das frühere Metropolenland hier mit seinen Investitionen erzielt“, kommentiert ein europäischer Geschäftsmann. Der Großteil der Gesellschaften ist nach wie vor in australischer Hand. So kommt es, daß die Stadt Cairns im Nordosten Australiens längst zum „Stützpunkt“ der Elite Papua- Neuguineas geworden ist. Hier lassen sich diejenigen, die dem nationalen Gesundheitssystem nicht trauen, medizinisch behandeln, hier legen sie bevorzugt ihr Vermögen an, und hier schicken sie ihre Sprößlinge auf „internationale Schulen“.

„Von der Steinzeit in die Jet-Zeit“

DIE Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht sind nach wie vor gespannt, doch hängt das derzeit unterkühlte Klima vor allem mit innenpolitischen Problemen zusammen. Zwar hat Australien Papua-Neuguinea eine Demokratie nach britischem Muster hinterlassen, doch das politische Leben in der Nationalversammlung dreht sich vorwiegend um die Bildung und Auflösung von Koalitionen, die sich um führende Köpfe gruppieren. In zwanzig Jahren hat das Land nur vier verschiedene Premierminister erlebt. Ihre Regierungen ließen, von einem verkappten Populismus abgesehen, keine politische Färbung erkennen, und dieselben Politiker konnten – ob in der Opposition oder auf Regierungsseite – von Mal zu Mal als Verbündete auftreten oder auch wieder als Gegner aufeinanderprallen.

Eine große Rolle spielt dabei die regionale Herkunft der führenden Politiker: Zwei von ihnen stammen von wenig bevölkerten Inseln (Neuirland und Neubritannien), nämlich Sir Chan und der Parlamentspräsident Rabbie Namaliu. Die Highlands, wo ein Drittel der vier Millionen Einwohner lebt, sind die Heimat von Paias Wingti, und Neuguinea (Nord) ist die Hochburg von Michael Somare, dem „Vater der Unabhängigkeit“. Inzwischen beginnt sich Papua (Süd) zu beschweren, man wolle auch endlich regierende Politiker stellen, sonst werde man den nationalen Pakt aufkündigen. Ähnliche Drohungen hörte man von den Inseln, die Ende 1994 die rote Fahne der Unabhängigkeit schwenkten. Daraufhin hat man in Port Moresby mittels einer zentralistischen Gesetzgebung die Regierungsinstanzen auf Provinzebene abgeschafft – mit der plausiblen Begründung, sie seien teuer, ineffizient und korrupt.

Ein häufiger Vorwurf an die Politiker lautet, sie hätten „den Kontakt zum Volk verloren“ und kümmerten sich nicht um die innere Sicherheit. Die Stadtbewohner sind Opfer der „rascals“ (Taugenichtse), von Jugendlichen, die zunehmend unter den Einfluß mafiaähnlicher Gangs geraten. Taschendiebstahl, bewaffnete Wohnungseinbrüche bei Tag und bei Nacht, Erpressung von Geschäftsleuten, Vergewaltigungen: Die Liste der ungeahndeten Taten des „Rascalismus“ ist lang. Kaum eine der meist kleinen Städte bleibt verschont: Weder Lae im Osten, noch Mount Hagen oder Goroka im Zentrum, und schon gar nicht Port Moresby (mit 250000 Einwohnern), das ein Diplomat mit dem nigerianischen Lagos vergleicht.

„Nachdem man in etwas mehr als einer Generation von der Steinzeit in die Jet- Zeit gelangte“, wie ein Klischee lautet, geht es auf dem Land nicht weniger unruhig zu. Die uralten Stammesfehden in diesem „Papua-Neuguinea mit den 800 Sprachen“ sind mit der Unabhängigkeit nicht verschwunden, sondern blutiger geworden, seit man sich nicht mehr mit Pfeil und Bogen, sondern mit Gewehren bekämpft. Alljährlich fordert die Blutrache Hunderte von Toten. Die Verwaltung, die unterhalb des „Kantons“ nie in Erscheinung tritt, vermag sie kaum zu kontrollieren.

Einige Missionare führten die im 19. Jahrhundert begonnene Arbeit der Zivilisierung und Entwicklung fort, die aus Papua-Neuguinea offiziell ein zu 90 Prozent „christliches Land“ gemacht hat. Der aus dem französischen Departement Indre-et- Loire stammende Pater Pierre Morant ist seit 1969 hier. Mit seinen 65 Jahren ist er für die 5500 Seelen der Gemeinde Kamulai verantwortlich, die 1800 Meter über dem Meer im Owen-Stanley-Gebirge, im Hinterland von Port Moresby liegt. „Man darf behaupten, die Regierung habe sich in den letzten zwanzig Jahren aus dem Inselinneren zurückgezogen“, meint der Pater. „In meinem Bezirk ist die Verwaltung nur sporadisch präsent. Jahrelang war die Post im Hauptort geschlossen, neuerdings wurde sie wieder eröffnet. Die meisten Routen sind nicht mehr befahrbar. Personen und Güter sind inzwischen auf den Transport mit kleinen, teuren Flugzeuge angewiesen, die in meinem Fall einmal pro Woche verkehren. Die Politiker sieht man nur kurz vor den Wahlen. Sie schaffen Reissäcke, Bierkästen und Trockenfisch heran, und dann verschwinden sie wieder.“

„Für die meisten Leute, die in den Dörfern wohnen (das sind 85 Prozent), hat sich das Leben nicht verändert“, betont Pierre Morant. „Ihre Hütten bestehen aus geflochtenen Palmblättern, sind auf Pfählen gegründet und von Zäunen umgeben, damit die Schweine nicht herumstreunen. Diese sind der einzige Reichtum, den man anläßlich der zahlreichen Feste, zu denen die Clans zusammenkommen, opfert. Gewöhnlich ißt man aber nur Süßkartoffeln, Kochbananen und Mais. Meine Gemeinde besteht aus etwa hundert Ansiedlungen. Das Leben verläuft geruhsam, zumindest für die Männer: Sie arbeiten zwei Monate im Jahr, roden, brennen Bäume nieder und bessern die Zäune aus. Die eigentlichen Arbeitskräfte sind die Frauen: Sie werden ihren Familien für teures Geld abgekauft, sie säen, ernten, kochen, versorgen die Schweine, kümmern sich um den Nachwuchs. Die Paare leben in stabilen Beziehungen und haben viele Kinder, oft ein gutes Dutzend, von denen nur die Hälfte überlebt. Viele sterben bei der Geburt. Ansonsten wird die demographische Situation durch den Abzug nach Port Moresby reguliert; dort lebt inzwischen mehr als die Hälfte meiner Dorfbewohner.“ Der Missionar merkt zum Schluß an: „Heute haben die Leute mehr Geld als vor zwanzig Jahren“.

dt. Erika Mursa

* Journalist.

Le Monde diplomatique vom 15.12.1995, von Jean-Pierre Clerc