15.12.1995

Brief an die "majors" in Hollywood ... ... und an ihre Gefolgschaft in Frankreich

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Brief an die "majors" in Hollywood ... ... und an ihre Gefolgschaft in Frankreich

■ An meinen Freund John Hunt, einen aufgeweckten Amerikaner, dessen Esprit mir die wahren Reichtümer meine

An meinen Freund John Hunt,

einen aufgeweckten Amerikaner,

dessen Esprit mir die wahren

Reichtümer meines Landes nahebringt.

Von

ANATOLE

DAUMAN *

Der Film ist die Kunst, die unser Jahrhundert erfunden hat – wir haben die Pflicht, sie für kommende Generationen zu bewahren. Ich bin kein Kulturhistoriker und auch kein Soziologe, der sich mit der Zukunft der Massenkommunikation befaßt. Ich bin Filmproduzent, also ein Gaukler, und nach fünfzig Jahren im Geschäft bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß der Film eine Kunst ist, die sich nicht entfalten kann unter dem Zwang zur Uniformität, wie er von der audiovisuellen Industrie eines einzigen Landes ausgeübt wird. In Frankreich ist der Film heute ernstlich bedroht durch eine Entwicklung, die man als Invasion aus Hollywood bezeichnen muß.

Kein Antiamerikanismus trübt meinen Geist. Ich denke sofort an die großen Pioniere des amerikanischen Films, die 1914 in Hollywood aus einem Jahrmarktsvergnügen eine Ästhetik mit ethischem Anspruch, und damit ein Kunstwerk geschaffen haben. Auch weiß ich Hollywoods Gastfreundschaft zu würdigen; europäische Autoren, Filmemacher und Schauspieler haben dort immer wieder Zuflucht gefunden und ihren Beitrag geleistet zur Siebten Kunst in Amerika. Besonders denke ich an die dunklen Jahre, als das Überleben der Intelligenz und der Kultur in Nazideutschland und anderswo in Europa aufs höchste gefährdet war.

Dennoch muß ich Alarm schlagen. Seit zwanzig Jahren weist die Geschichte des kommerziellen Filmverleihs in Frankreich eine erschreckende Kontinuität auf. Stets haben Regierungen, ob links oder rechts, ihre Sorge um die Verteidigung des französischen Films beteuert, um die Förderung einer pluralistischen Produktion, um die Sicherung einer gesunden Konkurrenz zwischen Programmkinos und großen Ketten (Gaumont, Pathé und UGC). Regelmäßig verurteilen Verwaltungsstellen und Gerichte der Form halber Wettbewerbsverstöße, die ihnen zu Ohren kommen – dies im Zuge einer Reihe widersinniger Entscheidungen, die auf staatlich festgelegten Regeln beruhen. Unablässig kaufen die großen Ketten unabhängige Kinos auf, verhindern durch Absprachen jede Konkurrenz untereinander und machen am Ende die besten Kinos zum Revier des Hollywoodfilms.

„Das Interesse an einer festen Verbindung mit einer amerikanischen major company ist die Folge der Konzentration in der französischen Filmindustrie“, räumte UGC-Direktor Alain Sussfeld ein, nachdem seine Gesellschaft mit der Twentieth Century Fox ein Abkommen über gemeinsame Verwertung geschlossen hatte.1 Die französischen Großproduzenten und -verleiher werden nicht müde, ihre Politik der Konzentration mit der Behauptung zu rechtfertigen, nur mächtige Gruppen seien in der Lage, die totale Beherrschung durch Hollywood zu verhindern.2 Wohin diese Strategie führt, zeigen die jüngst unterzeichneten Abkommen zwischen Gaumont und Buena Vista, dem internationalen Disney-Verleih, UGC und Castle Rock, einer Tochter der Turner-Gruppe, und schließlich zwischen UGC und Fox.

1981 kritisierte der Kandidat François Mitterrand die Kinomonopole und versprach, den Pluralismus in der Produktion und beim Verleih von Filmen im Zuge einer umfassenden Reform wiederherzustellen. Auf Anregung des neuen Kulturministers Jack Lang setzte sich eine von Jean Denis Bredin geleitete Arbeitsgruppe für eine Politik des Wettbewerbs ein, befürwortete aber die Annahme eines Gesetzes, das den Film im Namen der Besonderheit dieser Kunst vor dem geltenden Wettbewerbsrecht schützen sollte. Das Resultat, die „Lex Lang“ von 1982, war bloße Augenwischerei: In der Praxis können sich die Großproduzenten und -verleiher der Strafverfolgung entziehen. (Die Beschwerden einiger Kinobesitzer und die Anrufung der Gerichte durch unsere Gewerkschaft – die AFPF – hatten 1979 eine strenge Verwarnung durch die Wettbewerbskommission bewirkt.)

Seither bedienten sich die Großproduzenten und -verleiher vielfältiger Methoden, um ihren Bestand an Kinos zu vergrößern: Sie nahmen unabhängige Kinos in ihre Programmstrategien auf oder machten ihnen das Geschäft kaputt, indem sie ihnen keine Filme mehr lieferten und sie dann aufkauften, oder sie nahmen sogar Mittel des Film-Förderungsfonds in Anspruch, um neue Kinos zu bauen!3 Auch wenn die Lex Lang vorübergehend zur Auflösung des Gaumont Pathé-Konzerns führte, so hat sie letztlich neue Absprachen legalisiert, die formal der Zustimmung des Centre national de la cinématographie (CNC) unterliegen.

1990 wurde Jérôme Seydoux, der Bruder von Nicolas Seydoux, dem Präsidenten von Gaumont, mit öffentlicher Unterstützung Eigentümer von Pathé. Damit erhob sich der Konzern wie Phönix aus der Asche. Eineinhalb Jahre später, nach einem Austausch der Besitzstände, teilten sich die zwei Großfirmen das Land auf: Gaumont erhielt den Pariser Markt, Pathé die anderen Großstädte. Obwohl die Gebrüder Seydoux offen ihren Willen erklärten, jede gegenseitige Konkurrenz zu vermeiden, erhielten sie den Segen der staatlichen Stellen. Die von unabhängigen Kinobesitzern angestrengten Verfahren bleiben dank auffälliger Lücken im Gesetz von 1982 ohne Ergebnis.

1992 ist die Monopolisierung der Kinos in Frankreich eine vollendete Tatsache. Ein bemerkenswerter Widerspruch zur ständigen Beschwörung der Marktgesetze. Wie zu erwarten, ist das französische Monopol bald zur Geisel der Hollywood-Riesen geworden. Der Kampf für die „kulturelle Ausnahme“ verdeckt die ökonomische Realität. Die Erhaltung des Filmförderungssystems ist gesichert, aber von nun an werden die Hollywooderzeugnisse unter dem Deckmantel „französischer“ oder vielmehr frankoamerikanischer Firmen (GBVI und UFD) verbreitet, die dafür sorgen, daß der größte Teil der Einnahmen aus diesem Markt „gewaschen“ wird.

Ende Oktober 1995 kam Jack Valenti, der Repräsentant der amerikanischen majors, auf Einladung der ARP (Société civile des auteurs, réalisateurs, producteurs) zu den Filmtagen von Beaune. Sein Eintreten für den europäischen Film wurde als scheinheilig empfunden, die französisch-amerikanische Versöhnung fand nicht statt. Valentis Anhänger deuteten an, er gebe seinen Kampf gegen das Quotensystem auf, er selbst hat diesen angeblichen Sinneswandel in Le Monde vom 10. November 1995 heftig dementiert.

Die Zeit ist reif für eine von den Großen des Films in aller Welt unterzeichnete Solidaritätserklärung. Sie müßte die Notwendigkeit eines kulturellen Pluralismus zur Verteidigung aller nationalen Filmindustrien betonen, die von der amerikanischen Hegemonie erdrückt zu werden drohen. Zu fordern wäre auch eine Verschärfung der Wettbewerbsregeln, um zu verhindern, daß den großen Konzernen der audiovisuellen Industrie die weltweite Beherrschung der Verteilernetze für Bilder und Filme gelingt.

Den Film als Kunst zu verteidigen heißt, ihn nicht nur unter dem Aspekt schneller Rendite zu betrachten, sondern ihn zu behandeln wie die anderen Künste. Sollte es wirklich einen unüberwindlichen Widerspruch zwischen den beiden Dimensionen – Film als Kunst und als Industrie – geben? Wir müssen den traditionellen ökonomischen Standpunkt überwinden, der aus dem Film als Kunstform einen unerschwinglichen Luxus macht. Ich habe meine Karriere aufgebaut, indem ich die Produktion von Filmen mit mittlerem oder kleinem Budget gefördert habe, und ich sage, sowohl aus Überzeugung wie aus wirtschaftlichen Erwägungen, daß, wenn der Kunstfilm verschwinden sollte, mit ihm die globale Rentabilität der Filmindustrie verschwände. Der kulturelle Pluralismus bildet den besten Schutz gegen den Untergang dieser Kunst in der Flut der standardisierten, eindimensionalen Bilder. Wäre es nicht an der Zeit, den kulturellen Pluralismus durch dringliche Maßnahmen zu schützen und die freie Verbreitung von Filmen vorübergehend einzuschränken? Dem kulturellen Selbstmord ist ein solcher Protektionismus entschieden vorzuziehen.

dt. Uli Aumüller

* Anatole Dauman ist einer der renommiertesten Filmproduzenten Frankreichs; zu seinen Produktionen gehören unter anderem: „Hiroshima, mon amour“ von Alain Resnais; „Am Rande des Rollfelds“ von Chris Marker; „Mouchette“ von Robert Bresson; „Masculin Féminin“ von Jean-Luc Godard; „Im Reich der Sinne“ von Nagisha Oshima; „Die Blechtrommel“ von Volker Schlöndorff und „Der Himmel über Berlin“ von Wim Wenders.

1 Siehe dazu: Le Film français vom 16. Juni 1995.

2 Siehe dazu: Carlos Pardo, „La création au secours du cinéma français“, Le Monde diplomatique, Mai 1994.

3 Auf jede verkaufte Kinokarte wird eine Sondersteuer erhoben und einem Unterstützungsfonds für die Filmindustrie zugeführt.

Le Monde diplomatique vom 15.12.1995, von Anatole Dauman