Afrikas schwieriger Weg zu einer panafrikanischen Wirtschaftsunion
Von
WILLY
JACKSON *
DA sie seit dem Beginn der achtziger Jahre in einer Wirtschaftskrise stecken, deren Ende nicht abzusehen ist, befürworten die Länder Zentralafrikas unablässig eine wirtschaftliche Integration auf regionaler Ebene – so das Credo der Politiker, Wirtschaftskreise und internationalen Geldgeber.
Auch wenn die optimistischen Reden das Gegenteil vermuten lassen könnten, ist die wirtschaftliche Integration in Afrika keine neue Idee. Unmittelbar nachdem viele Staaten ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, wurden in den sechziger Jahren die ersten Organisationen gegründet, die sich vielfach an denen der alten Kolonialreiche orientierten. Ein Beispiel hierfür ist die 1964 durch den Vertrag von Brazzaville gegründete Zentralafrikanische Zoll- und Wirtschaftsunion (UDEAC).1 Sie orientierte sich am Modell der damaligen EWG und sollte die Mitgliedsländer (Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Kongo, Gabun, Tschad und – seit 1983 – Äquatorialguinea) zur Schaffung eines großen regionalen Marktes zu veranlassen, der Steuerneutralität, den Abbau von Zollschranken, die Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik nach innen sowie Schutzzölle und eine gemeinsame Handelspolitik nach außen beinhalten sollte. Die Beseitigung der Hindernisse im zwischenstaatlichen Handel und der Produktivitätsunterschiede sollte – den liberalen Vorstellungen entsprechend – zum Nutzen der Bevölkerung Wachstum und Wirtschaftsentwicklung fördern.
Die Bilanz der UDEAC nach dreißig Jahren ist kläglich: Der Handel innerhalb der Region macht weniger als 6 Prozent der Exporte aus, der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt bei 3,1 Prozent, die Staatsverschuldung bei 80 Prozent des BIP, und die durchschnittlichen Haushaltsdefizite belaufen sich auf etwa 8 Prozent des BIP.2 Die UDEAC ist zu einer Zone der fortschreitenden Verelendung geworden und auf internationaler Ebene zur Bettelei um Gelder gezwungen, die im Rahmen der Programme zur Strukturanpassung vergeben werden.
Für dieses Scheitern macht man in beliebiger Reihenfolge die mangelnde Abstimmung der Volkswirtschaften untereinander, das unterschiedliche Entwicklungsniveau, die unzureichenden Finanzmittel, das überalterte Transportwesen und so weiter verantwortlich. Im allgemeinen wird aber der Widerspruch unterschätzt, den es zwischen der unbedingt zu bewahrenden, noch jungen nationalen Einheit und den Versuchen zur wirtschaftlichen Integration gibt.
Überall in Afrika sind die Staaten dazu gezwungen, den sozialen und politischen Zusammenhalt zu gewährleisten und eine nationalstaatliche Einheit aufzubauen. Überall ist das regional orientierte Denken an den staatlichen Realitäten und an der Politik des Protektionismus und der Abgrenzung gescheitert.
Konkurrenzen, die Spaltungen erzeugen
SO wurde in allen Mitgliedsstaaten der UDEAC unter Mißachtung der Gemeinschaftsbestimmungen zur Programmaufteilung die Ansiedlung von ähnlichen Industriebetrieben (Textil, Zement, Brauereien, Erdöl und Erdgas) gefördert. Das Prinzip einer ausgeglichenen Entwicklung wurde dem nationalen Egoismus untergeordnet.
Mehr noch. Daß die Küstenländer (Kamerun, Kongo und Gabun) Industrieprojekte an sich gerissen haben, hat die Länder, die wie der Tschad und die Zentralafrikanische Republik keinen eigenen Zugang zum Meer haben, dazu veranlaßt, die Organisation zu verlassen und zusammen mit Zaire die nur kurze Zeit bestehende Zentralafrikanische Staatenunion (UEAC) ins Leben zu rufen. Bei den Steuern zog die Angleichung der Steuergesetzgebungen keine Angleichung der Steuersätze nach sich. 1993 wurde im Zuge einer Steuer- und Zollreform gegen den Widerstand der nationalen Arbeitgeberverbände ein gemeinsamer Außentarif eingeführt, der sich in vier Tarife aufgliedert, die auf die in die Region importierten Güter anzuwenden waren.3
Nach der Abwertung des CFA-Franc im Januar 19944 fiel das geschaffene Tarifgebäude natürlich in sich zusammen. Der Rückgang der Steuereinnahmen und die Schwierigkeiten bei den öffentlichen Finanzen, die sich daraus ergaben, haben die Staaten notgedrungen zu Dumping-Methoden veranlaßt: Kamerun und Gabun haben ihre Zölle unter den gemeinsamen Außentarif für die vier Produktkategorien gesenkt.
Eine Gemeinschaftsdisziplin wird auch bei der Freiheit des Personenverkehrs und beim Niederlassungsrecht nicht eingehalten. Ein 1972 unterzeichnetes Abkommen ist das Papier nicht wert, auf dem es steht, da die einzelnen Staaten weiterhin auf den nationalen Vorrechten beharren, die das Abkommen vorsichtig einzuschränken versuchte. Fremdenfeindlichkeit, Zurückweisungen an den Grenzen und massive Ausweisungen von Bürgern der Gemeinschaft kommen in der Region häufig vor. Die Wirtschaftskrise erleichtert es den Behörden, die Einwandererzahlen danach festzusetzen, ob die nationalen Volkswirtschaften ausländische Arbeitnehmer aufnehmen können oder nicht.
Darüber hinaus zerfällt die zentralafrikanische Region in mehrere, miteinander konkurrierende Pole der wirtschaftlichen Integration. Neben der UDEAC gibt es noch andere Organisationen. Dies ist aber kein Zeichen der Vitalität, sondern dient eher der Verschleierung von Rivalitäten zwischen den Ländern, die um die Rolle der regionalen Führungsmacht konkurrieren. Als eine Attacke gegen die beherrschende Stellung Kameruns in der UDEAC hat Gabun sich unter Berufung auf den Lagos-Aktionsplan, der eine Vielzahl regionaler Zusammenschlüsse favorisiert, veranlaßt gesehen, die Schaffung einer neuen Organisation zu verlangen. 1983 wurde dann die Wirtschaftsgemeinschaft zentralafrikanischer Staaten (CEEAC) gegründet, mit deren Hilfe Gabun die regionale Vorherrschaft Kameruns zugunsten Zaires einschränken wollte.5 Kamerun gehört dieser Organisation zwar an, engagiert sich aber kaum.6 Nach der für Zaire enttäuschenden Erfahrung mit der 1968 totgeborenen UEAC hatte das Land seine Vorrangstellung in Zentralafrika durch die gemeinsam mit Ruanda und Burundi 1976 begründete Wirtschaftsgemeinschaft der Länder an den Großen Seen (CEPGL) unterstrichen, die es aufgrund seiner Größe dominiert.
Politische Einheit tut not
ALL diese Organisationen, die sich die zentralafrikanische Zone streitig machen, werden künstlich am Leben gehalten und kämpfen mit unüberwindlichen Finanzschwierigkeiten (Beitragsrückstände der einzelnen Mitgliedsländer, Streiks des Personals, weil die Gehälter nicht gezahlt werden und so weiter). Einige von ihnen erfüllen keinerlei praktische Aufgaben.
In dieser Situation wurde nach der Abwertung des CFA-Franc im März 1994 die Zentralafrikanische Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (CEMAC) gegründet, zu der die sechs UDEAC-Staaten gehören. Auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Integration handelt es sich dabei um die jüngste Initiative in der Region.
Die neue Organisation stützt sich auf die Zentralafrikanische Staatenunion (UEAC) und auf die Zentralafrikanische Währungsunion (UMAC); sie versucht, die schon in den Vorgängerorganisationen ansatzweise vorhandenen Zielsetzungen weiter zu systematisieren: Man arbeitet für eine Angleichung der Wirtschafts- und Währungspolitik, für die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens auf rechtlichem und steuerlichem Gebiet (Handelsrecht, Investitionskodex und so weiter) und für die Schaffung eines gemeinsamen Marktes (Zollunion, freies Zirkulieren der Produktionsfaktoren, eine gemeinsame Politik für einzelne Industriesektoren). In Wirklichkeit ist die CEMAC ein Unternehmen zur Rettung der CFA-Zone7 und darüber hinaus zur Sicherung der ausländischen Investitionen unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung8.
Eine afrikanische Lösung für das Problem der regionalen Integration müßte auf anderen Parametern aufbauen. Mehr als anderswo sonst steckt der zu integrierende geographische Raum in Afrika, wo die Nationen sich überhaupt erst formieren, voller Konflikte und Widersprüche, die sich nicht nur mit wirtschaftlichen Mitteln lösen lassen. Ohne eine politische Dimension werden die Bestrebungen zur wirtschaftlichen Integration nicht von der Stelle kommen.9 Weder die vielen regionalen Zusammenschlüsse noch die auf dem ganzen Kontinent agierende Afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, die 1991 durch den Vertrag von Abuja (Nigeria) geschaffen wurde und voraussichtlich im Jahre 2025 die Arbeit aufnehmen wird, können darüber hinwegtäuschen.
Die wirtschaftliche Integration muß mit der politischen Einigung verknüpft werden. Die einzelnen Staaten müssen Teile ihrer ohnehin eingeschränkten Souveränität aufgeben und sich dem Panafrikanismus öffnen. Von den im Rahmen des Demokratisierungsprozesses freigesetzten Kräften (Parteien, Gewerkschaften, Verbände) sollte man erwarten, daß sie dieses Aktionsfeld besetzen.10 Bisher diente die regionale wirtschaftliche Integration nur der Ablenkung. Wenn sie sich politischen Zielsetzungen unterwirft, könnte sie auch zu einem Instrument der Befreiung werden.
dt. Christian Voigt
1 Sie ist die Nachfolgerin der Äquatorialafrikanischen Zollunion. In Westafrika ist die Zollunion der westafrikanischen Staaten die Nachfolgeorganisation der Westafrikanischen Zollunion.
2 Die Zahlen stammen von 1992 und wurden von Serge Tomasi zitiert in: „Le projet d'une Communauté économique et monétaire en Afrique centrale (CEMAC)“, Les Notes de la coopération française, Nr. 2, November 1993, S. 18.
3 5 Prozent für lebensnotwendige Güter, 15 Prozent für Rohstoffe und Investitionsgüter, 30 Prozent für Halbfertigwaren und 50 Prozent für gebräuchliche Konsumgüter (dieser Prozentsatz soll innerhalb von 5 Jahren auf 35 Prozent gesenkt werden). Vgl. Marchés Tropicaux, Nr. 2524, 25. März 1994, S. 591.
4 Bis zum Abwertungstermin, dem 11. Januar 1994, entsprach ein CFA-Franc 0,02 Franc, seit der Abwertung nur noch 0,01 Franc.
5 Die CEEAC umfaßt die gesamte geographische Zone Zentralafrika, wie sie von der Organisation für afrikanische Einheit festgelegt wurde. Neben den Staaten der UDEAC gehören Angola, Burundi, Ruanda, São Tomé und Principe und Zaire dazu.
6 Siehe hierzu: Wayne Jackson, „Le Cameroun et l'intégration régionale“, Doktorarbeit, Universität Paris VII, 1993, 234 S.
7 Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, daß der Gründungsvertrag der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion, das Pendant zur CEMAC, am 11. Januar 1994, dem Tag der Wechselkursangleichung, unterzeichnet wurde.
8 Zum Thema der Globalisierung in Afrika siehe: Sanou Mbaye, „L'Afrique noire happée par le marché mondial“, Le Monde diplomatique, März 1994.
9 Ein Beispiel hierfür ist der 1977 erfolgte Zusammenbruch der Westafrikanischen Gemeinschaft, die damals aus Kenia, Uganda und Tansania bestand.
10 Zum Thema der Beziehungen innerhalb der Franc-Zone: Sanou Mbaye, „Souhaitable union des économies africaines“, Le Monde diplomatique, September 1995. Zum Thema des Souveranitätsverlusts der Nationalstaaten in der Gegenwart: Christine Chemillier-Gendreau, „Humanité et souverainetés. Essai sur la fonction du droit international“, Paris (La Découverte 1995) S. 310 ff.
* Lehrbeauftragter an der Universität Paris VII – Denis Diderot.