ALGERIEN UND DIE MENSCHENRECHTE
Die Hoffnung auf ein Nachlassen des Bürgerkrieges, die viele Algerier an die Wahl von General Liamine Zéroual zum Staatspräsidenten im November 1995 geknüpft hatten, hat sich als vergeblich erwiesen: Jeder Tag bringt neue Anschläge, Verbrechen und Gewalt mit sich.
In einer Eskalation des Schreckens haben Haß und Leidenschaft auf beiden Seiten, sowohl bei den religiösen Extremisten als auch bei den staatlichen Repressionsorganen, einen neuen Höhepunkt erreicht – zum Entsetzen all jener, die weiterhin für die Demokratie eintreten. Während die Aussicht auf Verhandlungen schwindet, geraten die Demokraten in eine zunehmend schwierige Lage. Wer sich in dieser von Rache und Vergeltung bestimmten Auseinandersetzung weigert, Partei zu ergreifen, bringt sich in Lebensgefahr. Dennoch gibt es in diesem Land Demokraten, die – stellvertretend für viele Bürger – beharrlich die Gewalt beider Lager verurteilen. Sie bekennen sich zu den Prinzipien des Pluralismus, der Toleranz und des Dialogs, wie sie in der Wochenzeitung La Nation vertreten werden. Diese in Algier erscheinende Zeitung ist deshalb schon mehrfach gemaßregelt und verboten worden.
Zwar berichten die Massenmedien in Europa regelmäßig über die Ereignisse in Algerien, aber im Vordergrund dieser Berichterstattung stehen immer wieder die abscheulichen Taten der bewaffneten islamischen Gruppen. Von der Brutalität der Staatsorgane (Polizei, Gendarmerie und Armee), auf die etwa amnesty international immer wieder hinweist, ist dort meist nicht die Rede. Wie so oft, fallen die Wahrheit und die Tatsachen dem Schwarzweißdenken zum Opfer.
Aber die Menschenrechte sind unteilbar. Konfrontiert mit den extrem abscheulichen Praktiken des islamistischen Terrorismus, haben die algerischen Staatsorgane nicht selten nach dem Gesetz der Vergeltung gehandelt. In einer demokratischen Gesellschaft erweist sich die Respektierung der Menschenrechte aber gerade daran, welchen Schutz die Justiz den Tatverdächtigen und Angeklagten gewährt – auch wenn diesen Verbrechen schrecklichster Art zur Last gelegt werden.
Dieses rechtsstaatliche Prinzip gilt es zu verteidigen. Da in Algerien die Informationsfreiheit äußerst bedroht ist – eine Freiheit, die zweifellos im Falle einer Machtübernahme durch die bewaffneten islamischen Gruppen nicht minder bedroht wäre –, haben wir uns entschlossen, in Zusammenarbeit mit der Unesco und der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ in unserer Zeitung über die Menschenrechtsverletzungen in Algerien breit zu informieren. Erstellt wurde dieses Dossier von der Redaktion und den Mitarbeitern der Wochenzeitung La Nation.
LE MONDE DIPLOMATIQUE