Widerstand in der Casamance
Von
JEAN-CLAUDE
MARUT *
DER Rebellenführer der Casamance, Pater Augustin Diamacoune Senghor, rief am 3. Dezember 1995 in der Stadt Ziguinchor öffentlich zu Frieden und Verhandlungen auf. Das Jahr war von einem erneuten Auflodern des Konflikts in der unteren Casamance geprägt gewesen, und die Geste des Paters folgte auf die Kontaktaufnahme einer nationalen Kommission und die Vermittlung des katholischen Klerus der Casamance1 gegenüber den Rebellen. Die Lage dieser Provinz zwischen Gambia und Guinea- Bissau und die zahlreichen Streitpunkte zwischen diesen beiden Ländern und der senegalesischen Zentralregierung führen dazu, daß Dakar das Problem der Casamance ebenso als eine Frage der Außen- wie der Innenpolitik ansieht. Das Regime von Präsident Diouf hat die Beziehungen zu seinen Nachbarn teilweise normalisiert, doch konnte es die separatistische Rebellion, die vor dreizehn Jahren den Südwesten des Landes ergriffen hat, nicht beenden.
Trotz des Einsatzes erheblicher Mittel sowie der Unterstützung durch Frankreich und Guinea-Bissau war ein Versuch zur Zerschlagung der Rebellion im letzten Frühjahr gescheitert2 und hatte Dakar am Jahresende zu einer neuen Offensive genötigt. Es ging dabei darum, die Rebellen so weit wie möglich von den Stränden des Cap Skirring zurückzudrängen, wo in diesem Winter dreißigtausend europäische Touristen erwartet wurden.3 Doch das Scheitern dieser Strategie hat wieder einmal bewiesen, daß es in der Casamance keine militärische Lösung geben kann. Weder für die Separatisten, die genau wissen, daß Dakar von Paris und Washington unterstützt wird, noch für die senegalesische Regierung, denn die Rebellion verfügt über zwei wesentliche Trümpfe: eine nicht zu leugnende Unterstützung von seiten der Bevölkerung – zahlreiche Jugendliche ohne Zukunftsperspektive haben sich dem Widerstand angeschlossen – und eine den Guerillakampf begünstigende geographische Lage (Flüsse, Wälder und Grenznähe).
Die Separatistenbewegung, das Mouvement des forces démocratiques de la Casamance (MFDC), erklärt, einen nationalen Befreiungskrieg gegen die „senegalesische Kolonisierung“ zu führen. Der senegalesische Staat seinerseits gibt sich als Rechtsstaat, der allen Bürgern die grundlegenden Freiheiten garantiert, jedoch im Namen der Nation jegliche auf der Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Region oder Religion beruhende politische Identität verbietet. Die Behauptungen der beiden gegnerischen Seiten werden teilweise von den Fakten widerlegt, denn beide haben es mit einem starken Partikularismus der Casamance zu tun, der zwar den Nährboden für den Separatismus bietet, jedoch mit diesem nicht identisch ist. So steht gegen die Wunschvorstellung der Führer des MFDC, sie seien „die Stimme der Casamance“, ihr Scheitern beim Versuch, die gesamte Bevölkerung der Casamance hinter sich zu bringen.4 Gleichzeitig schafft der Staat es immer noch nicht, die senegalesische Nation zu verkörpern, und muß mit Gemeinschaftsbewegungen konkurrieren, die sich aus seinem Scheitern nähren: den fundamentalistischen islamischen Bewegungen in den Städten des Nordens und den ethnischen oder regionalen Partikularbewegungen in der Peripherie. In den siebziger Jahren, als die „grüne Casamance“ zur „neuen Grenze“ eines von klimatischer und finanzieller Dürre betroffenen Senegal wurde, verstärkte sich das Gefühl einer gemeinsamen Identität in der Casamance über die ethnolinguistischen Unterschiede hinaus zwischen Diula, Peul, Mandingo und anderen. Die Behauptung einer regionalen Differenz gab dem spontanen Volkswiderstand gegen die von außerhalb der Region kommenden Fremden einen Sinn. Diese wurden beschuldigt, die regionalen Ressourcen auszuplündern und die Einwohner der Casamance unter dem wohlwollenden Blick der Behörden zu marginalisieren.5
Dieser Widerstand der von den Stämmen des Nordens oft als „Wilde“, „Indianer“ oder „Zulus“ bezeichneten lokalen Ethnien enthüllte ein Defizit an politischer Repräsentanz. Er stellte ebenso die Frage nach der Art der Bindung an Dakar wie die nach der Kluft zwischen den importierten Institutionen und den lokalen gesellschaftlichen Praktiken. Es ist unklar, ob die für 1996 geplante Regionalisierung diese Fragen lösen kann.
Die multiethnische Identität der Casamance fordert eine Anerkennung, die bis jetzt unvereinbar mit dem herrschenden Modell des Nationalstaats scheint. Sie stellt dabei eine im übrigen einfache Frage: Kann man gleichzeitig Bürger der Casamance und Senegalese sein? Von der Antwort hierauf wird der Ausgang des Konflikts abhängen.
dt. Christiane Kayser
1 Im vorherrschend islamischen Senegal bildet die untere Casamance eine animistische und christliche Enklave. Tatsächlich ist das Christentum dem Islam gegenüber dort in der Minderheit, doch übt eseinen starken gesellschaftlichen und kulturellen Einfluß aus. Die Separatistenbewegung wird zwar von einem – von der offiziellen Hierarchie abgelehnten – katholischen Priester geleitet, ist aber multikonfessionell.
2 Vgl. Jean-Claude Marut, „Solution militaire en Casamance“, Politique africaine, Nr. 58, Juni 1995. Das geheimnisvolle Verschwinden von vier französischen Touristen hatte damals das Signal zur Offensive gegeben.
3 Der Tourismus, der von der Abwertung des CFA-Franc profitiert, ist neben dem Fischfang die Hauptdevisenquelle des Landes.
4 Wie beim (siegreichen) Befreiungskrieg der ehemaligen portugiesischen Kolonie Guinea-Bissau rekrutiert sich auch in der Nachbarregion Casamance das Gros der Rebellion aus einer nicht hierarchisierten Gesellschaft. Die Analogie endet hier jedoch, besonders weil dies keine Kaderpartei ist, sondern auf einem charismatischen Führer ohne klares Programm beruht.
5 Vgl. Jean-Claude Marut, „Le dessous des cartes casamançaises“, in: François-George Barbier-Wiesser (Hrsg.), Comprendre la Casamance, Paris (Karthala) 1994.
* Forscher am CNRS (Centre national de recherches scientifiques).