Afrikas Oberschicht igelt sich ein
Von MARC-ANTOINE
PÉROUSE
DE MONTCLOS *
LEICHT erkennt man in schwarzafrikanischen Städten, in denen es seit der Wirtschaftskrise kaum noch einen Mittelstand gibt, die Viertel der Reichen. Zunächst an den hohen Grundstückspreisen und Mieten, an der planvollen Anlage, der guten Infrastruktur, der geringeren Bevölkerungsdichte, den verwendeten Baumaterialien, am Komfort und an der Eleganz der Villen, an der Zahl der Luxuslimousinen und Swimmingpools, mitunter auch daran, daß es keinen Straßenhandel gibt. Und doch findet der soziale Abstand seinen Ausdruck vor allem in einem extremen Sicherheitsbedürfnis, das bereits dazu geführt hat, einige der reichen Viertel in regelrechte Ghettos zu verwandeln.1
In Nigeria hat sich die britische Kolonialmacht nur wenig um die Entwicklung der Städte gekümmert, die bald zu den meistbevölkerten Schwarzafrikas wurden. Als die Zahl der Einbrüche und Überfälle nach dem Biafrakrieg und während des Ölbooms der siebziger Jahre in die Höhe schnellte, begannen die Wohlhabenden sich einzuigeln: Viele Villen sind heute von Stacheldraht und glassplitterbewehrten Mauern umgeben – und auf den Dächern prangen Parabolantennen, um ausländische Sender zu empfangen, da es zu gefährlich geworden ist, abends das Haus zu verlassen.
In Südafrika ließ bereits die Apartheid das Leben der Städte erstarren, indem sie die Landflucht durch ein System von Durchgangssperren (die sogenannte influx control) eingegrenzt und den Menschen gemäß ihrer ethnischen Herkunft bestimmte Viertel angewiesen hatte, die sie nicht verlassen durften. Die Zunahme der Kriminalität in den achtziger Jahren tat ein übriges, um die Ghettosituation der Bevölkerung festzuschreiben, die mittlerweile aber viel eher ein Klassen- als ein Rassenproblem widerspiegelt.
Schon bevor die Briten kamen, gab es in Nigeria große Städte, insbesondere im Südwesten, dem Gebiet der Yoruba. Die Briten haben das urbane Wachstum kaum gesteuert, denn sie zogen eine „indirekte Herrschaft“ (indirect rule) vor, das heißt, sie ließen die traditionellen Führer für sich arbeiten; im Gegenzug gewährten sie ihnen vor allem im von den Haussa bewohnten Norden eine gewisse Verwaltungsautonomie. Als überzeugte Anhänger einer möglichst kostengünstigen Kolonisierung haben die Briten erst gar nicht versucht, das städtische Leben in den Schwarzenvierteln zu organisieren. Lieber ließen sie sich in etwas abseits gelegenen Gartenstädten nieder, den government residential areas (GRA). Diese Viertel sind nach wie vor den Beamten vorbehalten, auch wenn sie nur selten noch so gut instandgehalten werden wie früher.
In Lagos wurde die Mittelschicht ein Opfer des Ölpreisverfalls und des Strukturanpassungsprogramms, das 1986 zwischen dem IWF und Nigeria unterzeichnet wurde.2 Doch hat der Ölsegen der siebziger Jahren den Aufstieg einer Oberschicht ermöglicht, die im Reichtum schwimmt. Ikoyi, nahe der Innenstadt gelegen, ist eine ehemalige GRA, in der neben Parvenüs aus der Zeit des Ölbooms Angehörige ausländischer Botschaften und Konzerne, hohe Beamte der Militärjunta sowie Neureiche wohnen, die auf zweifelhafte Weise zu ihrem Vermögen gekommen sind: Drogenbarone und Finanzbetrüger.
Derselbe Menschenschlag bevölkert auch Victoria Island, eine auf der anderen Seite der Falomobrücke gelegene Insel, die der Lagune Ende der fünfziger Jahre durch Landgewinnung abgerungen wurde; bis heute verursacht dieses ehrgeizige Projekt Folgekosten, die den städtischen Haushalt unverhältnismäßig hoch belasten. Die Villen hier sind von Befestigungsmauern umgeben und werden von Sicherheitskräften scharf bewacht. Daneben gibt es noch eine Reihe von Bürohäusern und Wohnanlagen, die gebaut wurden, um die Beamten der Zivilregierung der Zweiten Republik (1979-1983) unterzubringen.
Wegen des rassistisch geprägten Städtebaus in Südafrika war die Abschottung hier, zum Beispiel in Sandton bei Johannesburg, schon sehr weit gediehen, ehe es zum sprunghaften Anstieg der Kriminalität kam, der diesen Zustand noch verschärfte.3 Und trotz der Abschaffung auch der letzten Apartheidsgesetze sorgt das Sozialgefälle weiterhin für eine inoffizielle Rassentrennung: Kaum ein Schwarzer hat das Geld, um ein Haus in einem Weißenviertel zu kaufen oder auch nur zu mieten. Dennoch haben viel Weiße seit der Abschaffung der Durchgangssperren 1986 die Geschäftsviertel von Johannesburg verlassen, um in den Norden nach Sandton zu ziehen, das jetzt ähnlich wie Victoria Island in Lagos die Rolle eines Refugiums spielt.
Mit 53 Morden pro 100000 Einwohner (in Frankreich sind es weniger als 4) hält Südafrika einen Weltrekord, der privaten Sicherheitsfirmen einen schier unerschöpflichen Markt eröffnet hat. Trotz der Wirtschaftskrise gibt es etwa 2000 Wachschutzunternehmen, die fast 250000 Personen beschäftigen und deren Umsatz sich auf gut 800 Millionen Mark beläuft, wobei allerdings spezielle Dienstleistungen für große Bergbaugesellschaften und Banken mitgerechnet sind. Die Zahl der privaten Sicherheitskräfte übertrifft damit die der Polizisten um mehr als 100 Prozent (114000 Beamte, davon 95000 in Uniform). Die Kunden sind fast ausschließlich Weiße.
Die Polizei, die sich hauptsächlich aus Schwarzen zusammensetzt, besitzt weder das Vertrauen der farbigen Bevölkerung (wegen ihrer repressiven Rolle während der Apartheid) noch das der Weißen. Sie löst nur noch die Hälfte der Fälle, während es in den siebziger Jahren noch drei Viertel waren. Und ihre Personalstärke, auch wenn sie in den letzten fünf Jahren verdoppelt wurde, ist im Vergleich zu anderen Ländern immer noch recht gering, was sich freilich daraus erklärt, daß sie unter dem Apartheidsregime nur für den Schutz der Weißen zuständig war.
Für Frank Sims, den Sprecher des Dachverbands privater Sicherheitsfirmen, SASA (Security Association of South Africa), sind aber nicht nur die hohe Kriminalität und die offenkundig überlastete Polizei für den Erfolg der Wachgesellschaften verantwortlich. Nach der Abschaffung der Apartheid ist die „schwarze Gefahr“ in den Städten der Weißen sichtbarer geworden, und die bloße Anwesenheit afrikanischer Kleinhändler in den Straßen weckt bereits Ängste. Sodann erfordert die Gründung einer Wachgesellschaft nicht viel Eigenkapital und verspricht doch schnellen Profit. Viele ehemalige Soldaten und Polizisten, die den Trend erkannt haben, machten sich im privaten Wachschutz selbständig. Schließlich verpflichten auch die Versicherungsgesellschaften ihre Kunden dazu, ihr Haus mit einer Alarmanlage auszurüsten.
In Sandton wie in den anderen feinen und langweiligen Vororten im Norden von Johannesburg sieht man an den Eingangstoren der Villen Schilder mit den Namen der zuständigen Wachschutz-Firmen: Sandton Sentry, Armed Response und so weiter. Wenn der typische südafrikanische Besserverdienende nach Hause kommt, parkt er sein Auto in einer Garage, deren Tür er mit einer Fernbedienung öffnet. So muß er nicht auf der Straße aussteigen und das Risiko eingehen, überfallen zu werden (in den Wolkenkratzern der Innenstadt begibt er sich direkt aus dem unterirdischen Parkhaus in sein Büro). Danach tippt er eine Codenummer ein, um die Alarmanlage seines Hauses abzuschalten, die mit einer Zentrale verbunden ist; ansonsten registrieren die Infrarotdetektoren das Eindringen einer unbefugten Person, und kurze Zeit später (angeblich in drei Minuten) sind bewaffnete Sicherheitskräfte da. Und wenn alle Stricke reißen gibt es auf dem Nachttisch im Schlafzimmer oft noch für den Fall der Fälle einen panic button.
Mauern, Stacheldraht und Wachhunde treten allmählich an die Stelle der räumlichen Segregation und der Pufferzonen, die das Apartheidsregime zur Rassentrennung angelegt hatte.4 Die umfassende Abriegelung der Vorstädte stärkt bei den Reichen das Gefühl sozialer Abschottung nach US-amerikanischem Vorbild. Der weiße Kleinbürger jedoch, der sich die Dienste einer Wachgesellschaft nicht leisten kann, kennt noch alle seine Nachbarn im Viertel, mit denen er sich gegebenenfalls zusammenschließt, um auf eigene Faust für Sicherheit zu sorgen.
dt. Andreas Knop
1 Vgl. Marc-Antoine Pérouse de Montclos, „Violence et sécurité urbaines en Afrique du Sud et au Nigeria. Les cas de Durban, Johannesburg, Kano, Lagos et Port Harcourt“ (erscheint demnächst im Verlag Karthala, Paris).
2 Margaret Peil, „Lagos. The City is the People“, London (Belhaven Press) 1991.
3 Zur städtischen Apartheid vgl. David Marshall Smith, „Living under Apartheid. Aspects of Urbanization and Social Change in South Africa“, London (Allen & Unwin) 1982, und vom selben Autor, „The Apartheid City and Beyond. Urbanization and Social Change in South Africa“, London (Routledge) 1992.
4 Vgl. die Erzählung von Nadine Gordimer „Es war einmal“, in: „Die endgültige Safari“, Frankfurt/M. (S. Fischer) 1992, S. 35-45.
* Forschungsbeauftragter am Französischen Forschungsinstitut für Zusammenarbeit und Entwicklung (Orstom).