15.03.1996

Der IWF im Paradies

zurück

Der IWF im Paradies

IN Afrika ist sogar das Paradies auf Erden einem Strukturanpassungsplan des Internationalen Währungsfonds unterworfen, und der Heilige Petrus ist wahrscheinlich als Berater bei der Weltbank tätig.

Im Golf von Guinea liegt etwa 300 km von der Küste Gabuns entfernt die Inselrepublik São Tomé und Principe. Die 130000 Einwohner leben in einem demokratischen Staat auf zwei Inseln vulkanischen Ursprungs, die zusammen 1000 km2 groß sind. Es gibt üppig wuchernden Urwald mit buntgefiederten Papageien und von Kokosbäumen beschattete Strände mit türkisblauem Meer. Die Inseln sind ein exotischer Traum, wie man ihn nur noch auf Postkarten findet. Und doch werden sie heimgesucht von einem besonders gefährlichen Sumpffieber, und die Kindersterblichkeit liegt bei ihren Bewohnern, die zu den ärmsten Menschen der Welt gehören, mit über 70 von 1000 Neugeborenen sehr hoch. São Tomé und Principe war seit dem 15. Jahrhundert eine portugiesische Sklavenkolonie mit riesigen Kakao- und Kaffeepflanzungen, die das Land einst zum weltweit größten Produzenten dieser beiden Rohstoffe gemacht haben. Ihre Unabhängigkeit erlangte die Inselgruppe im Juli 1975. Die portugiesischen Siedler gaben die Insel auf und ließen 90 Prozent Analphabeten und einen einzigen Arzt zurück. Das Land führte ein volksdemokratisches System ein, an dessen Spitze die Befreiungsbewegung von São Tomé und Principe (MLSTP) stand, die die meisten der verlassenen Pflanzungen verstaatlichte und den Alphabetisierungsgrad bei Jungen wie bei Mädchen auf mehr als 60 Prozent anheben konnte — einer der höchsten in ganz Afrika. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurde 1991 in den ersten demokratischen Wahlen ein Oppositionspolitiker aus dem Exil, Miguel Trovoada, zum Präsidenten gewählt. Seit den Wahlen von 1994 regiert er zusammen mit einer Regierung der MLSTP, die die Mehrheit zurückerobern konnte. Das hoch verschuldete Land, das unter allen Nachteilen der Insellage leidet, ächzt unter dem Joch des IWF und eines Plans zur Strukturanpassung, der es zu katastrophalen Einschnitten bei den Ausgaben für Gesundheit und Erziehung zwingt. Die Experten, die mit den massiven Entlassungen im öffentlichen Dienst zufrieden sind, setzen jetzt auf reduzierte Gehälter, um das Haushaltsdefizit auszugleichen. Auf der Insel verdienen die Beamten pro Monat durchschnittlich etwa ... 85 Franc (27 Mark).

C. de B.

Le Monde diplomatique vom 15.03.1996, von C. de B.