16.02.1996

Die Chance vertan?

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Die Chance vertan?

Mehr als zwei Monate nach dem Sieg von Liamine Zéroual bei den Präsidentschaftswahlen vom 16. November ist in Algerien noch immer keine Bewegung in die politische Lage gekommen. Es gibt einen neuen Premierminister, und die Regierung ist umgebildet worden, aber der Frieden, den die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht, rückt kein Stück näher. Auch daß neuerdings die FLN seitens des Regimes wieder an die Kandare genommen wurde, deutet nicht auf ernsthafte Bereitschaft zum politischen Dialog mit de Oppostion. Es durfte daher niemanden überraschen, daß die Gewaltakte, die in den vierzehn Tagen vor der Wahl wie durch ein Wunder aufgehört hatten, anschließend um so heftiger fortgesetzt wurden: Mordanschläge, Autobomben und ordnungspolitische Machtdemonstrationen machten klar, daß die Machthaber vom erhofften Sieg in der militärischen Auseinandersetzung noch weit entfernt sind. Nur eine nationale Versöhnung könnte der Gesellschaft die Fortsetzung des Bürgerkrieges ersparen; man muß befürchten, daßdiese Chanc erneut vertan wird.  ■ Von SALIMA GHEZALI *N*

IN den unruhigen Jahren, die im Oktober 1988 mit einer Reihe von Aufständen ihren Anfang nahmen, hat Algerien aus sämtlichen Kriegen und Konflikten, die unsere Welt erschüttern, das eine oder andere Problem übernommen. Zu den Bestandteilen der explosiven Mischung gehörte das Scheitern des sozialistischen Modells, der rapide Aufstieg der radikalen Islamisten, die Entstehung eines Mehrparteiensystems und einer Demokratiebewegung, und das alles unter den Bedingungen einer Verflechtung von Politik und Militär, einer Vermengung von Staatsräson und privaten Interessen, die wiederum mit der Korruption und den Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu tun hat; die Folge war eine Spirale der Gewalt, die jede vernünftige Lösung verhinderte.

Aber seit den Präsidentschaftswahlen vom 16. November 1995 spricht man – im Ausland wie in Algerien selbst – in anderem Ton über die Lage. An die Stelle der lauten Klagen über die Gewaltakte, die den bewaffneten islamistischen Gruppen zugeschrieben wurden, ist ein allseitiges zufriedenes Gemurmel getreten, in das sich Erstaunen darüber mischt, daß es dem Regime in so hohem Maße gelungen ist, sich die Zustimmung der Massen zu sichern. Gegenüber jenen, die sogleich beifällig von „Rechtmäßigkeit“ und „Normalisierung“ sprachen, muß man immerhin eines zugeben: Selten hat ein so unpopuläres Regime es geschafft, so überzeugend als die einzige Alternative zu Gewalt und Chaos aufzutreten.

Doch das Wahlergebnis hat bislang nicht einmal ansatzweise zur Einlösung der Wahlversprechen des Kandidaten Zéroual geführt: Frieden, Sicherheit und nationale Versöhnung sind nicht in Sicht.

In den Tagen nach der Wahl setzte sich die Serie der Gewalt mit einem Attentat fort, dem General Mohammed Boutighane, ein Oberst und einige weitere Militär- und Zivilpersonen zum Opfer fielen, und die Sicherheitskräfte vermelden täglich in ihren Verlautbarungen den Tod Dutzender „Terroristen“. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen machen deutlich, daß die Machthaber nur eines im Sinn hatten: die reibungslose und erfolgreiche Durchführung der Wahl selbst.

Vier Kandidaten hatten sich um das Amt des Präsidenten beworben. Mit 61,34% machte der „unabhängige“ Bewerber das Rennen, bei dem es sich um niemand anderen als den amtierenden Staatspräsidenten Zéroual handelte. Auf dem zweiten Platz landete mit 25,38% der „gemäßigte“ Islamist Mahfoud Nahnah, gefolgt von Said Sadi, dem „republikanischen Demokraten“, der seine 9,29% vor allem in der Kabylei geerntet hat. 3,78% der Stimmen entfielen auf Noureddine Boukrouh, den Kandidaten der „Algerischen Erneuerung“.

Mit anderen arabischen Regimen, die sich regelmäßig mit über 90% der Stimmen im Amt bestätigen lassen, können sich die algerischen Machthaber bei diesen Wahlergebnissen nicht messen. Die algerische Führungsschicht legt denn auch Wert darauf, sich zumindest verbal von den Praktiken solcher „befreundeter“ Regime zu distanzieren, denen der Eintritt in die Moderne nicht gelingt, weil sie die nötigen Reformen nicht durchführen können. Alle, die den demokratischen Schein wahren möchten, dürfen also stolz darauf verweisen, daß es vier Kandidaten gab und daß General Zéroual mit einer „dezenten“ Mehrheit gesiegt hat. „Algerien ist keine Bananenrepublik“, erklärte der Korrespondent einer französischen Fernsehgesellschaft und trifft damit die Ansicht zahlreicher Beobachter – dankbar, auf diese Weise um die einzig entscheidende Frage herumzukommen: Ist das Regime nun demokratisch gewählt, oder nicht?

Ein weiterer Aspekt dieses „Sieges“ der Machthaber ist die Wahlbeteiligung, die mit 74,29% angegeben wurde. Nach den offiziellen Zahlen hätten sich demnach von 15969904 wahlberechtigten Algeriern 11965280 an die Urnen begeben. Nun hatte aber die Opposition zum Boykott der Wahlen aufgerufen, darunter die wichtigsten Parteien des „Nationalen Vertrags“ (der Übereinkunft von Rom): die Islamische Heilsfront (FIS), die Nationale Befreiungsfront (FLN) und die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS). Folglich wäre die hohe Wahlbeteiligung ein Beleg für „das Scheitern der Unterzeichner des Nationalen Vertrags“, wie in der Tagespresse ein ums andere Mal betont wurde. Über die Erfolge der FIS, der FLN und der FFS bei den Wahlen im Dezember 1991, die im Januar 1992 annulliert worden waren, müßte man also kein Wort mehr verlieren.

Sind die Zahlen manipuliert? Mit einer linientreuen Verwaltung und mangels politischer Freiheiten und Widersacher hatte das Regime natürlich freies Feld. Öffentliche Kundgebungen von Parteien, die gegen die Art der Durchführung protestierten, wurden verboten, Aufrufe zum Wahlboykott galten als ziviler Ungehorsam. Dschamel Zenati, einer der aktivsten Vertreter der kulturellen Bewegung der Berber, wurde deswegen verhaftet und nach seiner Freilassung sofort von einigen Herren in Zivil abgeholt. Erst nach massiven Protesten seiner Anhänger kam er erneut frei. Die Wochenzeitung La Nation ist dreimal hintereinander mit Waffengewalt aus der Druckerei heraus beschlagnahmt worden, ohne daß auch nur ein offizielles Dokument vorläge. In einem derart autoritären politischen Klima konnten die etwa hundert internationalen Wahlbeobachter, darunter nur sechs Vertreter der Vereinten Nationen, natürlich nicht einmal die 7833 Wahlzentralen kontrollieren, geschweige denn die 33783 Wahlurnen. Nichtsdestoweniger ist ihre Anwesenheit von den offiziellen Stellen groß herausgestrichen worden.

Die islamistische Bewegung Hamas hat übrigens zunächst die Wahl angefochten, um dann sehr rasch den Protest einzustellen. Das gab Anlaß zu Gerüchten: Angeblich sollen der Hamas bei der Endauszählung eine Million Stimmen „aberkannt“ worden sein, weil die FIS bei den Stimmen für die Hamas insgeheim etwas nachgeholfen habe.

Die Zahl der Opfer, die der mörderische Konflikt in Algerien seit Januar 1992 gekostet hat, wird auf 40000 bis 60000 geschätzt. Ohne Frage haben die Machthaber in diesem zerrissenen Land großes Geschick darin bewiesen, in den entscheidenden Momenten die Debatte zu bestimmen. Als die letzten Wahlen abgebrochen wurden, stand die Frage im Vordergrund, ob dieses Vorgehen von der Verfassung gedeckt sei, die Diskussion über den Staatsstreich, der dem ersten Versuch, im Land demokratische Verhältnisse zu etablieren, ein Ende gesetzt hatte, schien zweitrangig. Doch damals ist der erste Schritt auf dem Weg zu blutigen Auseinandersetzungen getan worden, durch die für Millionen von Algeriern ein Leben mit Terrorismus, brutaler Unterdrückung und politischer Unfreiheit zur alltäglichen Situation geworden ist, während es gleichzeitig an Komplimenten vom Internationalen Währungsfonds keinen Mangel hatte. Selbst die Ermordung Mohammed Boudiafs im Juni 1992, den man in aller Eile aus dem Exil zurückgeholt und zum Präsidenten des Hohen Staatskomitees gemacht hatte, um dem Staatsstreich einen „legalen“ Anstrich zu verpassen, konnte unter diesen Umständen rasch zu einem von unzähligen unaufgeklärten Fällen der vergangenen Jahre werden.

Als humanitäre Organisationen anfingen, auf die offenkundigen und zahlreichen Verletzungen der Menschenrechte hinzuweisen, gelang es den Propagandisten des Regimes und ihren Unterstützern aus „demokratischen“ Kreisen, die Aufmerksamkeit dauerhaft auf die Greueltaten zu lenken, die den Islamisten zugeschrieben wurden: Mordanschläge auf Intellektuelle, Ausländer und Journalisten, vergewaltigte Frauen mit durchschnittener Kehle – ein Szenarium des Grauens, das wohl zuerst dazu diente, die westlichen Länder zu überzeugen, daß sie das Regime, wenn schon nicht offen zu unterstützen, so doch insgeheim zu fördern hätten.

Die gleiche Strategie wurde bei der Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen verfolgt. Während die Opposition sich mit der Frage herumschlug, welche politischen Bedingungen für eine Beendigung des Bürgerkriegs und damit für den Gang zu den Wahlurnen zu stellen seien, konzentrierte sich die staatliche Propaganda darauf, die Erklärungen der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA) groß herauszubringen, in denen Rache geschworen und allen mit dem Tode gedroht wurde, die es wagen sollten, sich in die Wählerlisten einzutragen oder die Wahllokale aufzusuchen.

Das allseits befürchtete Blutbad fand jedoch nicht statt. Im Gegenteil: Ungefähr zwei Wochen vor dem Wahltermin wurde es plötzlich so ruhig, daß viele Algerier wirklich glaubten, der Krieg sei vorbei. Sogar unter den Exilanten begann man ernsthaft über eine Rückkehr nachzudenken.

Allein durch das beeindruckende Aufgebot an Sicherheitskräften (Militär, Gendarmerie, Polizei, Miliz und Bürgerwehren, nach inoffiziellen Schätzungen mehr als 300000 Bewaffnete) ist diese Waffenruhe aber nicht zu erklären. Vor allem, weil die Gewalt zwei Monate später mit Autobomben und Anschlägen auf Journalisten um so heftiger wieder einsetzte. Daß die bewaffneten Gruppen nicht etwa ausgelöscht worden sind oder sich in großer Zahl in die Lage gefügt haben können, zeigt sich zum Beispiel daran, daß sie mit rund einhundert Kämpfern die Stadt Laghouat eine Woche lang besetzt zu halten vermochten.

Aber wie war es möglich, daß in den Wochen vor der Wahl Ruhe herrschte? Es bleibt ein Rätsel. Sicher ist jedoch, daß dieser „Hoffnungsschimmer“ nach einer Zeit des Schreckens und der kollektiven Psychose für Millionen Algerier der Auslöser war, wählen zu gehen.

Wahlfeiern im Pulverdampf

NATÜRLICH wirkten noch andere Faktoren zugunsten des Regimes. So haben zum Beispiel alle Kandidaten nationalistische Töne angeschlagen. Und als sich der algerische Staatspräsident im Dezember 1995 weigerte, in New York mit dem französischen Präsidenten zusammenzutreffen, machte die Presse daraus einhellig einen Sieg Algeriens über Frankreich. Millionen Bürger kamen zu dem Schluß: Wer etwas gegen den Niedergang des Landes tun will, muß General Zéroual wählen! Die Erstarkung des Regimes wurde gleichgesetzt mit einer Erstarkung Algeriens.

Wie man auch den zahlreichen Interviews mit Wählern entnehmen konnte, war jedoch der entscheidende Grund für die Stimmabgabe die Hoffnung auf eine Rückkehr zu innerem Frieden und Sicherheit. Daß diese Hoffnung betrogen worden ist, hat sich schon bei der Bekanntgabe der Ergebnisse gezeigt. Zu den ersten, die der neugewählte Präsident umarmte, gehörte ein Mitglied seines Unterstützerkomitees, der berühmte Milizionär Zidane al-Makhfi, der schon im Oktober 1988 zu den Waffen gerufen hatte – ein erbitterter Feind des Mehrparteiensystems.

Im übrigen waren die Wahlfeiern am 16. November in Pulverdampf gehüllt und von Maschinengewehrfeuer untermalt – kaum zu glauben, welche Massen von bewaffneten Zivilisten unterwegs waren. Nicht einmal am Tage der Unabhängigkeit 1962 hatte es eine derartige Demonstration der Stärke gegeben. Diese Art, symbolisch „die Waffen sprechen zu lassen“, wurde denn auch allseits als unmißverständliche Botschaft aufgefaßt.

In Algerien lebt man in einem ständigen Wechselbad der Empfindungen, einerseits glaubt man, alles könne sich ganz rasch ändern, andererseits hat man das Gefühl in einen Krieg ohne Ende geraten zu sein. Auch wenn die Medien ihre Berichte noch so geschickt montieren, die militärische Lage hat sich seit Januar 1992 nicht verändert, nur die Zerstörung schreitet fort, es gibt immer mehr Tote und Verletzte. Rasch hat sich gezeigt, daß die „dynamische Wirkung des 16. November“, auf die ein Teil der Algerier gehofft hatte, auch nicht mehr bewegt als zuvor der „verfassungsmäßige Staatsstreich“: Sie hat es nicht verstanden, die Logik der bewaffneten Auseinandersetzung zu durchbrechen, in einen offenen politischen Dialog mit der Opposition einzutreten, klar und in aller Öffentlichkeit der FIS ihren Platz im neuen politischen Kräftespiel Algeriens einzuräumen und „Begnadigungsmaßnahmen“ zu ergreifen, die dem Ausmaß der Tragödie angemessen gewesen wären.

In den zwei Monaten nach den Wahlen hat es übrigens nur eine konkrete Maßnahme gegeben, die als Begnadigung gelten kann: die Schließung des Lagers Ain M'guel und die Freilassung der 641 Insassen, die dort seit Februar 1992 festgehalten wurden. Über das künftige Schicksal der 17000 Algerier, die wegen terroristischer Aktivitäten im Gefängnis sitzen (die meisten von ihnen ohne Gerichtsverfahren), ist dagegen bislang nichts durchgedrungen, ebenso bleibt unklar, was mit den FIS-Führern Abassi Madani und Ali Benhadsch geschehen wird. Das deutlichste Beispiel von willkürlicher Inhaftierung ist der Fall von Abdelkader Hachani, der zum Zeitpunkt der Parlamentswahlen an der Spitze der FIS stand: Seit fast vier Jahren wird er ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis von Serkadschi festgehalten.

Nach Jahren des Krieges, der entfesselten Gewalt und der unentschuldbaren Exzesse auf beiden Seiten, hätte nur eine politisch ausgehandelte Amnestie den Teufelskreis der Vergeltung durchbrechen können. Aber die Machthaber ziehen es vor, hinter den Kulissen zu wirken und immer neue halbherzige Maßnahmen zu treffen. Die Oppositionsparteien des „Nationalvertrags“ von Rom dagegen, die sich mit dem Ergebnis der Wahlen und dem gewählten Präsidenten abgefunden haben, sind nach wie vor zu einem ernsthaften politischen Dialog bereit. Soweit sie nicht verboten sind, rüsten sie sich bereits für die nächsten Wahlen. FLN und FIS sind in interne Machtkämpfe verstrickt und müssen sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen, den Kampf aufgegeben zu haben; die Machthaber rechnen sich deshalb gute Chancen aus, diese Parteien zu domestizieren.

Was die FLN angeht, sind diese Bemühungen schon weit gediehen. Generalsekretär Abdelhamid Mehri, der sich besonders für den „Nationalvertrag“ eingesetzt hatte und dem es zu verdanken war, daß sich die ehemalige Einheitspartei entschlossen gegen die militaristische Politik stark gemacht hatte, ist entmachtet worden. Auf der Sitzung des Zentralkomitees am 17. und 18. Januar haben ihn die „Parteifürsten“ der verfeindeten Clans überstimmt. Sie sind nur zu gern bereit, Präsident Zéroual die Partei zu bieten, die er so dringend braucht.

Abdelhamid Mehris designierter Nachfolger war der ehemalige Premierminister Mouloud Hamrouche, der Führer des Reformflügels, ein Mann, der im Streit zwischen den Machthabern und der Opposition für die Argumente beider Seiten ein offenes Ohr hat. Aber auch er konnte sich nicht durchsetzen: mit 82 zu 89 Stimmen verlor er die Wahl gegen Boualem Benhamouda. Der neue Generalsekretär der FLN ist Minister unter Houari Boumedienne und Chadli Bendschedid gewesen. Gestützt auf diesen Erfolg, wird das Regime nun zweifellos seine Machenschaften zur Destabilisierung der FFS verstärken, die durch die lange Abwesenheit ihres Führers Ait Ahmed bereits geschwächt ist.

Wo „Restterroristen“ nicht in der Minderheit sind

DIE offiziell aufgelöste FIS muß auf verschärfte Verfolgung gefaßt sein, während ihre Führer, die im Gefängnis sitzen oder beschränkte Bewegungsfreiheit genießen, regelmäßig zu mehr oder weniger geheimgehaltenen Plauderstündchen geladen werden. Natürlich liefert so etwas neuen Zündstoff für die inneren Auseinandersetzungen, die teils der politischen Führungsschwäche in der Heilsfront, teils den machiavellistischen Manipulationen der Polizei zu verdanken sind.

Zweifellos kann das Regime die Wahlen vom 16. November als deutlichen Erfolg verbuchen; aber zu welchem Preis? Neben den Bemühungen, die in der Bevölkerung verankerten Parteien zu zerrütten, wird der mörderische Krieg fortgesetzt, den Präsident Zéroual kürzlich in einer Rede als das Problem des „Restterrorismus“ bezeichnet hat. Wenn nicht noch eine überraschende Wende eintritt, beginnt für jene Kräfte der Opposition, die sich für einen demokratischen und friedlichen Wandel einsetzen, eine Phase des Niedergangs.

Das Regime, das ja nicht nur aus dem Präsidenten besteht, sondern ein kompliziertes System aus Bürokratie, Interessenverflechtungen und militärischer Macht darstellt, wird die Lage nutzen, um die Position der einen zu stärken und die der anderen zu schwächen. Unterdessen wird der „Restterrorismus“ weiterhin unschuldige Oper fordern und den Machthabern als Vorwand dienen, sich allzu aufsässiger Gegner zu entledigen.

Seit die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen bekannt waren, ist in den Zeitungen und unter den Parteien, die dem Regime verbunden sind, über die Neugestaltung der politischen Landschaft diskutiert worden. Einige Gruppierungen, wie die RCD unter Said Sadi oder die Hamas unter Mahfoud Nahnah, machen sich jetzt Hoffnungen, den Platz ihrer einst mächtigen Konkurrenten von der FFS (für den ersten) und der FIS (für den zweiten) einnehmen zu können. Die Möglichkeit, daß eine neue Partei des Präsidenten gegründet werden könnte, hatte bereits heftige Begehrlichkeiten in den Unterstützer- Komitees geweckt; vermutlich wird man es aber vorziehen, die FLN wieder in die Pflicht zu nehmen. Natürlich geht diese Neuordnung der politischen Szene zu Lasten der Parteien, die den „Nationalvertrag“ unterschrieben haben, aber die Hegemonialansprüche der Anhänger des Präsidenten dürften verhindern, daß die anderen politischen Kräfte daraus allzuviel Vorteil ziehen können.

Zweifellos paßt diese politische Strategie, die auch von einer Reihe westlicher Partnerländer unterstützt wird, zur Umsetzung des Programms zur strukturellen Anpassung, das der Internationale Währungsfonds vorgegeben hat. Diese Entwicklung wird eine zunehmende Verarmung der Bevölkerung, vor allem der unteren Schichten und des Mittelstands, zur Folge haben, während die neue Bourgeoisie, deren Aufstieg von Kapitaleinkünften und Korruption getragen ist, die offiziellen Weihen erhält. Die algerische Gesellschaft läuft Gefahr, daß alle, denen im Namen der Terrorismusbekämpfung das Wort verboten wird und denen man die Möglichkeit nimmt, sich glaubwürdige Vermittler ihrer Interessen zu wählen, am Ende ihr Heil nur noch im verzweifelten gewaltsamen Aufbegehren suchen können.

dt. Edgar Peinelt

Herausgeberin der Wochenzeitschrift La Nation, Algier

Le Monde diplomatique vom 16.02.1996, von Salima Ghezali