Anschläge auf die Pressefreiheit
Von
GHANIA
MOUFFOK *
DIE Paradoxie der Situation in Algerien wurde symbolisch auf ihren Begriff gebracht, als 1990 die ersten unabhängigen Zeitungen ausgerechnet in eine ehemalige Kaserne einzogen, die man etwas großspurig „Haus der Presse“ taufte.
Es war die Stunde der Demokratie, und die Journalisten, bis dato Funktionäre der Regierungspresse, erhielten einen neuen Status. Im März 1990 bekamen sie drei Jahresgehälter angewiesen, verbunden mit der Genehmigung, freie Zusammenschlüsse zu gründen – eine Art gütlicher Scheidung. Aus diesen Entlassungsprämien kam das Startkapital der neuen privaten Zeitungsunternehmen zusammen. Da selbst bescheidene Geschäftsräume im Zentrum von Algier horrende Mieten kosten, bot der Staat den Zeitungen an, sich gegen eine staatlich subventionierte Miete auf die paar in Fertigbauweise errichteten Militärgebäude zu verteilen.
Sechs Jahre später, am 11. Februar 1996, explodiert eine Autobombe vor dem Haus der Presse. „Ein trauriger Anblick“, meint Omar Bellhouchet, der Herausgeber der Tageszeitung El Watan, „wie Beirut auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs. Das Gebäude, benannt nach Tahar Djaouts, dem ersten Märtyrer der Pressefreiheit in Algerien, ist nur noch ein Haufen Schutt.“
Für den Journalismus, der ohnehin ein lebensgefährlicher Beruf geworden ist, bedeutete die Tat einen schweren Schock. Der abscheuliche Anschlag in einer belebten Straße kostete zwanzig Menschen das Leben (darunter drei Journalisten: Allaoua Ait Mebarek, Djamel Derraza und Mohamed Dorbhan), Hunderte werden verletzt. Mehrere Zeitungen müssen ihr Erscheinen einstellen. Die Tat geschah etwa vier Jahre nach dem Inkrafttreten des Ausnahmezustands am 10. Februar 1992 und auf den Tag genau vier Jahre nach dem Antrag des Innenministers bei den Justizorganen, die FIS aufzulösen.
Vielleicht Zufall, vielleicht aber auch eine Erinnerung daran, daß der Staat nach wie vor versucht, das Problem herunterzuspielen. Der damalige Innenminister hatte erklärt, er werde das Problem „innerhalb von drei Monaten“ lösen; die derzeitige Regierung spricht von einem „Restterrorismus“. Entsprechend muß man die Informationen manipulieren: Am 5. Februar 1996 forderte der Innenminister die Journalisten auf, sich künftig streng an „die Direktiven vom 4. Juni 1994“ über den Umgang mit sicherheitsrelevanten Informationen zu halten.
In diesem vertraulichen Runderlaß hatte man die Einrichtung einer „Kommunikationsstelle“ beim Innenministerium bekanntgegeben, die zuständig sein sollte „für die Beziehungen zu den Medien in Hinblick auf Information, sowie die Erarbeitung und Verbreitung offizieller Kommuniqués zu Fragen der Sicherheit“. Seither dürfen sicherheitspolitische Informationen ausschließlich von dieser Stelle und nur über die staatliche Nachrichtenagentur Algérie Press Service (APS) verbreitet werden. Bislang hatte die Obrigkeit darüber hinweggesehen, daß die Bestimmungen des Erlasses nicht immer genau befolgt wurden, aber angesichts der aktuellen politischen Lage scheinen ihr solche Spielräume nicht mehr praktikabel.
Bis zum Wahlsieg von Liamine Zéroual bestand die Kommunikationspolititk der Regierung darin, die Presse zu ermahnen, „den unmenschlichen Charakter der barbarischen Methoden des Terrorismus herauszustellen“. So sollte – gemäß den „Empfehlungen an die nationalen Medien“, die dem Runderlaß beigegeben waren – „im kollektiven Bewußtsein ... die Parole ,Der Terrorismus wird nicht siegen‘ durchgesetzt werden“. Es ging also darum, die Bevölkerung zu mobilisieren und zur massenhaften Beteiligung an den Wahlen zu bewegen, die angeblich den Frieden bringen sollten. Diese Operation ist gelungen, sogar die internationale Presse hat ihren Beitrag zur Glaubwürdigkeit der Inszenierung geleistet. Der eigentliche Konflikt jedoch ist im dunkeln geblieben: Selten dürfte die Berichterstattung über einen so mörderischen Krieg so viele Meinungen und so wenige Informationen verbreitet haben.
Da auch nach den Präsidentschaftswahlen vom 16. November 1995 kein Frieden eintrat, gilt es nun, diese Niederlage in einen Sieg zu verwandeln – zur Not auch durch eine verschärfte Anwendung des Erlasses vom 4. Juni 1994. Inzwischen gibt es in allen Druckereien des Landes (die Staatsmonopol geblieben sind) einen Lektoratsausschuß, der die Macht hat, dafür zu sorgen, daß mißliebige Zeitungen nicht erscheinen. Allerdings ist diese Praxis der systematischen Desinformation nicht ganz neu, sie hat sich auch nicht zufällig ergeben, sondern ist die Folge zweier konkurrierender und ganz unterschiedlicher Strategien.
Die islamistischen Terroristen schießen auf Journalisten – auch auf ausländische –, um sie mittels Abschreckung in ihrer Mobilität und ihren Möglichkeiten der Recherche und Reportage einzuschränken. Für die Bewaffneten islamischen Gruppen scheint die Sache klar: Alle Journalisten stehen im Sold der Herrschenden. Auch wenn es oft anders dargestellt wird – keine der politischen Richtungen ist verschont geblieben. Den Islamisten nahestehende Journalisten hat es ebenso getroffen wie Vertreter der „Versöhnung“ oder Anhänger der „Vernichtung“ und – natürlich – die Parteigänger des Regimes.
Die Machthaber dagegen verstehen es, aus der Situation Kapital zu schlagen. Seit Januar 1992 hat das algerische Regime ein ganzes Arsenal von Gesetzen erlassen, die angeblich der Bekämpfung des Terrorismus dienen, jedoch benutzt werden können, um Nachrichten jeglicher Art unter ihre Kontrolle zu bringen und die eigenen Vorstellungen durchzusetzen: das geht von der Notstandsverordnung (im Februar 1992) über die Antiterrorismusgesetze und die Einrichtung von Sondergerichten (September 1992) bis zum Runderlaß vom 4. Juni 1994 und seiner Bekräftigung in der Verlautbarung vom 5. Februar 1996.
Eine Agora aus Papier
Die ersten Opfer dieser Säuberung der Medienlandschaft waren die Zeitungen der FIS, El Mounquidh und El Fourkane, die praktisch zusammen mit der Partei verschwanden. Dann kamen verschiedene vor allem arabischsprachige Blätter an die Reihe, die es 1992 an Begeisterung für die Annullierung der Wahlen hatten fehlen lassen und für die Einhaltung der Menschenrechte eingetreten waren. Dafür wurden sie mit zeitweiligem Publikationsverbot oder Lizenzentzug bestraft. Ein Teil des Meinungsspektrums wurde auf diese Weise aus der Demokratie ausgeschlossen, während diese immer mehr mit dem „Kampf gegen den Terrorismus“ gleichgesetzt wurde. Übrig blieben nur die vorwiegend französischsprachigen Organe, die rückhaltlos für den Abbruch der Wahlen im Namen der Republik plädiert hatten und sich für ein „Primat der Sicherheitspolitik“ stark machten. Die wenigen Zeitungen, die noch eine politische Lösung der Krise fordern, werden „ausgegrenzt und scharf überwacht“, wie es ein Journalist in einer Wochenzeitung formuliert hat.
Nach vier Jahren der Gleichschaltung läßt die umgestaltete Medienlandschaft ahnen, wie die politischen Verhältnisse in Zukunft aussehen sollen. Die Parlamentswahlen vom Dezember 1991 gelten nach der Präsidentschaftswahl vom November 1995 als endgültig korrigiert. Und die Aufgabe, die den Medien von den Machthabern zugedacht ist, läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Sie sollen der nationalen und internationalen Öffentlichkeit die politischen Machenschaften eines Regimes verkaufen, das die Kunst, die Wirklichkeit zu verleugnen, zur Meisterschaft entwickelt hat.
Die unabhängigen Zeitungen und die Journalisten, die diese Blätter gegen alle Ängste, Drohungen und Anschläge am Leben erhalten, besitzen keine andere Macht als die des Wortes; sie sind eine Art Agora aus Papier. Auch wenn es längst keine demokratischen Institutionen mehr gibt, werden auf diesem Marktplatz zumindest noch immer die Standpunkte der verschiedenen Parteien dargelegt und kommentiert – die Politik der Regierung und der Gewerkschaften ebenso wie die Meinungen der Bürger. An dem Verhalten des Regimes gegenüber dieser letzten Bastion der Freiheit im Lande wird sich erweisen, wie es um die Demokratie in Zukunft bestellt ist.
Leider gibt es seit dem Wahlsieg von Liamine Zéroual wenig Anlaß zum Optimismus. Anschläge, Streiks, Verhaftungen und Zensur – für die Journalisten scheint der Alptraum kein Ende nehmen zu wollen.
Um zu begreifen, mit welchen Problemen die unabhängige Presse konfrontiert ist, muß man auch den Dauerstreit um die Druckkosten in Betracht ziehen, der derzeit wieder hochaktuell ist, weil die Regierung die nächste Preiserhöhung angekündigt hat. Alle Zeitungen sind auf die staatlichen Druckereien angewiesen. Bislang war es ihnen gelungen, einen „politischen Preis“ auszuhandeln, aber unter dem Diktat der Marktwirtschaft kann es sich die Regierung inzwischen nicht mehr leisten, das chronische Defizit ihrer Druckbetriebe auszugleichen. Man muß befürchten, daß die harte Wirklichkeit der Kostenentwicklung für mehr als eine Zeitung das Ende bedeuten wird – das Regime wird kaum Mitleid mit Blättern zeigen, deren Aufgabe nach seiner Meinung beendet ist.
Mit der neuen Legitimierung der Macht durch die Wahlen vom 16. November 1995 begann, wie in Algerien üblich, eine Umgestaltung der Medienlandschaft. Die Regierung hat bereits die Gründung einer Dachgesellschaft angekündigt, um den noch existierenden, aber ziemlich moribunden Regierungsblättern auf die Beine zu helfen. Dies ist also durchaus keine Zeit der Erstarrung, wie oft behauptet wird, sondern eine Zeit des Rückschritts: „Wir sind jetzt wieder auf dem Stand von 1965“, meint ein Journalist. „Wir erleben die Rückkehr zur autoritären Herrschaft. Mit dem Unterschied, daß die Macht heute nur noch ein Ziel hat: das eigene Überleben zu sichern.“
dt. Edgar Peinelt
* Journalistin, Autorin von „Être journaliste en Algérie“, Paris, 1996, Zu bestellen über: Reporter ohne Grenzen, c/o taz, Kochstr. 18, 10969 Berlin.