15.03.1996

Schwarze Schafe der USA

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Schwarze Schafe der USA

TRUMAN Capote hat mit Erfolg versucht, sich zu einer Welt Zutritt zu verschaffen, aus der ich, mit nicht minderem Erfolg, unbedingt entkommen wollte.“ Im Gegensatz zu den meisten seiner großen Konkurrenten ist Gore Vidal nämlich eine Art gegenläufiger Parvenü. Er, der im Herzen des Establishments zur Welt kam, hat sich gleichwohl schon früh entschieden, die dort geltenden Wertvorstellungen und Grundsätze zu bekämpfen. Auch wenn er die Bekanntschaft mit den großen Berühmtheiten seiner Zeit „nie wirklich ernsthaft gesucht“ hat, hat er sie dennoch alle gekannt; und doch immer wieder die Gesellschaft seiner Bücher vorgezogen.

Seine sehr persönlich gehaltenen Memoiren „Palimpsest: a Memoir“1 (der Titel Palimpsest bezieht sich auf ein Pergament, dessen Text zum Teil überschrieben wurde), berichten von den ersten neununddreißig Jahre seines Lebens. In ihnen erzählt Gore Vidal von seiner sorglosen Kindheit, seinen Beziehungen, seinen Begegnungen, Freundschaften und Zerwürfnissen. Während er in Literatur und Kunst, als Romancier, Essayist, Dramaturg, Drehbuchschreiber, ja sogar als Schauspieler Erfolg hatte, liefen seine politischen Ambitionen ins Leere (zweimal hat er versucht, in den Kongreß zu kommen). Und so nimmt er den Mikrokosmos der Politik, in dem er aufwuchs und den er Zeit seines Lebens beobachtet hat (wenn er ihm schon nicht angehören konnte), mit spitzer Feder auseinander.

Er sieht sich in der Rolle eines „ewig schwarzen Schafes inmitten einer Herde weißer Schafe, die mit großem Behagen auf den güldenen Feldern der Republik weidet“. Nicht ohne Genuß beschreibt er diese Rolle und läßt über seine Zeitgenossen einen belustigten Blick schweifen. Das Buch enthält, neben einer Galerie kleiner Porträts – die von John F. Kennedy bis Anais Nin, von Greta Garbo bis André Gide reicht –, eine Fülle von originellen Reflexionen zu den verschiedenen Welten, mit denen er in Berührung gekommen ist. Freilich scheint hinter dem Zyniker ein enttäuschter Idealist durch.

Die gleiche Bildungsfülle und geistige Unabhängigkeit findet man bei Alexander Cockburn, dessen Chronik der Jahre von 1987 bis 1994 ein willkommenes Gegenmittel gegen Hofberichterstattung und Gefälligkeitsjournalismus ist.2 Der Verfasser ist in der kalifornischen Provinz zu Hause, liest viel, reist und kommentiert die laufenden Ereignisse. Seinem Ruf als subversiver Journalist gemäß scheint er Gefallen daran zu finden, seine Leser gründlich zu schockieren; zugleich übt er sich mit Eifer in der Kunst, Feinde zu sammeln. Mitabgedruckt sind in dem Buch, zuweilen in extenso, die galligen, ja haßerfüllten Briefe, die Cockburns Artikel ihrem Verfasser zwangsläufig eintragen.

IBRAHIM WARDE

1 Gore Vidal, „Palimpsest: a Memoir“, New York (Random House) 1995, 440 Seiten, 27,50 US-Dollar.

2 Alexander Cockburn, „The Golden Age Is in Us: Journey and Encounters“, New York (Verso) 1995, 25 US-Dollar.

Le Monde diplomatique vom 15.03.1996, von Ibrahim Warde