16.02.1996

Für eine Weltdevisenbörse

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Für eine Weltdevisenbörse

■ Das Universum der öffentlichen wie der privaten Finanzen bietet gegenwärtig das Bild einer erdrückenden, unentzifferbaren Welt, die sich nur wenigen Auserwählten der

Das Universum der öffentlichen wie der privaten Finanzen bietet gegenwärtig das Bild einer erdrückenden, unentzifferbaren Welt, die sich nur wenigen Auserwählten der oberen Zehntausend erschließt. Eine Welt des Chaos und zugleich einer höheren Ordnung. Dennoch ist in absehbarer Zeit eine Kontrolle auf verschiedenen Ebenen denkbar, und zwar sowohl für das weltweit zirkulierende Kapital als auch im Rahmen der europäischen Währungsunion. Dies wird nicht ohne heftige Konflikte mit den verschiedenen Wirtschaftszweigen und nationalen Interessen abgehen.

Von

RUBEN

MENDEZ *

DA die traditionellen Methoden nicht greifen, stellt sich die Frage, wie man die Aktivitäten der internationalen Organisationen finanzieren soll, wenn die Zahlungen der einzelnen Mitgliedsstaaten nicht mehr gewährleistet sind. Doch es gibt eine potentielle Geldquelle: den florierenden Devisenmarkt.

Auf diesem Markt werden täglich etwa 1500 Milliarden Dollar umgesetzt, also mehr als das gesamte disponible Geldvolumen der USA und mehr als die gesamten Währungsreserven aller nationalen Notenbanken. Ein großer Teil dieser Summe wird für Im- und Exporte, für Investitionen und für Reisen verwendet, doch ein anderer, nicht unerheblicher Teil beruht auf Spekulationsgeschäften und dem simplen Informationstransfer von Geschäftsbanken.

Um das letztgenannte Phänomen einzudämmen, hat der Wirtschaftswissenschaftler James Tobin vorgeschlagen, diese Transaktionen zu besteuern und den Ertrag für weltweite Entwicklungsprojekte zu verwenden. Aber die Umsetzung dieser Idee stößt auf beträchtliche Hindernisse: Sie erfordert erstens einen umfangreichen, kostspieligen Verwaltungsapparat; zweitens dürfte es nicht einfach sein, ein universell arbeitendes System zu schaffen, und drittens könnten die Händler in „Steuerparadiese“ ausweichen, in denen der Steuersatz sehr niedrig oder sogar gleich Null ist; außerdem könnten die Banken ihrerseits Derivate oder andere Finanzinstrumente benutzen, die keiner Besteuerung unterliegen. Vor allem aber würden die meisten politischen Entscheidungsträger einen solchen „Eingriff“ in die sakrosankten Marktmechanismen ablehnen.

Eine andere Lösung, die genannte Quelle abzuschöpfen, könnte darin bestehen, eine Weltdevisenbörse einzurichten: sozusagen einen Marktmechanismus, der die technischen und politischen Hindernisse des Tobin-Vorschlags umgeht. Und der dem Allgemeinwohl weltweit große Kapitalmengen zutragen könnte.

In seinem gegenwärtigen Zustand ist der Devisenmarkt gänzlich unorganisiert und faktisch zweigeteilt, wobei in beiden Bereichen die gleichen Kosten anfallen: Einerseits gibt es den von einer starken Konkurrenz geprägten Interbankenmarkt, auf dem sich das günstigste Angebot durchsetzt; andererseits den allgemein zugänglichen Markt, zu dem – wenn auch bei hohen Zinsen – die Endabnehmer (also Importeure, Exporteure, Fondsverwalter, Industrieunternehmen usw.) Zugang haben.

Ähnlich wie die nationalen Börsen würde auch eine Weltdevisenbörse dazu dienen, Ordnung in die Transaktionen zu bringen. Ankaufs- und Verkaufsaufträge würden wie an der vollautomatisierten Börse von Tokio elektronisch bearbeitet, was die Kosten für den Endabnehmer senken würde. Die Systemnutzer müßten entweder Mitglied sein oder sich an Vermittler wenden, die wie die Endabnehmer für jede Transaktion Gebühren und Provisionen zu zahlen hätten. Der Umtausch von Devisen hätte seinen Preis, aber dieser läge niedriger als der, den die gleichen Verbraucher heute bei den Banken zahlen müssen, die derzeit ihre einzigen Ansprechpartner sind. Eine solche Börse würde für alle niedrigere Wechselkurse bedeuten, wie auch reale, wettbewerbsfähige Devisenpreise, denn anders als heute wäre damit anderen Käufern und Verkäufern der Marktzugang eröffnet. Diese Börse würde Ordnung und Effizienz in einen chaotischen Markt bringen und könnte bei solider Planung und Durchführung große Gewinne erzielen. Die Verlierer wären die Banken, die vom gegenwärtigen System enorm profitieren und sich deshalb natürlich gegen eine neue Institution wehren würden, auch wenn sie sich auf sie einstellen könnten.

Das Ertragspotential einer solchen Börse wäre enorm. Sieht man einmal von diversen Transaktionen ab, wie etwa denen der Intermediäre, könnte man davon ausgehen, daß etwa 12 Prozent der gegenwärtigen Devisengeschäfte auf die Endabnehmer entfallen – also auf den Marktsektor, dem die Börse zugute käme. Bei einem Geschäftsvolumen von insgesamt 1500 Milliarden Dollar könnten jeden Tag etwa 180 Milliarden zu einem günstigeren Tarif umgetauscht werden. Würden beispielsweise 70 Prozent dieses Marktes an dieser Börse gehandelt, betrüge der Tagesumsatz etwa 126 Milliarden Dollar. Die Gebühren könnte man sehr niedrig ansetzen: Bei einem Gebührensatz von 0,01 Prozent lägen die Tageseinnahmen bei 12,6 Millionen Dollar, bei 0,1 Prozent wären es täglich 126 Millionen Dollar. Die Verwaltungskosten eines solchen Apparates würden also in jedem Fall unter den erzielten Erträgen liegen, und auch unter den Kosten, die die Einführung einer internationalen Steuer verursachen würde.

Für ein solches Projekt ist eine Zusammenarbeit von öffentlichem und privatem Sektor durchaus denkbar. Doch noch sinnvoller wäre es, eine öffentliche internationale Organisation ins Leben zu rufen, die den Vereinten Nationen angegliedert wäre und deren Gewinne Programmen der Friedenssicherung, der Entwicklungshilfe, dem Umweltschutz und Sozialmaßnahmen zugute kommen sollten. Die Kapitalinvestitionen könnten von verschiedenen Treuhändern getätigt werden, und zwar nicht nur von Regierungen, sondern auch von internationalen Organisationen wie der UNO, dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP), der Weltbank, den regionalen Entwicklungsbanken und vielleicht auch vom IWF, der Bank für internationalen Zahlungsausgleich oder sogar von Vertretern des Privatsektors.

Einige Fragen bleiben dennoch. Zum Beispiel, ob die UNO ein solch komplexes System technisch überhaupt bewältigen kann. Die Antwort dürfte negativ ausfallen, so daß eine neue Institution geschaffen werden müßte. Der UNO bliebe nur noch die Aufgabe, die Dividenden an die entsprechenden Antragsteller zu verteilen.

Die Banken als Verlierer

WEITER gibt es das Risiko der Korruption. Es könnte durch die Gründung von Aufsichtsbehörden verringert werden, wie es sie für die Börsen bereits gibt. Gegenwärtig unterliegt der Devisenhandel keinerlei Überwachung, wenn man einmal von den Ländern der Dritten Welt absieht, die noch Devisenkontrollen praktizieren.

Ein anderes, weit wichtigeres Problem sind Inkompetenz und mangelnde Effizienz. In den ersten fünfzig Jahren ihrer Existenz hat die UNO darunter gelitten, daß die Großmächte sie entweder vernachlässigt oder sogar gegen sie gearbeitet haben. In Zukunft ist jedoch mit einer ernsthaften Reform zu rechnen, in deren Folge die UNO realistischere Mandate erhalten wird, samt finanzieller Mittel, die diese Bezeichnung auch verdienen. Aber es wird keine sinnvolle Reform der UNO ohne eine Reform ihrer Finanzen geben.

Durch die Schaffung einer Devisenbörse wird man unter anderem auch einen Teil derjenigen Einkünfte besteuern können, die aus transnationalen Handelsgeschäften stammen. Ein Maßstab könnte dabei sein, in welchem Umfang sie weltweit operieren. Die Erschließung einer bedeutenden internationalen Geldquelle, die keiner Regierung untersteht, könnte dem Norden helfen, einige seiner realen wie imaginären Probleme anzugehen: die weltweite Verschuldung, das Bevölkerungswachstum, das bedrohte ökologische Gleichgewicht, die Herausforderungen durch die vielen Flüchtlinge und die Zuwanderung unerwünschter Bevölkerungsgruppen. Für den Süden wiederum würde eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit für längerfristige Entwicklungsprojekte erschlossen, für die Schuldentilgungen und den Wiederaufbau zerstörter oder bankrotter Staaten. Auf diese Weise könnte die weltumspannende Staatengemeinschaft eine Weltpolitik finanzieren – eine Politik der Sicherheit und des Friedens in der Zeit nach dem Ende des kalten Krieges.

dt. Christian Voigt

* Professor an den Universitäten von Yale und New York, Historiker des UNPD und Verfasser von: „International Public Finance: A New Perspective on Global Relations“, Oxford (Oxford University Press) 1992.

Le Monde diplomatique vom 16.02.1996, von Ruben Mendez