15.03.1996

Gewerkschaftsbewegung, aber wohin?

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Gewerkschaftsbewegung, aber wohin?

DAS internationale Treffen von Davos im Februar dieses Jahres hat erneut deutlich gemacht, daß es den nationalen Bevölkerungen nach wie vor an einer gemeinsamen Strategie fehlt, die sie der beschleunigten Globalisierung entgegensetzen könnten. Auch die französische Gewerkschaftsbewegung ist trotz der Sympathiebekundungen aus vielen Ländern bislang kaum in ein Netz internationaler Solidarität eingebunden. Allerdings könnten die Streiks vom Dezember 1995 ein neues Selbstbewußtsein fördern und den Willen zum Widerstand stärken. Vielleicht erweisen sie sich sogar, einmal prophetisch gesprochen, als Ausgangspunkt einer umfassenderen politischen Bewegung?

Von JACQUES KERGOAT *

Nachdem sie seit fast einem halben Jahrhundert kontinuierlich an Macht und Einfluß verloren hat, steht die französische Gewerkschaftsbewegung nach den sozialen Unruhen vom vergangenen Dezember plötzlich wieder im Mittelpunkt des Interesses. Ihre Wiederbelebung wird ganz wesentlich davon abhängen, ob sie imstande ist, die neuen sozialen Kräfte und Erwartungen zu integrieren. Die Streiks im öffentlichen Dienst und die Zustimmung, die sie bei weiten Teilen der Bevölkerung fanden, erlauben erste Rückschlüsse auf die neu entstandenen Kräfte und Erwartungen.

Von 1947 bis 1958 fiel die Zahl der eingeschriebenen Gewerkschaftsmitglieder von 50 auf 27 Prozent. Das Schwinden der in der Résistance entstandenen Hoffnungen, die Anpassungsschwierigkeiten (schon damals) an ein sich veränderndes industrielles System und die entstehende „neue Arbeiterklasse“1 sind mögliche Erklärungen für diesen Rückgang. Auch Konflikte und Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse spielten eine Rolle. Denn der Mitgliederschwund betraf vor allem die Force ouvrière (FO) und mehr noch die Confédération générale du travail (CGT). Seit sich die Gewerkschaftsbewegung 1947 gespalten hatte, war es ständig zu Auseinandersetzungen zwischen den Aktivisten der beiden Gewerkschaften gekommen; im Verlauf des Bergarbeiterstreiks waren diese sogar handgreiflich gewesen. Durch den Kalten Krieg wurde die Unterscheidung in „Kosaken“ auf der einen, „CIA-Agenten“ auf der anderen Seite endgültig zementiert. Die Fédération de l'éducation nationale (FEN) und die Confédération française des travailleurs chrétiens (CFTC), die sich bewußt von dieser Spaltung absetzten, konnten wachsende Mitgliederzahlen und zunehmende Sympathie verzeichnen.

Zwischen 1958 und 1977 pendelte sich die Zahl der gewerkschaftlich Organisierten ein, das heißt sie stieg leicht an, von 27 auf 30 Prozent: Das Mitgliedertief bei FO und FEN wurde durch den Zuwachs bei der nicht mehr konfessionsgebundenen CFDT aufgewogen. Die Unruhen vom Mai 1968 änderten kaum etwas an dieser Tendenz: Zuwachs bei CFDT und CGT, stabile Verhältnisse bei der FO, weiterer Rückgang bei der FEN.

1978 kam es zu einem massiven Einbruch: Von 30 Prozent sank die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder bis auf das derzeitige Niveau von 11 Prozent. Die CGT verlor drei Viertel ihrer Anhängerschaft, die CFDT fast die Hälfte, FO ungefähr ein Drittel. Die FEN dagegen verlor bis zu ihrer Spaltung 1994 rund die Hälfte ihrer Mitglieder. Und bei den Betriebsratswahlen lagen nunmehr die „Nichtgewerkschaftlichen“ vorn, ihr Anteil stieg von 17 auf 28 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Alle Erklärungsansätze für diesen Rückgang sind bislang unbefriedigend geblieben. Die „Zerschlagung“ der gewerkschaftlichen Hochburgen in der Industrie? Sicher; aber bei der Post (PTT) verlor die CGT ebenfalls die Hälfte ihrer Mitglieder, und im Finanzwesen zwei Drittel. Unfähigkeit, sich an die neuen Gegebenheiten der Gewerkschaftsarbeit anzupassen? Zweifellos; aber bei der CFDT, die als anpassungsfähig gilt, ging im gleichen Zeitraum die Zahl der Mitglieder von 903000 auf 515000 zurück. Hinzu kamen die wachsende Arbeitslosigkeit und die widersprüchlichen Folgen einer Linken an der Macht. Und überdies steht am Beginn des Rückgangs – 1978 – eine erneute Spaltung der Gewerkschaftsbewegung: die Aufkündigung der Aktionsgemeinschaft zwischen CGT und CFDT.2

Außer Force ouvrière sehen mittlerweile alle Gewerkschaften die Realität der Krise. Und in den sozialen Kämpfen und Bewegungen werden Elemente erkennbar, die auf eine mögliche Überwindung der Schwäche hindeuten: die „Koordination“ in den Kämpfen der Eisenbahner und des Krankenhauspersonals; die „Demokratie der Vollversammlungen“, die sich in den Unruhen vom Dezember 1995 allgemein durchsetzte. Keine dieser Organisationsformen könnte die Gewerkschaftsbewegung ersetzen, aber sie drücken Wünsche und Bedürfnisse aus, die innerhalb der Gewerkschaft kaum zu befriedigen sind: den Wunsch nach einem Handeln in Eintracht, die Abneigung gegen Strategien, die anderswo beschlossen werden, den Wunsch nach mehr Nähe in der Gewerkschaftsarbeit, nach Möglichkeiten, direkt einzugreifen, teilzunehmen und mitzuentscheiden. Die Meinungsumfragen zeigen, daß eine starke Gewerkschaftsbewegung von vielen befürwortet wird – damit ist allerdings nicht gesagt, daß die Gewerkschaften tatsächlich aktive Mitglieder gewinnen.

In dieser komplexen Situation sind unlängst neue Elemente ins Spiel gekommen. Da ist zunächst die Gründung der Fédération syndicale unitaire (FSU), die mit dem Scheitern einer von der FEN angestrebten „gewerkschaftlichen Wiedervereinigung“ zusammenfällt. Die FEN hatte den Zusammenschluß aller reformorientierten Gewerkschaften (FO, CFDT, FEN und einiger unabhängiger Gewerkschaften wie der Fédération autonome des fonctionnaires FGAF) zu einem Dachverband angestrebt – ein Arbeiterbündnis unter Ausschluß der kämpferischen Gewerkschaften. Aber diese „Neuorganisierung“ ist bislang nicht zustande gekommen: Die FO schmollt, und die innerlich zerrissene CFDT kann sich nicht integrieren. Erstaunlicherweise ist es dagegen den ausgeschlossenen Gewerkschaften gelungen, ihre Mitgliederzahlen nicht nur zu halten, sondern sogar zu steigern. Zum ersten Mal in der französischen Gewerkschaftsgeschichte führt damit eine Spaltung nicht zu einem spürbaren Rückgang der Zahl aktiver Mitglieder. Unter den Lehrern hat die FSU mit ihren neuen Ideen und Strategien sogar eine solide Mehrheit gefunden.

Fast im gleichen Moment tritt mit der „Zehnergruppe“ – die in Wahrheit rund zwanzig Organisationen unterschiedlicher Größe und Provenienz vereint – eine autonome Gewerkschaftsbewegung mit unorthodoxen Vorgehensweisen auf den Plan. Ihre tragenden Elemente (sowohl inhaltlich wie mitgliedermäßig) sind das Syndicat nationale unifié des impôts (SNUI) und SUD-PTT. Die Geschichte des SNUI ist bestimmt von der Ablehnung einer Gewerkschaftsspaltung, es existiert auch eine korporativistische Traditionslinie. SUD-PTT entstand vor rund zehn Jahren, als die CFDT in der Île de France von den Betriebsräten der Post ausgeschlossen wurde. Unitaristisch, offensiv und aktiv an einer Reihe von sozialen Kämpfen beteiligt (wie den Zusammenschlüssen der Arbeitslosen und der Frauenrechts-Verteidigerinnen), konnte SUD bei der Post oder bei France-Telecom sehr schmeichelhafte Ergebnisse erzielen (27 Prozent der Stimmen, vor der CGT, aber hinter der CFDT) und hat damit bewiesen, daß eine „radikale“ Organisation in diesem sozialen Umfeld durchaus eine Massenbasis gewinnen kann. Das Gespann SNUI-SUD hat den Block der Unabhängigen auf eine kämpferische Gewerkschaftsarbeit hin orientiert.

Die CGT dagegen entwickelt sich auf ihre Weise und nach ihrem eigenen Rhythmus. Die vor vier Jahren auf dem 44. Gewerkschaftstag angeschnittenen Debatten der „Erneuerer“3 blieben nicht ohne Erwiderung: Louis Viannet zeigt hierbei eine überraschende Bereitschaft, auf die Überlegungen seiner Gegner einzugehen.4 Auf dem jüngsten Gewerkschaftstag der CGT gab es Entschließungen, die mit Mehrheiten von 60 zu 40 Prozent angenommen wurden (und nicht wie früher mit 90 zu 10 Prozent), was beweist, daß die diskutierten Fragen ernst genommen werden.

Force ouvrière ringt mit sich. Sicherlich kann man die Versuche der Annäherung an die CGT als Spinnereien einer Handvoll Ewiggestriger und Dogmatiker abtun, wie es in den Medien oft genug geschieht. Andererseits ist nicht zu leugnen, daß durch den Zusammenbruch der Länder des „realen Sozialismus“ ein Teil der Motive der Spaltung von 1947 weggefallen ist. Auch mag man der Opposition gegen Marc Blondel einen konturlosen Modernismus vorwerfen. Was aber die gewerkschaftlichen Forderungen angeht, stehen diese Oppositionellen dem linken Flügel der CFDT manchmal näher als Nicole Notat.

Seit einigen Jahren sind die Kräfteverhältnisse innerhalb der CFDT recht ausgewogen. In Anbetracht der aufeinanderfolgenden Ausschlußwellen waren Beobachter seit längerem der Meinung, daß die Gewerkschaftsführung keine Opposition mehr zu fürchten habe. Weit gefehlt: So hat der Gewerkschaftstag in Montpellier Nicole Notat zwar wiedergewählt, gleichzeitig aber den Rechenschaftsbericht der Gewerkschaftsführung abgelehnt. In einer solchen Situation wirkt es erst recht unsinnig, wenn die Vertreter der Opposition aus Gewerkschaftsorganen ausgeschlossen werden.

Die Rolle der Feministinnen

DIE soziale Bewegung vom Dezember 1995 wirkte in diesem Gefüge wie ein Erdbeben. Die äußeren Folgen sind bekannt: eine in sich zerrissene CFDT, mit einer Basis, die Juppé auspfeift, und einer Führung, die ihm zuzustimmen scheint; eine sehr geschlossene CGT, die sich aber hartnäckig weigert, an die Spitze der Bewegung zu treten; ein Händedruck zwischen den Herren Blondel und Viannet, der durch die Aktionseinheit auf lokaler Ebene häufig bekräftigt wird und für die FO eine regelrechte kulturelle Revolution bedeutet, angesichts ihrer durch den Antikommunismus geprägten Weltanschauung; neue kleine Gewerkschaften, SUD- PTT und FSU, die sich in den Streiks und Demonstrationen einen bevorzugten Platz erobern. Doch eine grundsätzliche Herangehensweise it für die Um- und Neuorientierung der Gewerkschaften dringend vonnöten.

Im letzten Dezember waren alle Beobachter verblüfft über die Wiedereinführung der berufsgruppenübergreifenden Versammlungen: Keine Vollversammlung der Eisenbahner ohne die Anwesenheit oder Teilnahme von drei Postangestellten, vier Bankangestellten, zwei Kommunalbeamten sowie etlichen Angestellten der staatlichen Gaswerke. Hauptproblem hierbei war die Tatsache, daß die Gewerkschaftsstrukturen, die solche berufsgruppenübergreifenden Aktivitäten in sich hätten aufnehmen und zu neuem Leben erwecken können, schon lange im Verfall begriffen sind.

Im letzten Dezember haben die Lohnabhängigen des privaten Sektors die Gemeinsamkeiten mit den Kollegen im öffentlichen Dienst betont und sich um die Unterschiede wenig Gedanken gemacht. Das ist beachtlich: Die oft formulierte Idee eines „Stellvertreterstreiks“ im Privatsektor ist gar nicht verkehrt. Für die Gewerkschaften hingegen liegt da eine Herausforderung: Wie bringt man die Lohnabhängigen des Privatsektors vom Stellvertreterstreik zum Streik schlechthin? Man müßte zunächst das Argument von der drohenden Arbeitslosigkeit entkräften. Nur wie?

Im letzten Dezember ist es Arbeitgebern und Regierung nicht gelungen, Arbeitslose und Streikende gegeneinander auszuspielen. Die Arbeitslosen verfolgten Streiks und Demonstrationen mit Sympathie und gingen ihrerseits (mehr als andersherum) auf die Lohnabhängigen zu, insbesondere durch ihre Teilnahme an Gewerkschaftsveranstaltungen. Wird es ihnen gedankt werden? Zwar haben die Erfolge von „Agir contre le chômage“ und andere Bemühungen hier und dort positive Ansätze gezeigt, doch das für für die Zukunft der französischen Arbeiterbewegung entscheidende Bündnis von Arbeitern und Arbeitslosen ist nach wie vor in weiter Ferne.

Im letzten Dezember hat die Demokratie der Vollversammlungen gut funktioniert, aber auch ihre Grenzen gezeigt. Wenn der Streikgegner der Staat ist, fällt es schwer, in kleinen, lokalen Einheiten zu entscheiden. Gestern noch dirigistisch und zentralistisch, haben die Gewerkschaften heute die Tendenz, ins andere Extrem zu verfallen. Dennoch: Zuhören bedeutet nicht notwendigerweise verstummen. Es könnte heißen, zu reden, nachdem man zugehört hat (und nicht vorher), es könnte heißen, Vorschläge zu machen, statt Befehle zu erteilen. Auch in Zukunft sollen die Gewerkschaften die Kämpfe organisieren, nur: demokratisch.

Im letzten Dezember haben Frauen die Demonstrationen belebt, sind kräftig mitmarschiert, den Ruf nach Solidarität auf den Lippen. An den Streikposten und auf den Vollversammlungen allerdings waren sie nicht so oft zu sehen. Dafür gibt es viele Gründe.5 Die traditionelle Aufgabenteilung in der Familie dürfte hier, noch verschärft durch Transportprobleme, eine Rolle gespielt haben: Die Frauen im Haushalt, die Männer im Kampf. Während des langen Arbeitskampfes des Krankenhauspersonals war dieses Problem weniger spürbar. Das liegt zweifellos daran, daß in diesem Bereich viele Frauen arbeiten, außerdem dürfte die Schichtarbeit zu einer veränderten Verteilung der häuslichen Aufgaben unter den Partnern geführt haben. Überhaupt bewirkt die gegenwärtige Krise, daß die Privatsphäre nicht mehr so deutlich vom öffentlichen Raum abgegrenzt ist. Der Erfolg der Demonstration am 25. November letzten Jahres – 40000 Menschen in Paris – hat es deutlich gezeigt: In seiner neu erworbenen Legitimität wird der Feminismus solche Fragen stärker in die Diskussion bringen. Die Gewerkschaften haben diese Probleme lange Zeit abgeblockt, darum sind sie auf die daraus folgenden Situationen ungenügend vorbereitet.

Auch die jüngeren Generationen der Lohnabhängigen stehen – wie man erleben konnte – den Gewerkschaftsorganisationen nicht feindlich gegenüber. Aber sie neigen zu einer Konsumentenhaltung. Gewiß, ihre unsichere Beschäftigungslage erlaubt den jungen Leuten oft nicht, eine stabile Beziehung zu einer Gewerkschaft aufzubauen, vorausgesetzt, sie ist im Betrieb überhaupt präsent. Aber ist das der einzige Grund? Die meisten der 18- bis 24jährigen halten den „Schutz der Arbeitslosen“, die „Wiedereingliederung der Ausgegrenzten“ und die „Solidarität zwischen französischen und eingewanderten Arbeitnehmern“ für die vorrangigen Ziele einer Gewerkschaft.6 Kein Wunder, daß ihr Engagement gering ausfällt, denn dies sind derzeit nicht die vorrangigen Ziele der Gewerkschaften.

Im letzten Dezember hat in den sozialen Unruhen ein anderes Europa als das des Maastrichter Vertrags seinen Willen bekundet. Werden die europäischen Gewerkschaften den neuen Aufgaben gewachsen sein?7 Lediglich die Eisenbahner haben bislang einen Streik auf europäischer Ebene durchgeführt; die Kontakte innerhalb der einzelnen Berufsgruppen sind noch kaum entwickelt, und die europäische Föderation der Gewerkschaften, die gegenüber der CGT an einer völlig überholten Ausschlußpolitik festhält, scheint nicht der geeignete Rahmen für eine solche Zusammenarbeit. Eine europäische Richtlinie schreibt vor, daß in großen Unternehmen, die in mehreren Ländern Arbeiter beschäftigen, „Gruppenkomitees“ gebildet werden sollen; gegenwärtig gibt es solche Komitees in rund vierzig Unternehmen.8 Die gewerkschaftliche Praxis steckt diesbezüglich noch in den Kinderschuhen.

Die sozialen Unruhen vom vergangenen Dezember haben eine Reihe von großen Fragen aufgeworfen, von der sozialen Sicherheit bis zu den öffentlichen Dienstleistungen – politische Probleme im besten Sinn des Wortes. Die Gewerkschaften werden darauf nur dann eine ernsthafte Antwort geben können, wenn sie ein „Gesamtkonzept“ erarbeiten, worin sich im übrigen auch ihre Unabhängigkeit von den sie tragenden Parteien und Gruppen dokumentieren würde. Aber das könnte dem leidigen Vorwurf der „Politisierung“ der Gewerkschaften weitere Nahrung verschaffen und womöglich die politischen Differenzen weiter vorantreiben, die schon wiederholt zur Spaltung der Gewerkschaftsbewegung geführt haben.

Man muß die taktischen Probleme, vor denen diese Organisationen stehen, im Gesamtzusammenhang betrachten. Demnächst wird die SUD ihre dynamische Entwicklung vielleicht auch außerhalb des Bereiches der Post (PTT) weiterführen (eine Minderheit von Eisenbahnern der CFDT ist der jungen Organisation schon beigetreten). Möglicherweise bildet sich in absehbarer Zeit rund um die CFDT und die FEN ein „reformistischer“ Pol heraus, und die im letzten Jahr beobachtete Annäherung zwischen CGT und FO wird vielleicht Realität. Aber der wirkliche „Ausweg aus der Krise“ bestünde darin, angeregt durch die Erschütterungen vom Dezember 95 einmal neu die Frage nach der Einheit aufzuwerfen. Es geht nicht darum, die vorhandenen Divergenzen herunterzuspielen, aber vielleicht lassen sie sich ja im Rahmen einer einheitlichen Bewegung besser handhaben. Um eine Bemerkung von Sylvie Salmon- Thorreau, Generalsekretärin der Transportgewerkschaft in der CGT, zu zitieren: Die Gewerkschaft kann keine Sammlungsbewegung sein, wenn sie nicht selbst gesammelt ist.9 Eine solche Perspektive aber basiert auf einer Neugründung, die getragen ist von dem gemeinsamen Willen, auf die anstehenden Fragen neue Antworten zu finden.

dt. Barbara Kleiner

1 Im Januar 1959 erscheint in der Zeitschrift La Nef die erste von drei Untersuchungen, diejenige über die Caltex, die für das Buch von Serge Mallet, „La Nouvelle Classe ouvrière“, Paris (Seuil) 1963, das Material liefern sollten.

2 Das Ende des gemeinsamen Programms von PCF, PS und Radicaux de gauche (Radikallinken) führte ein Jahr später zur Aufkündigung des 1974 zwischen Edmond Maire (CFDT) und George Séguy (CGT) vereinbarten gemeinsamen Aktionsprogramms.

3 Gérard Alezard, Lydia Brovelli, Gérard Delahaye, Jean Michel Leterrier, „Faut-il réinventer le syndicalisme?“ Paris (Editions l'Archipel) 1995.

4 Louis Vionnet, „Syndicalisme, les nouveaux défis“, Paris (Editions de l'Atelier) 1995.

5 Vgl. Danièle Kergoat in „Parole autour d'un conflit“, France-Culture, 14. Dezember 1995.

6 Umfrage der CSA über das Bild der Gewerkschaften, durchgeführt im Auftrag der CGT, 1993 und 1995.

7 George Ross, „Glanz und Elend der Gewerkschaftsbewegung“, Le Monde diplomatique, Januar 1996.

8 Siehe Jean Claude Boual (Hrsg.), „Syndicalisme, quel second siècle?“, Paris (Editions de l'Atelier) 1995.

9 In „Demain, le syndicalisme“, Politis-La Revue Nr. 1, Februar 1994.

* Historiker, Forschungsdirektor von Société Syndicalisme (Ressy), Autor von „Marceau Pivert, Socialiste de gauche“, Paris (Editions de l'Atelier) 1994.

Le Monde diplomatique vom 15.03.1996, von Jacques Kergoat