12.01.1996

Aufforderung zum Dialog

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Aufforderung zum Dialog

Man könnte den Autor von „Islam, le face-à-face des civilisations“1 mit einem Schlagwort der technologischen Moderne als eines dieser kostbaren „Interfaces“ charakterisieren, die in der Informatik die Kommunikation mit einer Welt ermöglichen, die uns sonst verschlossen bliebe. Tareq Ramadan ist der Enkel von Hassan al-Banna, der 1928 die Vereinigung der ägyptischen Muslimbrüder begründete. Weil aber sein Vater Said Ramadan, ebenfalls eine Führungspersönlichkeit der Bruderschaft, vor der unter Nasser herrschenden Repression flüchten und ins Exil nach Genf gehen mußte, ist der Autor zugleich ein Produkt der schweizerischen Gesellschaft und, als Philosophieprofessor, ihres universitären Lebens. Er bewegt sich ebenso mühelos innerhalb der muslimischen Kultur wie im Gewirr des intellektuellen, assoziativen oder akademischen Europa, das er ganz und gar absorbiert hat, ohne auf sein Engagement als Muslim zu verzichten.

Das Interface ist allerdings in der gefügigen Welt der elektronischen Elemente leichter herzustellen als in jener der verschränkten Phantasmen, die in zunehmend bedrohlicher Weise die Kommunikation zwischen zwei Zivilisationen einschränken: Sollte ein Islamist, der „unsere Sprache derart gut beherrscht“ und „so gut Tennis spielt“, nicht „weitaus gefährlicher als die übrigen“ sein? Das ist offensichtlich die Meinung des französischen Innenministeriums, das ihm soeben die Einreise verweigert hat. Diejenigen aber, die auf die Fragen, welche die muslimische Zivilisation ihrer alten europäischen Komparsin am Ausgang dieses Jahrhunderts stellt, anders als nur mit armseligen Sicherheitsargumenten antworten wollen, werden den Essay von Tareq Ramadan begeistert lesen.

Ein Muslim wendet sich an die Nichtmuslime, und, von den soziokulturellen Schlacken gereinigt, die so häufig die Distanz zu einem „aus der Ferne gekommenen“ Gesprächspartner vergrößern, ist das Wesen der Debatte schnell erkannt. Die Darstellung der Prinzipien oder gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Orientierungen des Islam dient einer für den Autor zentralen Unterscheidung: derjenigen nämlich, die eine gesellschaftliche und politische Modernisierung, wie sie den Wünschen eines jeden Muslim entsprechen muß, von dem konjunkturbedingten Ausdruck trennt, den der Westen jener Modernität gegeben hat. Eine solche Modernität muß einer genauen Prüfung unterzogen werden, wenn sie dazu dient, unter der Fahne des Liberalismus und eines von seinen ursprünglichen Motiven abgerückten Laizismus den Sieg des Materialismus und einer Kultur des Geldes sowie einer bedenklich „wertentleerten“ Gewalt zu sanktionieren. Die Aufforderung des Autors klingt, vielleicht gerade weil er uns so gut kennt, weniger wie eine Herausforderung oder Provokation als vielmehr wie eine wohlüberlegte und vernünftige Einladung zur Kommunikation.

FRANÇOIS BURGAT

dt. Eva Groepler

1 Tareq Ramadan, „Islam, le face-à-face des civilisations. Quel projet pour la modernité?“, Lyon (Tawhid) 1995.

Le Monde diplomatique vom 12.01.1996, von Francois Burgat