15.03.1996

Festungsstädte nur für Reiche

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Festungsstädte nur für Reiche

In aller Stille und gut geschützt vor indiskreten Blicken beginnt sich weltweit ein neues Modell städtebaulicher Apartheid durchzusetzen. Im Norden wie im Süden, von Los Angeles bis Johannesburg, von Rio de Janeiro bis Lagos, wachsen in sicherem Abstand zu ungelösten gesellschaftlichen Konflikten neue Städte oder Stadtteile heran, die von Reichen bewohnt und von bewaffneten Milizen bewacht werden. In diesen „privatisierten“ Bezirken, die eine Welt für sich bilden und zu denen Unbefugte keinen Zutrit habe, gehen Millionen von Privilegierten ihren Geschäften nach – abgeschirmt von der Gewalt, dem Elend und der Not, die jenseits ihrer hohen Mauern zum alltäglichen Leben der Menschen gehören. Wie will man eine glaubwürdige Diskussion über soziale Spannungen und den Kampf gegen die soziale Ungleichheit führen, wenn durch diese Teilung der urbanen Landschaft das Bestehen antagonistischer Gruppen, die einander fürchten, beargwöhnen und ignorieren, ein für allemal festgeschrieben wird?  ■ Von ROBERT LÓEZ *N*

IN Waterford Crest, unweit von Los Angeles, schwärmen die Einwohner von ihrem Blick auf die Berge, den niemand ihnen wird verbauen können, und von ihren vorbildlich gepflegten Golfplätzen. Ihre großzügig angelegten Häuser mit Swimmingpool und einer Garage, in die bequem drei Autos passen, verkörpern den Traum fast jedes US-Amerikaners. Was die Einwohner aber vor allem schätzen, sind die Wächter und die Schranken an den Zufahrtsstraßen, die sie vor der Außenwelt schützen.

Denn ein Fremder wird es kaum wagen, die Alleen dieser kleinen Stadt in der Stadt zu betreten. Hier ist alles streng privat, und die uniformierten Sicherheitskräfte, die das ganze Viertel mit Videokameras überwachen und ständig über Walkie-Talkies miteinander reden, würden den Eindringling sofort einer Leibesvisitation unterziehen.

Fast vier Millionen Amerikaner, hauptsächlich weißer Hautfarbe und konservativer Gesinnung, leben bereits in solchen geschlossenen Wohnwelten, in denen drakonische Vorschriften herrschen. Die Straßen sind privat, die Schulen sind privat, die Polizei ist privat, die Kanalisation ist auch privat.

Und während in Washington vor allem die Republikaner alle Reglementierungen abschaffen wollen, die der Freiheit des Individuums hinderlich sein könnten, wuchert in diesen Enklaven, die den öffentlichen Raum aushöhlen, ein Dschungel von Vorschriften über alles und jedes: die Farbe der Hauswände, die Schnitthöhe des Rasens, das Verbot von Fahnenstangen und Wäscheleinen, die Bepflanzung der Vorgärten.

NEUE SOZIALE APARTHEID: WELTWEIT HALTEN LUXUSGHETTOS DAS ELEND VOM LEIBE

Festungsstädte nur für Reiche

Solche künstlichen „communities“ finden sich allmählich überall in den Vereinigten Staaten, im Umland von Seattle und Los Angeles wie in den Vororten von Dallas, Phoenix, Washington und Miami.1 Sie werden von Eigentümergemeinschaften verwaltet, die de facto auf ihrem Gebiet Regierungsgewalt ausüben und Steuern erheben, mit denen die Sicherheitsvorkehrungen und Grünanlagen finanziert werden. Besonders zahlreich sind diese Gemeinden bislang in Kalifornien und Florida, aber selbst Minnesota – der einzige Staat, der 1984 nicht für den wiedergewählten Präsidenten Reagan stimmte – hat mittlerweile seine Festungsstadt. Ein deutliches Zeichen dafür, daß sich in den USA eine Apartheid der Wohnverteilung ausbreitet.2

Waterford Crest hat das Versprechen seiner Marketingkampagne eingelöst: „Eine perfektere Welt“. Die Privatstadt liegt in der reichen Region des Orange County, einer Hochburg der republikanischen Rechten und Wiege des Reaganismus. Sie ist eine der siebzehn privaten Kommunen von Dove Canyon – Refugium in einer Region, in der die Angst vor dem Verbrechen hysterische Ausmaße angenommen hat.3 Ein Drittel aller Wohnkomplexe, die in den letzten fünf Jahren in Südkalifornien gebaut wurden, sind eingezäunt und werden privat verwaltet. Nach Bruce Sternberg, einem Mitglied des US-amerikanischen Architektenverbands, „ist die Militarisierung des Raumes nirgends so weit fortgeschritten wie in Los Angeles und Umgebung. Das ist eine der entscheidenden Entwicklungen der letzten Zeit.“

Viele Stadtplaner verweisen auf die negativen sozialen Folgen dieser Privatisierung des städtischen Umfeldes in einer Zeit, da die Staaten und Gemeinden kaum noch die Unterhaltskosten für öffentliche Anlagen und Gebäude aufbringen können. Die neu entstehenden Enklaven trennen Besitzende von Besitzlosen und verschärfen so die Balkanisierung eines Landes, das ohnehin unter ethnischer und sozialer Zerrissenheit leidet. Mike Davis, Autor eines klassischen Werks über die urbane Umstrukturierung und die Festungsbezirke4, fürchtet überdies, daß „die Demokratie des öffentlichen Raums zerstört wird: So fängt es an, und in absehbarer Zeit hört die Stadt auf, als Stadt zu existieren.“5

An der Verfassung vorbei, die jede Form von Diskriminierung verbietet, fördern die privaten „communities“ die Entstehung ethnisch und sozial homogener Wohnbezirke.6 Die bestehenden und in Planung befindlichen „Zaunstädte“ führen zu ständigen Konflikten zwischen öffentlichen und privaten Stadtbezirken, oft auch zu kostspieligen Prozessen, in denen die Legalität dieser Entwicklung angefochten wird.

Luxus der Sicherheit

DOCH viele Hausbesitzer ziehen aus Angst vor Kriminalität und weil sie dem Schutz des Staates nicht vertrauen in einem Wohnkomplex wie Waterford Crest. Die Maklerin Kim Cavin strahlt: „Ständig kommen neue Kunden. Die Zahl der Verkaufsabschlüsse steigt rapide.“

Vor kurzem wurden 65 Gruppen potentieller Käufer an einem einzigen Nachmittag durch Waterford Crest geschleust, um Wohnungen zu besichtigen, die zwischen 221000 und 266000 Dollar kosten. Was sie sahen, ähnelt kaum mehr den Pensionärsreservaten in Arizona oder Florida: Die meisten Eigentümer sind unter fünfzig und im allgemeinen mittlere oder höhere Angestellte, die über 60000 Dollar pro Jahr verdienen. Oft geben die Kaufinteressenten zu, daß sie durch die Werbekampagne von Waterford Crest (“Eine perfektere Welt“) angelockt wurden, in der die komfortable Ausstattung, die Sicherheitspatrouillen und die ländliche Umgebung angepriesen werden.

Darlene Matthey, eine knapp sechzigjährige Hausfrau, lebt seit mehr als dreißig Jahren in Anaheim, bekannt durch das dort gelegene Disneyland. Sie hat sich Waterford Crest angesehen: Sie und ihr Mann wollen Anaheim verlassen, das sich für ihren Geschmack zu sehr verändert hat, seit in den letzten zehn Jahren zahlreiche lateinamerikanische Einwanderer zugezogen sind, die jetzt das Stadtbild prägen. Auch die Kriminalitätsrate ist gestiegen, und die Zahl der Gangs hat sich vervielfacht.

Jeremy Toller, Leiter einer Bank, lebt seit einem Jahr in Waterford Crest. Auch wenn er jetzt mehr Zeit auf den verstopften Autobahnen zubringen muß, um zur Arbeit zu kommen, bedauert er keineswegs, daß er umgezogen ist. Der Blick auf die Berge, die ruhigen Straßen und das Gefühl der Sicherheit entschädigen ihn für die längere Fahrtzeit: „Hier können meine Kinder aufwachsen, ohne daß ich mir über Verbrechen oder Drogen den Kopf zerbrechen müßte.“ Insgesamt leben fast 2000 Menschen in den 1350 Wohneinheiten von Waterford Crest.

Wie die sechzehn anderen privaten Enklaven von Dove Canyon wurde Waterford Crest auf dem Reißbrett entworfen und von einem Firmenkonsortium hochgezogen. Durch seine Anlage unterscheidet es sich grundlegend von den meisten anderen US-amerikanischen Städten. Hier gibt es kein buntes Durcheinander von Wohnvierteln, Einkaufszonen, Parks und Gemeinschaftseinrichtungen, die notdürftig durch ein Straßen- und Verkehrsnetz verknüpft sind, sondern fast alles wurde von Stadtplanern minutiös vorausberechnet. Die Privatstädte sind kompakte, einheitliche Blöcke, gut zu verteidigen wie mittelalterliche Festungen, zugleich aber modern wie ein High-Tech-Zentrum.

Den Einwohnern von Waterford Crest stehen eine Schwimmhalle mit Sauna und Whirlpool zur Verfügung, ein Fest- beziehungsweise Versammlungssaal, dazu zwei Wegsysteme rund um den ganzen Komplex, von denen eines für Spaziergänger und Jogger und das andere für Reiter gedacht ist. Das Sicherheitssystem ist in allen siebzehn Kommunen von Dove Canyon dasselbe: ein bewachtes Eingangsportal und ein imposanter Stahlzaun, der das circa zehn Quadratkilometer große Gelände schützt.

„Es gibt nur einen Weg, um rein oder raus zu kommen“, erklärt uns stolz einer der Vertriebsagenten von Waterford Crest. Nach dem Kauf erhalten die neuen Eigentümer und ihre Familienmitglieder eine Plastikkarte, auf der ihr Computercode gespeichert ist. Wenn sie diese Karte in den Automaten am Eingang stecken, öffnet sich das Gitter. Eine Vignette, die hinter die Windschutzscheibe geklebt wird, erlaubt es den Bewohnern, ihr Auto in Waterford Crest zu parken, ohne daß es sofort von den Sicherheitskräften abgeschleppt wird.

Kommt ein Besucher, notieren sich die Wächter, die rund um die Uhr im Einsatz sind, seinen Namen und seine Autonummer. Danach erkundigen sie sich telefonisch, ob der Besucher auch tatsächlich erwartet wird. Die Sicherheitspatrouillen innerhalb des Geländes stehen mit den Posten am Eingang in ständigem Kontakt. Notfalls wird auch die örtliche Polizei hinzugerufen.

Dove Canyon wird von einer Eigentümergemeinschaft verwaltet. Sie achtet darauf, daß die Vorschriften eingehalten werden, die zum Beispiel verlangen, daß man sich mit den zuständigen Architekten abspricht, ehe man sein Haus neu streicht oder neue Bäume im Garten pflanzt. In Waterford Crest zahlt jeder Eigentümer monatlich 149 Dollar, um die Gemeinschaftseinrichtungen in Schuß zu halten. Die Wahl des Verwaltungsrats kommt so zustande: Jede der siebzehn Kommunen von Dove Canyon wählt einen Delegierten, und diese wählen ihrerseits, für die Dauer von zwei Jahren, die fünf Mitglieder des Rats. Und nicht selten klagen die Bewohner dieser Enklaven darüber, daß sie noch Steuern an einen Staat oder ein County entrichten müssen, deren Probleme – und Ausgaben – sie nichts mehr angehen.

Einige private Kommunen haben den Kontakt zu den örtlichen Behörden völlig abgebrochen und sich für unabhängig erklärt. Das gilt etwa für Canyon Lake, das in der Nähe von Palm Springs in Südkalifornien liegt. Mit seinen 13000 Einwohnern ist Canyon Lake eine der größten Privatstädte des Landes. Nur die Bewohner und ihre Gäste haben hier Zugang zu den Straßen, zum Park und zum See.

Und doch steht keineswegs fest, daß die abgeschirmten Kommunen sicherer sind als die anderen. Deborah Murphy, die Leiterin der Stadtentwicklungskommission des US-amerikanischen Architektenverbands, betont, daß es „die Bewohner sind, die für die Sicherheit sorgen, nicht die Zäune. Statt neue zu errichten, sollten wir lieber versuchen, die soziale Kommunikation zu verbessern.“ Die Jugendkriminalität etwa setzt sich mühelos über die Stahlzäune hinweg: dieser Feind läßt sich nicht ausgrenzen.

Vor ein paar Jahren ging folgender Fall durch die Presse: die Besitzer herrschaftlicher Häuser auf den Höhen Hollywoods sperrten – mit Zustimmung des Stadtrats von Los Angeles – ihr Luxusviertel Whitley Heigths ab, um mögliche Eindringlinge fernzuhalten und den herrlichen Blick auf Los Angeles ungestört zu genießen. Aber die Bewohner der Nachbarviertel, die jetzt einige öffentliche Straßen nicht mehr benutzen konnten, zogen gegen die Separatisten juristisch zu Felde. 1994 entschied ein Berufungsgericht zugunsten der Kläger; es sprach von einer „Rückkehr zum Feudalismus“ und verpflichtete die Eigentümer der Villen von Whitley Heights, die Sperren zu entfernen und die Prozeßkosten zu tragen.7

Ein ähnlicher Rechtsstreit spaltet die Einwohner der reichen Gemeinde Laguna Nigel an der kalifornischen Küste in zwei Lager. 250 Besitzer von Hügelgrundstücken wollen ihr Viertel einzäunen und Streifenposten einstellen. Sie weisen darauf hin, daß der Wert ihrer Häuser (zwischen 350000 und 555000 Dollar) mit der Einrichtung dieses Schutzsystems merklich steigen würde. So argumentiert jedenfalls Gary Moorhead, Anwalt und Mitglied ihrer Interessenvereinigung: „Auf dem Immobilienmarkt müssen sie mit geschützten Vierteln konkurrieren, die ganz in der Nähe liegen; die Preise dort sind sehr viel höher, und das liegt vor allem an den Zäunen.“8

Was den Sicherheitsfanatikern Probleme macht, ist ein kleiner Park, in dem sich ein Kinderspielplatz befindet. Da dieser Park dem County gehört, haben die Bewohner des Nachbarviertels gerichtlich gegen die geplante Sicherheitszone geklagt, die auf eine Beschlagnahme öffentlichen Eigentums hinauslaufe. Sie können sich nicht mit dem Gedanken abfinden, daß „eine private Wachmannschaft die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung kontrolliert: Jedem steht es frei, sein Eigentum zu schützen, doch es geht nicht an, daß der Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung blockiert wird.“ Die Sache ist noch nicht endgültig entschieden.

Amerikanische Stadtplaner sagen voraus, daß die Zahl der privaten Kommunen sprunghaft ansteigen wird. So will Disney in Florida die größte Privatstadt der USA errichten, mit 8000 Wohneinheiten für fast 20000 Bewohner.9 Die Stadt, nicht weit von Disneyworld gelegen, soll „Celebration“ heißen.

dt. Andreas Knop

1 Vgl. Timothy Egan, „The Serene Fortress“, The New York Times, 3. September 1995.

2 Vgl. Serge Halimi, „L'université de Chicago, un petit coin de paradis bien protégé“, Le Monde diplomatique, April 1994, und Douglas Massey, „Regards sur l'apartheid américain“, Le Monde diplomatique, Februar 1995.

3 Siehe Robert Lopez, „Délires d'autodéfense à Los Angeles“, Le Monde diplomatique, Mai 1994.

4 Mike Davis, „City of Quartz. Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles und neuere Aufsätze“, Berlin (Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße) 1994.

5 Los Angeles Times, 2. Februar 1995.

6 The New York Times, 3. September 1995.

7 Los Angeles Times, 6. April 1995.

8 Los Angeles Times, 29. September 1995.

9 Time, 4. Dezember 1995.

Journalist bei der Los Angeles Times.

Le Monde diplomatique vom 15.03.1996, von Robert Lopez