16.02.1996

Kampf um Kampf zerrinnt die Hoffnung

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Kampf um Kampf zerrinnt die Hoffnung

MIT dem Sieg der Volksfront in Spanien bei den Parlamentswahlen am 16. Februar 1936 begann auch die Gegenbewegung des Krieges. Wie in jüngster Zeit der Krieg in Bosnien, so erschütterte dieser Konflikt die Welt und offenbarte die tiefe Krise, in der Europa steckte. Sechzig Jahre später will es die Ironie der Geschichte, daß die spanische Rechte bei den Wahlen vom 3. März dieses Jahres Chancen hat, wieder an die Macht zu gelangen.

Von IGNACIO RAMONET

Mit seinem wunderbaren Film „Land and Freedom“ führt Ken Loach den jüngeren Generationen vor Augen, was der Spanienkrieg eigentlich war, dessen Beginn sich in diesen Monaten zum sechzigsten Mal jährt. Der britische Filmemacher, der den politischen Weg eines arbeitslosen Kommunisten aus Liverpool erzählt, wollte mit seinem Werk all jene ehren, die während der drei Bürgerkriegsjahre (vom 18. Juli 1936 bis zum 1. April 1939) alles stehen und liegen ließen, um die demokratischen Ideale zu verteidigen, welche die vom militärisch-faschistischen Aufstand bedrohte Republik verkörperte.

Ken Loach erinnert auch daran, daß zwar der Hauptkonflikt zwischen dem Faschismus und der Demokratie ausgetragen wurde, daß jedoch im demokratischen Lager zugleich – und mitunter ebenso gewaltgeladen – die Anhänger eines militärischen Sieges um jeden Preis und jene anderen aufeinanderprallten, für die das vorrangige Ziel die Revolution war. Der Held des Films kämpft für die sozialistische Revolution und die Diktatur des Proletariats innerhalb der POUM (der Vereinigten Marxistischen Arbeiterpartei), einer Abspaltung der Kommunistischen Partei, die diese mit allen Mitteln zu vernichten trachtete.

Begonnen hatte alles, wenn man so will, am 14. April 1931 mit der Ausrufung der Republik. Die spanischen Bürger verbanden hohe Erwartungen mit diesem neuen System: die Modernisierung des Landes, die Entfaltung der Freiheiten, das Ende der alten Machtapparate – Kirche, Armee, Landaristokratie –, die Spanien jahrhundertelang beherrscht hatten. Der Kontext, die große Krise von 1929, war mehr als ungünstig. Auf dem Land, wo rund 50 Prozent der aktiven Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten, drängten die landlosen Bauern auf eine umfassende Agarreform. In den großen Bergbau- oder Manufakturzentren – Asturien, Baskenland, Katalonien und Madrid – hofften die Arbeiter auf bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen und auf ein anderes Leben für ihre Kinder. Die erste Gewerkschaft des Landes, der Nationalbund der Arbeit (CNT), war anarchistisch ausgerichtet, propagierte Wahlabstinenz und forderte eine radikale Revolution.

Die ersten Regierungen der neuen Republik, die sich eine moderne Verfassung gegeben und sich hohe soziale Ziele gesetzt hatten, leiteten eine Reihe fortschrittlicher Reformen ein, die den Hoffnungen eines großen Teils der Bevölkerung entgegenkamen. Doch es dauerte nicht lange, und diese Regierungen wurden durch wiederholte Putschversuche des Militärs gestoppt. Die an die Regierung gelangte Rechte ließ ab 1934 alle Reformen einfrieren; sie versuchte, die Zugeständnisse, zu denen sie sich zwischen 1931 und 1933 hatte durchringen müssen, wieder rückgängig zu machen, und bekräftigte ihre Verbundenheit mit der extremen Rechten, indem sie José Maria Gil Robles, eine Art spanischen Mussolini, in die Regierung berief.

Um dieser Allianz Widerstand entgegenzusetzen, rief die Linke einen Generalstreik aus, der sich in Asturien im Oktober 1934 in einen Aufstand verwandelte und in eine echte revolutionäre Commune mündete. Als Antwort darauf rief die Regierung General Franco, die Fremdenlegion sowie Kolonialtruppen um Beistand an. Die Niederschlagung des Asturien- Aufstandes übertraf alles, was man bis dahin an Grausamkeiten gekannt hatte. Rund eintausend Bergleute wurden getötet, mehr als dreißigtausend Menschen inhaftiert (unter ihnen zahlreiche Führer der Linken); sie wurden mißhandelt und gefoltert. Doch im Bewußtsein der Arbeiterklasse gewann der Aufstand der Asturier, wo Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten Seite an Seite gekämpft hatten, allmählich den Stellenwert eines Heldenepos.

Im Namen dieses gemeinsamen Kampfes und aufgrund eines erbarmungslosen Mehrheitswahlsystems, das zu Wahlbündnissen zwang, vereinbarten die wichtigsten Linksparteien im Januar 1936 die Bildung einer Volksfront. Ihr gehörten an: die Republikanische Union, die Linksrepublikaner, die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE), die Syndikalisten, die Kommunistische Partei, die Vereinigte Marxistische Arbeiterpartei (POUM), die Republikanische Linke Kataloniens und die galicischen Autonomisten. Das Programm der Volksfront – das in der Parole „Brot, Frieden und Freiheit“ seinen Niederschlag fand – war im wesentlichen das der Republikaner. Ein gemäßigtes Programm, das weder die Verstaatlichung des Bodens oder der Banken noch eine Kontrolle der Industrie durch die Arbeiter vorsah. Angestrebt war indes, die Agrarreform und das große Projekt eines Ausbaus des Bewässerungsnetzes in Angriff zu nehmen sowie den Analphabetismus zu bekämpfen. Und insbesondere enthielt es eine Forderung: Generalamnestie für die Aufständischen des Oktober 1934, Freilassung der 30000 inhaftierten Arbeiter sowie Wiedereinstellung und Entschädigung aller entlassenen Arbeiter. Diese Forderung fand in der Bevölkerung enorme Zustimmung. Selbst die Anarchosyndikalisten der CNT, die sich weder an der Volksfront noch an den Wahlen beteiligten, riefen diesmal nicht zum Wahlboykott auf.

Bei den Parlamentswahlen vom 16. Februar 1936 beteiligte sich eine Großzahl der Arbeiter am Urnengang. Und so trug nicht die Nationale Front (in der sich Royalisten, Traditionalisten, die Autonomen Rechten von Gil Robles und die faschistische Falange zusammengeschlossen hatten), sondern die Volksfront den Sieg davon. Ohne irgendeine administrative Entscheidung abzuwarten, versammelten sich unmittelbar darauf große Volksmassen vor den Gefängnissen, in denen die aufständischen Arbeiter einsaßen. In Valencia und Oviedo wurden die Haftanstalten gestürmt und die Gefangenen befreit. Auch begannen sofort in ganz Spanien Streiks mit dem Ziel, die Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiter, Lohnerhöhungen und verbesserte Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Auf dem Land besetzten die Bauern die Domänen der Großgrundbesitzer und bestellten den Boden in eigener Regie. Überall gingen Kirchen und Klöster in Flammen auf. In ganz Spanien herrschte ein Klima von Unduldsamkeit und Gewalt.

Weder die Sozialisten noch die Kommunisten wollten sich an der Volksfront- Regierung beteiligen, die hauptsächlich aus Republikanern bestand. Diese sollten sich bald als unfähig erweisen, den Forderungen der Arbeiter und Bauern nachzukommen, die von gewissen Organisationen der äußersten Linken massiv unterstützt wurden. Die gewalttätigen Aktionen nahmen zu. Die rechtsextremen Kräfte setzten darauf, daß es zu Ausschreitungen kommen würde, um so die Armee zu einem Staatsstreich zu bewegen. Die Falangisten betrieben offenen Terror, ermordeten zahlreiche Persönlichkeiten aus dem demokratischen Lager. Die Antwort der linksextremen Kräfte bestand in weiteren politischen Morden. Spanien steuerte auf den Bürgerkrieg zu.

Der Krieg bricht am 17. und 18. Juli 1936 aus, nachdem ein Staatsstreich, den General Franco in den größten spanischen Städten – Madrid, Barcelona, Bilbao, Valencia – angezettelt hatte, von bewaffneten Bürgern, die sich den rebellierenden Truppen entgegenstellen, niedergeschlagen worden ist.

Die Gebiete, die bis 1939 republikanisch bleiben – dies sind im wesentlichen Madrid, Aragonien, Katalonien und die Region um Valencia – erleben eine echte Revolution, eine radikale und einzigartige, mit keiner anderen vergleichbare Revolution, bei der insbesondere die Anarchisten neuartige soziale Experimente auf die Beine stellen.1 Jahrzehnte später wird der amerikanische Historiker Stanley G. Payne über diese Revolution schreiben, daß sie „die einzige gewaltsame und tiefgreifende Revolution“ gewesen sei, „die in einem westeuropäischen Land stattfand, und die einzige wahrhaft pluralistische, die ihren Antrieb von unterschiedlichen, häufig miteinander rivalisierenden und naturgemäß feindlichen Kräften erhielt“. Diese Kräfte sind im wesentlichen drei: Anarchisten, POUM-Anhänger und Kommunisten. Bisweilen führen sie gegeneinander einen gnadenlosen Krieg.

Demokratie oder Faschismus – das ist die Frage, um die es im Spanischen Bürgerkrieg geht. Die Freiheiten in Europa sind bedroht von einer extremen Rechten, die von Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland unterstützt wird, und Spanien ist das einzige Land, in dem der Faschismus mit den Waffen besiegt werden kann. Deshalb werden Tausende von Demokraten aus aller Welt sich in dieses Land aufmachen, um – vorrangig in den Internationalen Brigaden – Seite an Seite mit den Republikanern dem Faschismus Einhalt zu gebieten.

Italien und Deutschland bekennen sehr bald Farbe: Seit dem Juli 1936 leisten sie Franco massive Hilfe – an Material und Menschen –, die dem General seine ersten militärischen Siege ermöglicht. Dagegen gewähren die westlichen Demokratien der Republik keine Unterstützung. Nicht einmal Frankreich, wo seit den Wahlen im Mai 1936 ebenfalls eine Volksfront regiert. Ministerpräsident Léon Blum begnügt sich damit, der Republik heimlich eine beschränkte Hilfe zukommen zu lassen, und mit britischer Unterstützung bewirkt er eine europäische Vereinbarung über eine sogenannte „Nichtintervention“, die freilich systematisch von Italien und Deutschland unterlaufen wird. Einzig die Sowjetunion erkärt sich bereit, in begrenztem Umfang Waffen an die spanische Republik zu verkaufen, was den Einfluß der Kommunisten vor Ort nach und nach verstärkt.2

Während dieses Krieges kam es zu einer Unzahl von Verbrechen und Greueltaten, die die Welt erschütterten. Aus dem demokratischen Lager heraus wurden in den Wochen nach dem Militärputsch zahlreiche Geistliche, Gläubige und kurzerhand als „Bourgeois“ oder „Faschisten“ eingestufte Personen ermordet. Diese unentschuldbaren Verbrechen wurden jedoch nie von rechtmäßig legitimierten Stellen begangen. Anders im franquistischen Lager: Dieses betrieb eine offizielle Politik des Massenterrors mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung einzuschüchtern. Die ersten großen Massaker fanden schon 1936 bei der Einnahme von Malaga und später bei der Eroberung von Badajoz statt, wo Hunderte von Menschen in den Sportarenen niedergemetzelt wurden.

„...nicht aber die Herzen der Menschen“

MIT Hilfe der Falangisten betrieben die Franquisten in den von ihnen besetzten Gebieten eine brutale politische Säuberung. Alle Anhänger der Volksfront – und mit ihnen Anarchisten, Freimaurer, Freidenker, Linksintellektuelle und Atheisten – wurden inhaftiert, vielfach gefoltert, mitunter erschossen. General Franco erklärte: „Um Spanien zu retten, würde ich, falls nötig, die Hälfte der Bevölkerung erschießen lassen.“ Schon hatten seine Gefolgsleute den größten spanischen Dichter, Federico Garcia Lorca, Verfasser der „Bluthochzeit“, erschossen, ein Mord, der die Welt entsetzte. Auch katholische Schriftsteller wie Georges Bernanos oder François Mauriac verurteilten diese Verbrechen, die durch nichts zu rechtfertigen waren. Ebensowenig wie es eine Rechtfertigung gab für die Zerstörung des baskischen Städtchens Guernica, das am 26. April 1937 von deutschen Flugzeugen der Legion Condor dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Von überallher strömten Schriftsteller, Künstler und Filmemacher nach Spanien, um der bedrohten Republik beizustehen. Von André Malraux bis Ernest Hemingway, von John Dos Passos bis Wystan H. Auden, von Arthur Koestler bis George Orwell, von Alejo Carpentier bis Pablo Neruda, von Joris Ivens bis Roman Karmen kamen Dutzende von Intellektuellen, um unter der Parole „No pasarán!“ (Sie werden nicht siegen!) für die „heilige Sache der Gerechtigkeit“ zu kämpfen, die in ihren Augen von der Republik verkörpert wurde.

Doch mit deutscher und italienischer Hilfe errangen die Franquisten den militärischen Sieg über eine Republik, die von den europäischen Demokratien schändlich im Stich gelassen wurde. Die militärische Niederlage änderte allerdings nichts an den Überzeugungen der Demokraten. Der spanische Philosoph Miguel de Unamuno, Verfasser des Werkes „Das tragische Lebensgefühl“, sagte bereits im Juli 1936 in Gegenwart von General Millan Astray (mit dem berüchtigten Schlachtruf „Es lebe der Tod!“): „Den Krieg könnt Ihr gewinnen, nicht aber die Herzen der Menschen.“

dt. Eveline Passet

1 Siehe hierzu Un autre futur. L'Espagne rouge et noire, ein Film von Richard Prost, 1995.

2 Vgl. u.a. Julián Gorkin, „Stalins langer Arm. Die Vernichtung der freiheitlichen Linken im Spanischen Bürgerkrieg“ (dt. v. H. Abosch), Köln 1980.

Le Monde diplomatique vom 16.02.1996, von Ignacio Ramonet