Afrika zappt sich durch
DA in Afrika südlich der Sahara kaum eigene Fernsehbilder produziert werden können, wird es von Bildern aus der Fremde überschwemmt. Auf die Invasion der Serien folgen dürftig illustrierte Nachrichten, Gerede und Propaganda. Aber trotz eingeschränkter Programmgestaltung und einer vom Zufall abhängigen Ausstrahlung zeigen die afrikanischen Fernsehzuschauer ihre Verbundenheit mit den heimischen Produktionen, mit denen sie sich ein vertraut gewordenes Medium anzueignen versuchen.
Von THIERRY PERRET *
In Matam, einer kleinen Stadt am Ufer des Senegal, kann man nachts zu den Tönen eines im Freien vorgeführten indischen Kitschfilms einschlafen. Weil der Empfang des staatlichen Fernsehens nicht gut ist1, bleibt in dieser Region im Norden Senegals, mehrere hundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt, das Kino die wichtigste Unterhaltung. Mit einer Satellitenschüssel allerdings kann man Bilder aus der ganzen Welt empfangen.
Das gleiche gilt am anderen Ufer des Flusses auf mauretanischem Gebiet, wo der Besitzer einer Fernsehantenne, wenn er US-amerikanische, deutsche oder französische Fernsehfilme nicht mag, die Programme der „Bruderländer“ der arabischen Welt einschalten kann. Die schwache Reichweite der staatlichen Medien in Mauretanien fördert die Konkurrenz des senegalesischen Fernsehens, das praktisch das zweite Programm des Landes bildet. Genauso ist es in Brazzaville oder Kinshasa und in anderen grenznahen Hauptstädten, wo sich die Wellen der jeweiligen Landessender tummeln: Dort kann man die Nachrichtensendungen der Nachbarn verfolgen, sogar bei Sturm – auf politischer Ebene.
Paradoxes Afrika: Hier kennt das Fernsehen fast keine Grenzen. Und der Mangel an Bildern ist auf dem am schlechtesten mit Empfangsanlagen ausgestatteten Kontinent nicht mehr so kraß, seit – nach den Videogeräten – überall die Satellitenschüsseln ins Kraut schießen und den Empfang von Dutzenden von Fernsehsendern aus der ganzen Welt ermöglichen.
Zwar bleibt die ländliche Bevölkerung im Abseits, zwar hat in der Stadt nicht jeder Zugang zum Fernsehen und noch weniger zu den großen internationalen Sendern, aber die Solidarität der Gemeinschaft spielt eine erhebliche Rolle bei der „Weiterverteilung“ der Bilder: An manchen Abenden versammeln sich mehrere Dutzend Menschen, Erwachsene wie Kinder, vor einem im Freien, in einem Hof oder einem Lokal oder sogar auf der Straße aufgestellten Gerät.
Die von den staatlichen Sendern ausgestrahlten Serien – unverzichtbare Lückenfüller einer oft heldenhaften Programmgestaltung – sind keineswegs alle aus dem Westen. Die Fernsehromanzen kommen auch aus Ägypten und Lateinamerika: Der große Erfolg des vorigen Jahres in Abidjan war „Das Recht auf Liebe“, nach „Dona Beija“ und vielen anderen derartigen brasilianischen Fernsehserien, die in Geschichten von verhinderter Liebe und in Familienintrigen schwelgen.
„Dallas“, „Denver“, „Santa Barbara“, „Falcon Crest“ und „Alarm in Malibu“ bleiben obligatorische Sendungen des afrikanischen Fernsehzuschauers. Die meisten dieser von den staatlichen Anstalten billig eingekauften und gesendeten US-amerikanischen Serien haben eine hohe Sehbeteiligung: Morgens im Büro kommentiert man J. R.s letzte Eskapaden, macht sich Sorgen um Bobby, zieht über Lucie und Christelle her. Und da die Nachfrage nicht abreißt, werden sie von den Sendern immer wieder ins Programm genommen.
Im allgemeinen werden die verheerenden Auswirkungen dieser Endlosintrigen, die den American way of life mit schönen Villen, dicken Autos und lockeren Sitten propagieren, auf die afrikanischen Gesellschaften angeprangert. Die davon vorrangig betroffenen Zuschauer haben eine differenziertere Einschätzung, und die Kommentare der eifrigen Zuschauerinnen von Serien wirken eher positiv.
Manche Szenen oder Situationen schockieren dennoch, wie die zum Lebensstil erhobene Untreue oder die Homosexualität. Aber man muß die tatsächlich große kulturelle Kluft zwischen dem Westen und Afrika relativieren: Haben die reichen Amerikaner in den kalifornischen Serien nicht viel gemeinsam mit den „Geldsäcken“ der afrikanischen Großstädte, die Mercedes fahren, sich Villen mit einer Halle aus Marmor bauen lassen und dafür bekannt sind, am laufenden Band finanzielle Machenschaften und Seitensprünge vom Zaun zu brechen?
Wenngleich man sich vor einer „provinzialistischen“ Sichtweise hüten muß, die Afrika noch auf der Schwelle einer bedrohlichen Moderne verortet: die ansteckenden Wirkungen sind unübersehbar. Die Soziologin Awa Thiam wundert sich, daß die jungen Mädchen in Dakar die gleichen kurzen Röcke, die gleichen Frisuren tragen wie die afroamerikanischen Schauspielerinnen.2 Aber schließlich sind die Jugendlichen in Senegal nicht so sehr anders. Die Moden, das Verhältnis zum Geld, die Gefühle, der Individualismus: die Lebensweise entwickelt sich rasant in manchen Großstädten, und das Fernsehen verstärkt dieses Phänomen.
Die afrikanische Gesellschaft scheint im allgemeinen offen für alle Einflüsse, aber es kommt doch vor, daß sie Grenzen zieht: Bei Gewalt oder Sex reagieren ihre Wortführer – Politiker, religiöse Führer, Journalisten – heftig auf „überzogene“ Darstellungen. So lief die senegalische Presse Sturm gegen die erotischen Szenen in dem Film „Der Liebhaber“ von Jean- Jacques Annaud, der von Canal Horizons, einer Tochtergesellschaft von Canal Plus, ausgestrahlt wurde – und zeigte sich dann erstaunt darüber, daß derselbe Canal Plus die „heißen“ Szenen in dem Film „Basic Instinct“ eindeutig zensiert hatte!3
Aber mehr als in der schwer oder gar nicht einzudämmenden kulturellen Invasion liegt ein großes Problem der afrikanischen Fernsehsender darin, daß sie keine Alternative der Programmgestaltung anbieten können. Schon bevor mit dem technologischen Fortschritt die Bilder aus dem Weltraum über das Land hereinbrachen, trugen die staatlichen Anstalten ihren Teil zur visuellen Kolonisierung bei, indem sie bis zu drei Viertel der Sendezeit mit importierten Programmen abdeckten.
Schlimmer noch, die reichsten Staaten haben gegen das Auftreten der großen internationalen Sender damit reagiert, daß sie einen zweiten staatlichen Kanal einrichteten. Da er nicht mit heimischen Produktionen gespeist werden kann, ist er darauf angewiesen, auf ein ausländisches Angebot zurückzugreifen. Heute abend stehen „Rick Hunter“ oder „Secret Agent“ auf dem Programm ...
Im anglophonen Afrika, von Kenia bis Simbabwe, mag die Dürftigkeit der Programmgestaltung noch schlimmer sein, aber zumindest findet man dort eine relativ reiche Produktion von Fernsehfilmen, die manchmal in den Landessprachen gedreht sind. Im frankophonen Afrika gibt es derartige heimische Produktionen fast gar nicht. Der Erfolg des vor zwei Jahren in Senegal in einer Koproduktion mit Belgien gedrehten, gut gemachten Fortsetzungsfilms „Fann Océan“, dem seine romanesken Intrigen den Beinamen „afrikanisches Dallas“ eingebracht haben, ist eine Ausnahme geblieben.
Der frankophone Kanal TV 5 hat jedoch vor einiger Zeit kurze Fernsehfilme afrikanischer Autoren gezeigt, die vom Conseil international des radio-télévisions francophones (Cirtef) bestellt und gekauft worden waren. Diese Filme, mit einer Länge von 13 bis 26 Minuten, liefern eine Illustration sozialer Wirklichkeit, verbunden mit einem offensichtlichen didaktischen Anliegen: „Gombélé“ von Issa Traoré aus Burkina Faso erzählt die Leiden eines Albinos. Andere behandeln Stoffe aus heimischen Legenden und Tabus („Die Tränen des Krokodils“ von Dary Kouyaté, ebenfalls aus Burkina Faso). Der afrikanische Spielfilm ist kaum mehr vertreten. Am stärksten wird er noch von Canal Horizons repräsentiert, der seit drei Jahren mehrere Dutzend afrikanische Filme gezeigt hat.
Die Versorgung mit Tagesnachrichten sollte den afrikanischen Fernsehanstalten eigentlich eine Marktlücke bieten, aber bedauerlicherweise besteht die Neigung, „auf CNN zu machen“, das heißt in großem Umfang internationale Themen mit ausländischen Filmbeiträgen zu behandeln. Zu den Lokalnachrichten und noch mehr zu denen aus dem übrigen Afrika gibt es nur dürftiges Filmmaterial, auch wenn das politische Klima offen ist. Spürbar gleichen nur die von AITV, der Agentur von RFO, angebotenen Nachrichtenpakete über Afrika in den Nachrichtensendungen des Landes die vom französischen Fernsehen übernommenen Beiträge aus. Auch die staatlichen Sender verfügen dank eines Austauschdienstes für Nachrichtenbilder zwischen den afrikanischen Fernsehsendern (Afrovision de l'Union des radiodiffusions) und den staatlichen Fernsehanstalten von Afrika (Urtna) seit einigen Jahren über ein Angebot an Reportagen, die von den verschiedenen Mitgliedern hergestellt werden. Theoretisch kann man so in Libreville live eine Reportage über die Wahlen in Elfenbeinküste oder über die Pferderennen in Senegal sehen, statt sich einen armseligen Bericht über den Besuch irgendeines Vertreters der Weltbank in Gabun anzuschauen.
Ansonsten veranschaulichen die afrikanischen Fernsehanstalten unter zuweilen traurigen Bedingungen und mit eingeschränkten Sendezeiten den Kampf ums Überleben: Die Sendungen beginnen manchmal erst um 18.30 Uhr und enden schon um 22.30 Uhr. RTN im Tschad sendet nur von Mittwoch bis Sonntag. Dauernde Pannen unterbrechen oft für Tage jegliche Ausstrahlung, manchmal sogar – wie kürzlich in Kongo – für mehrere Monate.
Und wenn das Material einmal nicht versagt, leiden diese Fernsehprogramme an einer ausgeprägten Vorliebe für Füllwerk: „das Gequatsche, die speech“, wie der Direktor von TV 5 Afrique, der Senegalese Mactar Sylla, sich ausdrückt, der den örtlichen Fernsehmachern mangelnden Professionalismus vorhält, zumal vor dem Hintergrund, daß die verantwortlichen staatlichen Stellen nicht bereit sind, sich wirkliche Gedanken über die künftige Entwicklung des audiovisuellen Bereichs zu machen.4
Das liegt auch daran, daß das ursprünglich als Bildungseinrichtung konzipierte afrikanische Fernsehen in den Händen der Machthaber vor allem ein Propagandainstrument geworden ist. Ein betrübliches Beispiel hierfür liefert das noch junge, aber mit am besten ausgestattete kamerunische Fernsehen. Umfangreiche Beiträge der Fernsehnachrichten informieren über Reisen von Ministern und die feierliche Amtseinsetzung von Parteimitgliedern, an die sich eine erbauliche Diskussion über die kamerunische Jugend anschließt.
Angesichts der unverändert starren Bildeinstellung, der unabdingbaren Filme über die „Audienzen“ des Staatsoberhaupts, der mehr als eingehenden Berichterstattung über religiöse Ereignisse und diverse Rundreisen von Offiziellen im Hinterland, bei denen die einzigen verfügbaren Kameras eingesetzt werden, reagiert der afrikanische Fernsehzuschauer großzügig: Er überläßt das Fernsehen seinem Eigenleben. In den Wohnzimmern, wo bis spät in die Nacht Besuch kommt, werden oft Höflichkeiten und Neuigkeiten aus dem Land vor einem unbeachteten Ton- und Bildhintergrund ausgetauscht: Niemand würde daran denken, das Fernsehgerät auszuschalten, das ein für die Atmosphäre und auch für den sozialen Status unverzichtbares Familienmitglied geworden ist, dem man viel verzeiht.
Diese unverbrüchliche Treue des afrikanischen Zuschauers zu seinem Fernsehen ist ein unschätzbarer Vorteil. Wenn nämlich die staatlichen Produktionen einmal Interesse wecken, werden sie begeistert verfolgt. Die Varieté-Sendungen und die heimischen Musikclips lassen die Herzen der jungen Mädchen höher schlagen und tragen dazu bei, schnell um sich greifende Moden aufzubringen. Verfilmte Theaterstücke (vor allem in Zentralafrika) und andere ohne Aufwand gedrehte Sitcoms werden von vielen gesehen und ausgiebig kommentiert, weil es darin um das wirkliche Leben in den „Vierteln“ geht, mit seinen Mißgeschicken und einer guten Portion Liebeskummer, seinen immer gleichen Geschichten über verlorene Jobs und Besuche beim Marabut.
Ein paar Regietricks und das Zurückgreifen auf die „örtlichen Realitäten“ sichern dauerhafte Erfolge: Neben der unvermeidlichen brasilianischen Serie, Kung-Fu-Filmen und Fußballübertragungen bietet in Benin die Sendung „Tour de vis“ („Daumenschrauben“) eine Reihe mit Themendiskussionen, denen Sketche vorausgehen. Gesprochen wird über Korruption, Gewalt, Demokratie. Alle vierzehn Tage sitzen die Beniner pünktlich vor ihrem Fernseher. In der gleichen Weise war in Elfenbeinküste jahrelang die Sendung „Comment ça va?“ überaus erfolgreich, in der gesellschaftliche Themen wie Untreue, Aids und andere von den Darstellern satirisch in Szene gesetzt wurden.
In manchen Ländern ist die Sehbeteiligung explosionsartig angestiegen, als das Fernsehen mit vollständigen Übertragungen der großen politischen Debatten und anderer nationaler Konferenzen begann, die den Übergang zur Demokratie begleiteten, wie beim Prozeß gegen Expräsident Moussa Traoré in Mali oder dem „Bandenprozeß“ im August 1995 in Konakry: Ab 18 Uhr saß die gesamte Bevölkerung vor den Geräten, um die Verurteilung einer Gruppe von Beamten und Soldaten, die beim Diebstahl ertappt worden waren, live mitzuerleben. Die Regierung wollte damit ein Exempel statuieren – und die Malier waren ganz versessen darauf.
Hier zeichnen sich Perspektiven für auf diesem Gebiet noch lange unersetzliche Fernsehanstalten mit einem aufnahmebereiten Publikum ab. Die offensichtlich unabwendbare audiovisuelle Invasion wird nur dann zum Verhängnis, wenn Afrika nicht selbst etwas dagegensetzt.
dt. Uli Aumüller
1 In den nächsten Jahren wird ein Projekt zur Verstärkung der Sender in Senegal für eine bessere Reichweite sorgen.
2 „Femmes et Télés / Femmes à la Une“, eine Magazinsendung von Radio France Internationale.
3 Wal Fadjri, 1. Januar 1994.
4 Mactar Sylla, „Le Paria du village planétaire“, Nouvelles Editions africaines 1995.
* Journalist bei Radio France Internationale.