10.05.1996

Auch Sie haben Macht! Antwort an Pierre Bourdieu Von DANIEL SCHNEIDERMANN

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Auch Sie haben Macht! Antwort an Pierre Bourdieu Von DANIEL SCHNEIDERMANN

VERGANGENEN Monat haben wir einen Beitrag des französischen Soziologen Pierre Bourdieu veröffentlicht, in dem der Autor seine Teilnahme an einer Fernsehsendung – „Arrêt sur images“ – analysiert. Er hinterfragt dabei Wesen und Funktionsweise des Fernsehens, und zumal die Fähigkeit dieses Massenmediums, sich selbst zu kritisieren. In unseren Meinungsdemokratien, in denen die Medien bekanntlich immensen Einfluß ausüben, ist diese Fragestellung unweigerlich politischer Natur.

Daniel Schneidermann, der Produzent der fraglichen Sendung – eine der wenigen in Frankreich, die sich auf mutige und seriöse Weise um einen analytischen Umgang mit den Bildern des Fernsehens bemühen –, legt Wert darauf, Pierre Bourdieu zu antworten. Er tut dies auf einem eher polemischen als theoretischen Niveau. Das ist schade. Denn hier geht es um eine schwerwiegende Frage; und sie stellt sich nach wie vor: Kann das Fernsehen das Fernsehen kritisieren? I. R.

LIEBER Pierre Bourdieu. Wie schwer ist es doch für einen Intellektuellen, das Fernsehen zu denken! Ihr Auftritt am 23. Januar in „Arrêt sur images“, der wöchentlichen Sendung auf La Cinquième, in der die vom Fernsehen ausgestrahlten Bilder unter die Lupe genommen werden, hat Sie also lediglich zu diesem Aufschrei der Wut, der Selbstvorwürfe und Enttäuschung in Le Monde diplomatique inspiriert. Da hat man, versichern Sie, Ihr „Vertrauen mißbraucht“. Nun mag ich alles andere als würdig sein, mit einem Professor vom Collège de France zu debattieren, aber ich möchte dennoch dieses eine Mal nicht die Bilder, sondern Ihren Text unter die Lupe nehmen.

Zunächst ein paar Worte zu dessen bemerkenswerter Struktur. Nachdem Sie über zwei Spalten Ihre Version des Gesprächs wiedergeben, das wir vor der Sendung führten, gehen Sie in der dritten Spalte unvermittelt dazu über, in groben Zügen die Funktionsweise einer Fernsehsendung kritisch darzustellen. Eine rasche Lektüre könnte zu der Annahme verleiten, daß sich dieses wenig schmeichelhafte Resümee auf „Arrêt sur images“ bezieht, während Sie in Wirklichkeit „La marche du siècle“, eine Sendung auf France 3, beschreiben, an der Sie vor ein paar Jahren ebenfalls teilnahmen. Aber weil ich unmöglich glauben kann, diese Zweideutigkeit sei Ihnen absichtlich unterlaufen, will ich nicht weiter darauf herumreiten.

Interessanter erscheint mir, daß dieser Text einige überraschende blinde Flecken in Ihrem Denken und Ihrem Weltbild zu erkennen gibt. Und das beginnt beim Fernsehen selbst. Denn worauf laufen Ihre Vorwürfe im wesentlichen hinaus? Doch darauf, daß man Ihnen nicht die völlige Herrschaft über den Ablauf der Sendung gelassen hat. Sie hätten am liebsten sowohl die Zusammensetzung der Gesprächsrunde als auch die Auswahl der Filmausschnitte bestimmt. Sie mit Widersachern zu konfrontieren, Sie zu unterbrechen, und sei es mit allem Respekt, die von Ihnen selbst gewünschten Filmsequenzen, die ihre Thesen untermauern sollten, durch weitere zu ergänzen, das war in Ihren Augen eine Majestätsbeleidigung. Man diskutiert nicht mit Pierre Bourdieu, man leistet Pierre Bourdieu keine Widerrede, man mischt sich nicht ein, wenn Pierre Bourdieu redet. So einfach ist das! Sie wollten allein auftreten, mit ihren Bildern, um ihre Botschaft zu übermitteln. Das Fernsehen hatte abzudanken. Wenn man Sie recht versteht, gibt es im Grunde nur eine mögliche Form der Kommunikation: die professorale Vorlesung am Collège de France.

Diese nachträgliche Ablehnung des Streitgesprächs überrascht mich. Ich meine noch im Ohr zu haben, wie Sie sich am Telefon über die Aussicht freuten, Ihren Widersachern „eins reinzuwürgen“. „Mir wurde gesagt, daß ich vor einer starken Gegenposition besser zur Geltung komme“, äußerten Sie. Habe ich das geträumt? Wohl kaum! Unsere Verhandlungen über die Zusammensetzung der Runde verliefen ungetrübt. Warum soll jetzt etwas anderes suggeriert werden? Um die Fernsehberichterstattung über die Streiks vom Dezember zu kritisieren, wollten Sie Ausschnitte aus Sendungen von Jean-Marie Cavada (France 3) und Guillaume Durand (TF 1) heranziehen. Ich vergewisserte mich, daß beide kommen würden, um Ihnen Paroli zu bieten. Wir waren uns einig.

Aber konzentrieren wir uns nur auf Ihren Text, weil das die Haltung ist, die Sie inzwischen vertreten. Diese ostentative Furcht des Meisterdenkers vor Widerworten ist zunächst einmal aufschlußreich für den Niedergang der intellektuellen Streitkultur in Frankreich. Sie haben nicht unrecht: Das meisterhafte „Mundtotmachen“ ist heute die einzig anerkannte Form intellektueller Äußerung in der Öffentlichkeit. Die Meister und Gesellen bestimmter Denkschulen halten ihre Vorlesungen, ohne jedes Interesse dafür, was in der Nachbardisziplin vor sich geht. Die Angst vor dem Widerspruch zeugt aber vor allem von einer erstaunlichen Verkennung der Macht, die das Instrument Fernsehen besitzt. Wenn Sie es aus dem Haus jagen würden, käme es postwendend durch die Hintertür zurück. Es würde sich für seinen Rauswurf dadurch rächen, daß es ihn gnadenlos mit Bildern untermalt. „Pierre Bourdieu spricht zu Ihnen“: Wäre das die von Ihnen erträumte Sendung? Was wünschten Sie sich als Dreingabe? Einen Trommelwirbel? Einen uniformierten Conferencier? Eine geschlagene Stunde lang zuschauen, wie ein ehrwürdiger Professor doziert und exkommuniziert: Wer hätte dieser Farce bis zum Ende zusehen können, ohne sich totzulachen?

Das Fernsehen ist ein Fleischwolf, da hat Bourdieu durchaus recht. Die Gesichtsfalten eines Studiogastes, sein Stirnrunzeln, sind immer aussagekräftiger als seine Beweisführung. Die elementare Maßeinheit ist die aggressive oder charmante Form der „Anmache“. Selbst wenn man wie Sie in einer 52 Minuten währenden Sendung 20 Minuten lang zu Wort kommen darf, (gegenüber jeweils acht Minuten für ihre beiden Kontrahenten): Läßt man sich auf das Fernsehen ein und versucht, dort einen Gedanken loszuwerden, muß man sich damit wohl oder übel auf einen Kompromiß mit dem Fleischwolf einlassen. Bei einem Kompromiß, lieber Pierre Bourdieu, gewinnen und verlieren beide Seiten. Was bin ich bereit zu opfern (von meiner Unschuld, meiner Integrität, meiner Komplexität, meiner Unbescholtenheit) zugunsten welcher Vorteile (der Bekanntheit, der Wirkung)? Bis zu welchem Punkt lohnt es sich, die eigene Botschaft durch die Mangel der Bilder drehen zu lassen? Das sind die einzigen Fragen, die zählen.

Kaum haben Sie mir vorgeworfen, TV-Mechanismen zu viele Opfer gebracht zu haben, fließt Ihnen schon die nächste widersprüchliche Klage aus der Feder: Ich hätte die beiden anderen Gäste nicht über die Kritikpunkte unterrichten sollen, die Sie ihnen zu präsentieren planten. Wollten Sie also einen Überraschungseffekt landen, die rechte Gerade, den „Tele- Knockout“? Träumten Sie davon, sie zu überrumpeln – „Da! Wie schmeckt dir das“? Wünschten Sie sich, daß die Kamera auf ihren Gesichtern die Stigmata einfängt, die ihnen der Bannstrahl des allmächtigen BourDieu zufügt? Bedaure, so etwas ist in unserer Sendung nicht üblich. Solche Effekte, zu denen die Mechanismen des Fernsehens allerdings verleiten – nichts „kommt so gut an“ wie das Töten, nichts wirkt besser als Blut –, lehnen wir ab. Bourdieu erledigt Durand und Cavada: Angenommen, Ihre Waffen wären ausreichend scharf gewesen und Ihre Hand hätte nicht gezittert, so hätte unsere Sendung sicher einen hübschen Werbeerfolg und beachtliche Zuschauerzahlen erzielt. Ich sage: Nein, danke! Dem „Fernsehcoup“, dem Überraschungsangriff, ziehe ich den offenen, aber fairen Dialog entschieden vor, vor dem jeder Gelegenheit hat, seine Argumente entsprechend zu präparieren. Unsere Gäste erhalten immer Einsicht in das Programm, und so ausführlich, wie sie selbst für richtig halten. Dazu kam es übrigens in diesem Falle nicht, da weder Jean-Marie Cavada noch Guillaume Durand darum baten, über Ihr argumentatives Rüstzeug aufgeklärt zu werden.

Das Verblüffendste und Aufschlußreichste an Ihrem Artikel ist allerdings das, was darin gar nicht vorkommt: eine Analyse der Sendung selbst. Was Sie hätten sagen wollen, was Sie nicht haben sagen können, Ihr Apriori hinsichtlich des Fernsehens: Wir haben es vernommen. Aber Ihr Urteil über die Sendung? Sie haben die 52 Minuten einfach weggezappt, die doch immerhin durch Sie, auch wenn es Ihnen nicht gefällt, zu dem einmaligen Ereignis führten, daß das Fernsehen in Gestalt zweier seiner Würdenträger bereit war, sich – und ich bleibe dabei: mutig – der Kritik eines Intellektuellen auszusetzen.

Wie leicht läßt sich doch diese Sendung entziffern! Wie vielsagend ist der Austausch von Worten, Blicken, Schweigen! Aber ja, Schweigen! Denn eine Fernsehshow, lieber Pierre Bourdieu, besteht nicht nur aus den Worten, die gewechselt werden. Es sind die unerwarteten, unvorhersehbaren Augenblicke, die ihr, weil sie den Teilnehmern unliebsame Wahrheiten entlocken, ihren Stempel aufdrücken.

Bitte schauen Sie sich diese Sendung einmal an: Alles, was Sie nicht zu sagen vermochten – wie Sie es sich in Ihrem Artikel vorwerfen –, ist ganz phantastisch zur Geltung gekommen. Sogar Ihre Märtyrer- Strategie – sich unterbrechen zu lassen, um die Brutalität Ihrer Gesprächspartner deutlich zu machen – spricht schon deutlich aus ihrem schmerzlichen Lächeln angesichts der ersten Frage meiner Kollegin Pascale Clark: „Sie haben sich nicht oft im Fernsehen geäußert?“ Ein kurzes Schweigen, dann: „Nein.“ Welch ein Schweigen! Von der Verachtung für die Journalistin bis hin zum Mitleid für dieses „Opfer des Systems“ ist darin alles zugleich auf geheimnisvolle, grausame Weise zum Ausdruck gebracht!

Das bringt uns auf Ihren zweiten blinden Fleck, lieber Pierre Bourdieu: Sie selbst. „Ich hatte ausdrücklich darum gebeten, meine Stellungnahmen während der Streiks vom Dezember unerwähnt zu lassen“, schrieben Sie nicht so? Nicht nur, daß ich mich an keine derartige Forderung erinnern kann – sie gibt mir auch reichlich zu denken. Was werfen Sie dem Fernsehen an anderer Stelle doch gleich vor? Sie kritisieren Sendungen, in denen „die Parteilichkeit gewisser Gesprächsteilnehmer bemäntelt wird“. Daß Alain Peyrefitte auf verschiedenen Podiumsveranstaltungen als „Schriftsteller“ und nicht als „neogaullistischer Senator“ oder „Vorsitzender der Verlagsleitung des Figaro“ vorgestellt wird. Ihrer Ansicht nach eine schuldhafte Verschleierung.

Ich teile Ihre Entrüstung. Man kann die Fernsehzuschauer gar nicht genau genug darüber aufklären, „aus welcher Ecke“ einer stammt, der sich im Fernsehen äußert. Nur, warum sollten Sie als einziger von dieser wohltuenden Forderung ausgespart bleiben? Warum billigen Sie sich allein die Entscheidung darüber zu, ob Sie als einer, der über jeden Streit erhaben ist, sich auf dem Aventin des Collège de France verschanzt, in Erscheinung treten wollen, oder als der streitlustige Kämpfer auf seiten der Streikenden? Guillaume Durand, der Sie im Verlauf der Sendung darauf angesprochen hat, entgegnen Sie bestürzt: „Es würde zwei Stunden dauern, um darauf zu antworten.“ Allerdings! Es würde sicher noch weit mehr als zwei Stunden dauern, um die wunderbare Verdoppelung zu erläutern in einen Bourdieu, der den Eisenbahnern an der Gare de Lyon seine Unterstützung bringt, und einen Bourdieu, der, von den Erregungen des Pöbels enthoben, von der Höhe seines Lehrstuhls herab die wissenschaftliche Geißel gegen das verderbliche Fernsehen schwingt.

Aber möglicherweise sprechen Sie ja von überall her und nirgends. „Was soll unter Ihrem Namen erscheinen?“ fragte ich Sie noch im Verlauf der Sendung. „Nichts“ gaben Sie zur Antwort. Superb! Diese zweite große „Sekunde der Wahrheit“ entschloß sich Daniel Bougnoux, Professor für Kommunikationswissenschaften, in einer späteren Sendung von „Arrêt sur images“ (13. März 1996) seinerseits unter die Lupe zu nehmen. „Man kann es nicht besser ausdrücken, als daß in Bourdieu Gott ist“ (dieu, Gott), lautete seine Analyse. War es nicht diese ironische, gar nicht boshaft gemeinte Bemerkung, die Ihren Zorn – und die Maschinengewehrsalve in Le Monde diplomatique – ausgelöst hat?

Nicht nur aus diesen beiden Momenten sprach die Wahrheit. Von Ihrem Erscheinen bei „Arrêt sur images“ bleibt mir ein anderer Anlaß zur Verblüffung in Erinnerung: wie Sie vom Ausgangsthema – „Das Fernsehen und die sozialen Bewegungen“ – unmerklich überleiteten zu „Das Fernsehen und Bourdieu“. Dieser Streik war weiß Gott reich an Bildern von Leuten aus dem Volk; von Streikenden, die sich an ihren Feuern wärmen, bis hin zu Angestellten, die im Stau gefangen sitzen, von den Ausflugsdampfern bis hin zu den Anhaltern und Fahrradfahrern.

Aber alle diese Gesichter haben Ihre Aufmerksamkeit nicht fesseln können. Statt dessen aber, daß Jean- Marie Cavada vor zwei Jahren Pierre Bourdieu in „La marche du siècle“ unterbrochen hat: eine Beleidigung, die nach Genugtuung verlangte. Ganz so, als ob sich das ganze Leiden dieser Welt in Ihnen verkörperte. Als würde, wer Bourdieu unterbräche, die Verdammten dieser Erde beleidigen. Als würde, wer sich über Bourdieu lustig machte, Gott lästern.

Wagen wir eine Erklärung. Wenn die Darstellung der Streikenden Sie nur interessiert, wenn es sich um Gewerkschaftsbosse – oder Sie selbst – handelt; wenn in der ganzen Bilderflut des Fernsehens Sie nur die Talkshows faszinieren, wo sich zwischen den Mächtigen – Moderatoren, Gewerkschaftsführern, Ministern, Soziologen – die Tragikomödie der Macht abspielt, dann ganz offensichtlich deshalb, weil die Macht Ihr Element ist, Gegenstand Ihrer Analyse und Ihres Werbens, Ihre allerliebste Sorge. Macht: Zweifellos verabscheuen Sie dieses Wort aus vollem Herzen, Sie, dessen ganzes Werk Mitgefühl atmet mit den Erniedrigten und Zorn auf das, was sie kaputtmacht. Kein Zweifel, Ihre heutige Macht berauscht und erschreckt gleichermaßen den kleinen Stipendiaten aus dem Béarn, den aufmerksamen Beobachter und den subversiven Soziologen, der Sie einst waren, aber so ist das nun mal. Ihre Macht ist heute immens. Es gefällt Ihnen zuweilen, sich über die in Ihren Augen ungeheuerliche Macht der Medien im allgemeinen und die des Fernsehens im besonderen zu empören. Sie haben recht. Aber wie steht es mit Ihrer eigenen? Macht sie Sie nicht blind? Gewiß, auf der Straße erkennt Sie nicht jeder. Nach der Sendung wurde ich in zahlreichen Briefen gefragt, wer denn „dieser Soziologe“ gewesen sei, der die Leute vom Fernsehen so unverfroren angefahren hat. Aber Ihr Narzißmus, den Sie in Ihrem Artikel an den Tag legen, findet anderweitig genug, um sich schadlos zu halten, und ich spreche nicht nur von den Auszeichnungen durch das CNRS (Centre nationale de la recherche scientifique). Bei Ihrem Erscheinen zittern die Großen der Mattscheibe: Deren vergänglicher Bekanntheitsgrad hat gegen die durchs Collège de France und das Elend der Welt doppelt gewappnete Autorität Ihres Auftretens keine Chance, das wissen sie, und Sie wissen, daß sie es wissen.

Warum betrachten es prominente Fernsehmacher wie Jean-Marie Cavada und Guillaume Durand als ihre Pflicht, Ihrer Aufforderung Folge zu leisten? Warum hat Le Monde diplomatique Ihren Aufschrei veröffentlicht und wurde er überall in den Straßen von Paris annonciert? Weil Sie im intellektuellen Leben eine beachtliche, kaum zu überbietende Autorität besitzen und weil die Medien, alle Medien, selbst die seriösesten unter ihnen, ihre Reputation durch Ihre Anwesenheit erhöhen. Mit einfachen Worten: Bourdieu veröffentlichen, Bourdieu einladen – und sei es nur, um die Plattform oder Zielscheibe für eine seiner medienfeindlichen Philippiken abzugeben – erhöht das Ansehen und läßt an Ihrer Autorität teilhaben. Für eine Zeitung oder eine Sendung verkörpern Sie ein gewisses standing oder, um einen Begriff zu verwenden, den Sie kürzlich so großartig erhellt haben, ein Zeichen der Distinktion.

Das gleiche gilt auch für den Kulturkanal La Cinquième im allgemeinen und für „Arrêt sur images“ im besonderen, die in der Auseinandersetzung von Wissen und Wissenlassen natürliche Verbündete des ersten gegen das zweite sein wollen. Oberstes Ziel von „Arrêt sur images“ ist es, die hypnotische Macht des Fernsehens dadurch zu brechen, daß man seine Bilder vor den Fernsehzuschauern einer Revision unterzieht, das Fernsehen zwingt, den Blick auf seine Schwächen zu richten, und es so seiner stärksten Waffe beraubt – die darin besteht, daß es nie auf sich zurückkommt. Dieses gefährliche Spiel zu spielen, behaupte ich, ist in der Höhle des Löwen selbst, im Fernsehen, machbar, und wir versuchen das jede Woche zu zeigen.

Aber wenn es notwendig ist, das Fernsehen im Fernsehen zu kritisieren, dann ist es ebenso notwendig, das Fernsehen zu kritisieren ... das das Fernsehen kritisiert. Keine Macht – nicht die eines Cavada oder Durand, nicht die Ihre und nicht die noch in den Kinderschuhen steckende Kontrollmacht von Sendungen des „Meta-Fernsehens“ – darf darauf verzichten, nicht auch gegen die Mystifikationen vorzugehen, die sie wesentlich selbst hervorbringt. Wer auch immer eine Fernsehbühne betritt – und sei es für eine glanzvolle allegorische Darstellung, wie das Wissen über den Schein den Sieg davonträgt –, wird dort augenblicklich zu einer Ikone und damit zu Recht selbst Gegenstand der Entzauberung. Warum sollte ausgerechnet die Fernsehshow „Bourdieu kritisiert das Fernsehen im Fernsehen“ (eine ungemein zugkräftige Show, wie die Reaktionen im Anschluß an Ihren Auftritt bezeugen) ein Tabu sein? Das ist eine zweischneidige Übung, ich weiß es wohl, doch sie ist notwendig, und ich bedaure zutiefst, daß Sie sie nicht bestanden haben. Ihren Wutschrei hätte ich gerne in unserer Sendung gehört. Und ich habe noch Hoffnung, daß Sie eines Tages den Weg dahin zurückfinden.

Vielleicht konnten wir dank dieser beiden Sendungen – und diesem Schlagabtausch aus der Distanz in Le Monde diplomatique – gemeinsam etwas zu der dem öffentlichen Wohl geschuldeten Aufgabe beitragen, die Fernsehbürger in die Lage zu versetzen, von dem, was sie hören und sehen, weniger übers Ohr gehauen zu werden. Unser ungleiches Gespann konnte vielleicht einen einfachen Gedanken verbreiten helfen, von dem ich weiß, daß er Ihnen am Herzen liegt: Nimmt man jede öffentliche Darstellung der Gewalt (einschließlich der intellektuellen) widerspruchslos hin, ist man bereits von ihr beherrscht. Ist das nicht das Wesentliche?

dt. Christian Hansen

Le Monde diplomatique vom 10.05.1996, von Daniel Schneidermann