15.03.1996

Hundertzwanzig Kanäle

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Hundertzwanzig Kanäle

DAS Fernsehen nimmt in Japan mit seinem Netz von fast 120 Sendefrequenzen (davon die sieben wichtigsten in Kanto, der Region um Tokio, und fünf in der Kansai-Region Osaka-Kyoto) einen zentralen Platz ein, wobei Kabel- oder Satellitenkanäle noch nicht einmal mitgezählt sind.

In einem Durchschnittshaushalt läuft der Fernseher wochentags acht Stunden und zwanzig Minuten, am Sonntag wird der Spitzenwert von neun Stunden und eine Minute erreicht (Deutschland: annähernd drei Stunden). Der Löwenanteil entfällt auf die Unterhaltungssendungen mit fast 40 Prozent der Programme, gefolgt von „Kultur“ (im weitesten Sinne) mit nahezu 25 Prozent, Information (20 Prozent), Bildung (13 Prozent) und Werbung (nur 1,2 Prozent, 86 Prozent der Programme sind allerdings von Firmen gesponsert).

Bei den Zuschauern genießen die „Dramen“ den höchsten Grad an Beliebtheit (im allgemeinen „home-dramas“ in täglicher Folge mit einer Dauer von ungefähr 15 Minuten, die über mehrere Monate vor allem in den Morgenstunden laufen). Der aktuelle Spitzenreiter auf NHK 1 ist „Oshin“ mit der Schauspielerin Yuko Tanaka. Danach kommen lehrreiche Dokumentarfilme und diverse Reportagen, Sport sowie Science-fiction- oder Zeichentrickfilme.

FÜR eine Durchschnittswoche Ende 1995 kann man die zehn bestplazierten Programme jeder Sparte quer durch alle Kanäle auflisten: Die neue Serie „Haru yo, ko!“ („Hoffentlich ist bald Frühling“; täglich morgens von 8 Uhr 15 bis 8 Uhr 30) wird auf NHK Kansai ausgestrahlt und hat eine Einschaltquote von 33,8 Prozent, während in Tokio die Kriminalsendung „Kindaichi shonen no jikan“ („Der Fall des jungen Kindaichi“) auf NTV mit 29,9 Prozent an der Spitze steht. Sport steht hoch im Kurs, Sumo hält auf NHK Tokio einen Anteil von 34 Prozent, während Baseball, das von der berühmten Kyojin-Mannschaft (den „Riesen“) beherrscht wird, bei NTV nur an zweiter Stelle steht. Beim Spielfilm dominiert die Fernsehwoche ein Film aus der Serie „Tsuribaka nieshi“ („Tagebuch eines leidenschaftlichen Fischers“) mit dem beliebten Schauspieler Rentaro Mikuni mit 27,6 Prozent (auf NTV), noch vor einem Film über Profigolf, eine ebenfalls ungemein beliebte Sportart. Und der Spitzenreiter bei den Zeichentrickfilmen bleibt „Sazao-San“ (27,2 Prozent) vor „Chibi Matsuko-Chan“ (23,8 Prozent) und „Kitaretsudalyuke“ (15,8 Prozent), wobei diese drei Serien alle von Fuji ausgestrahlt werden. Unter den Neuheiten ist der Erfolg der rührenden Familiengeschichte „Nakiko“ („Das obdachlose Kind“) anzumerken sowie ein Magazin „Trendy-drama“, das sich an eher wohlhabende Jugendliche wendet.

Tatsache ist, daß das Fernsehen die verschiedenen Genres des Kinofilms übernommen hat, seit die Filmindustrie einen Großteil ihres Publikums verloren hat. Es ist einfach billiger, sich vor seinem Fernseher – ob in Standardausführung oder mit ultraflacher hochauflösender Bildröhre – zu amüsieren, als oft Stunden in den öffentlichen Verkehrsmitteln zuzubringen, um dann für einen Platz im Kino ungefähr 1800 Yen (27 Mark) zu bezahlen. Was das Fernsehen allerdings nicht daran hindert, Kinofilme mitzufinanzieren: Der Fuji-Sender (Gruppe Fujisanka, ein Mischkonzern aus über hundert Unternehmen) investiert in große Produktionen wie „Antartica“ (1983) oder den abendfüllenden Tierfilm „Die Abenteuer von Chatran“ (1986), aber auch in einige europäische Filme und sogar in Hollywoodproduktionen („Stunde des Siegers“ oder „Memphis Belle“).

M.T.

Le Monde diplomatique vom 15.03.1996, von M.T.