14.06.1996

Die Militärs proben den Cäsarenwahn

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Die Militärs proben den Cäsarenwahn

EIGENTLICH hatte man erwartet, daß der Alptraum der Militärkomplotte in Paraguay nun endlich vorüber sei: Im Februar 1989 war General Alfredo Stroessner, bekannt als Beschützer alter Nazis und dienstältester Diktator Lateinamerikas, gestürzt worden, und im Mai 1993 wurde mit Juan Carlos Wasmosy zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert wieder ein Zivilist in demokratischen Wahlen zum Staatspräsidenten gemacht. Dann aber drohte am 22. April 1996 erneut ein ehrgeiziger Offizier, der General Lino Oviedo, seine Panzer gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Marsch zu setzen. Wie konnte es zu diesem Putschversuch kommen? Gibt es einen Zusammenhang mit den mafiaähnlichen Kreisen, die einen Großteil der Wirtschaft des Landes kontrollieren? Wie werden sich die Beziehungen zu den Partnerländern im südamerikanischen Gemeinsamen Markt Mercosur entwickeln?

Von unserem Korrespondenten CHRISTOPHE GUIBELEGUIET *

Seine prächtige weiße Uniform mit goldenen Litzen und die schöne Mütze eines Operettengenerals hat er gegen das leuchtendrote Hemd der Colorado-Partei (im spanischen bedeutet „colorado“ auch „rot“) getauscht: General Lino César Oviedo beendet oben auf dem Podium vor einer Versammlung armer Bauern eine siebzigminütige Rede, in der er sein Wahlprogramm heruntergebetet und ein paar polemische Bemerkungen eingestreut hat. In diesem seltsamen Stadion, das die Paraguayer ironisch „Linodrom“ nennen, fühlt sich der General wie zu Hause. Die riesige geteerte Fläche, die von Tribünen für 20000 Zuhörer gesäumt wird, hat er eigens für Militärparaden anlegen lassen – und zwar sowohl gegen den Willen des Parlaments als auch gegen den von Staatschef Juan Carlos Wasmosy. Die zum „Ruhm der Paradetruppen“ errichtete Riesenanlage soll angeblich 50 Millionen Dollar gekostet haben. Der „General-Baumeister“ schweigt sich darüber aus, woher das Geld stammt.

Einige Tage vor diesem Bad in der Menge mußte Oviedo, Oberbefehlshaber der paraguayischen Landstreitkräfte, erleben, daß ihn Präsident Wasmosy per Dekret in den einstweiligen Ruhestand versetzte. Der General verweigerte den Gehorsam: Unterstützt von zahlreichen Offizieren, verschanzte er sich in der Nacht vom 22. auf den 23. April dieses Jahres mit seinen Stoßtrupps in der Garnison und drohte damit, seine Panzer gegen die verfassungsmäßige Ordnung auffahren zu lassen. War das wirklich der Versuch eines Staatsstreichs? „Nein, ich bin kein Putschist und bin es auch nie gewesen“, behauptet der General kategorisch. Trotzdem mußten die Vereinigten Staaten intervenieren: Erst durch die Drohung, die Militärhilfe für Paraguay zu streichen, wurden die zweiunddreißig Generäle, die mit Oviedo sympathisierten, dazu gebracht, sich wieder hinter die Verfassung zu stellen.

Während Tausende von Menschen in der Hauptstadt Asunción für die Demokratie demonstrierten, mußte Präsident Wasmosy, der sich in die amerikanische Botschaft geflüchtet hatte, mit dem rebellischen Offizier über einen Ausweg aus der Krise verhandeln. Zur allgemeinen Überraschung ernannte er Lino Oviedo zunächst zum Verteidigungsminister. Erst am nächsten Tag, nachdem er „die Stimmen der Bürger gehört“ hatte, kehrte er – auf Anraten der Vereinigten Staaten – zu seiner ursprünglichen Entscheidung zurück, den General in den Ruhestand zu versetzen.

Hintergrund für die mit großer Aufmerksamkeit in den Medien verfolgten Ereignisse ist die äußerst komplexe Situation eines Landes, das augenscheinlich noch nicht in der Zeit nach Stroessner angekommen ist. Präsident Wasmosy hält wirtschaftliche und politische Reformen für notwendig, aber er muß die Macht mit einer Armee teilen, die keines ihrer zahlreichen Vorrechte aufgeben will.

Die Krise ist zuerst einmal eine interne Angelegenheit des Partido Colorado, der die Vormachtstellung im Land innehat. Ihm gehören 400000 Staatsbeamte an, und mit Hilfe der Parteiorganisationen konnte General Stroessner die paraguayische Gesellschaft mehr als dreißig Jahre lang vollständig kontrollieren. Es ist sicherlich kein Zufall, daß sich der April- Zwischenfall sechs Tage vor der Wahl des Parteivorsitzenden ereignete – dieser Posten bietet entscheidende strategische Vorteile bei den für 1998 angesetzten Präsidentschaftswahlen.

General Oviedo, der aus seinen politischen Ambitionen keinen Hehl macht, wollte diese Wahlen verschoben wissen. Der von ihm unterstützte Kandidat lag nur an dritter Stelle, weit hinter dem favorisierten Luis Maria Argana. Auch schien sich Staatschef Wasmosy von dem Offizier trennen zu wollen, dem er zweifellos einen Teil seines Erfolges bei den Präsidentschaftswahlen von 1993 verdankte, der ihm aber immer lästiger wurde. General Oviedo, der Mitglied der politisch-religiösen Sekte „Das Volk Gottes“ ist, hat sich in den letzten drei Jahren bei seinen Anhängern aus den benachteiligten Bevölkerungsschichten, den Bauern, Straßenverkäufern und Tagelöhnern, durch zahllose politische Geschenke beliebt gemacht.

Oviedo, der die Militärakademie in Hamburg besucht hat, sieht sich gerne auf der ersten Seite der paraguayischen Zeitungen, vor allem wenn über seine ungewöhnlichen Kostümfeste berichtet wird, auf denen er seine Gäste als Julius Caesar empfängt. Er ist extravagant, kämpferisch, ehrgeizig und verfolgt vor allem ein Ziel: Er will Paraguays Präsident werden.

Abgesehen von diesen politischen Rivalitäten zeugt der April-Putsch aber auch von dem Unbehagen auf seiten der Streitkräfte, mit der zivilen Regierung zusammenzuarbeiten. Für die Paraguayer war dies der erste ernsthafte Zusammenstoß zwischen Regierung und Militär seit dem Staatsstreich vom Februar 1989, der fünfunddreißig Jahre autokratischer Herrschaft beendete. Zu jener Zeit war die Diktatur am Ende, und die Militärs wollten dem Land neuen Schwung verleihen und der alten „antikommunistischen Bastion“ in Lateinamerika zu besserem Ansehen verhelfen. Das Regime sollte wechseln, um den Status quo zu erhalten – frei nach dem Motto des „Leoparden“ in Giuseppe Tomasi di Lampedusas gleichnamigem Roman aus dem Jahre 1958: „Alles ändern, damit alles bleibt, wie es ist“. Im Februar 1989 tritt ein bis an die Zähne bewaffneter junger Oberst freiwillig zu dem Kommandounternehmen an, Diktator Alfredo Stroessner in seine Gewalt zu bringen, der sich in seinem Bunker von seiner Prätorianergarde bewachen läßt. Der Coup gelingt! Der Name des neuen Nationalhelden: Lino Oviedo. Drei Monate später – der Opposition blieb nicht genug Zeit, sich zu organisieren – wird der eigentliche Drahtzieher, General Andrés Rodriguez, dessen Tochter mit dem Sohn von Stroessner verheiratet ist, zum Präsidenten gewählt. Der ehemalige Diktator geht nach Brasilien ins Exil.

Auftrag erfüllt: Die Militärs haben ihr Ziel erreicht, an der Macht zu bleiben. Die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen finden im Mai 1993 statt, mit dem Versprechen, die „demokratischen Gepflogenheiten“ zu respektieren. Gewählt wird Juan Carlos Wasmosy, ein fünfundfünfzigjähriger Ingenieur ungarischer Herkunft, der seinen Erfolg zum Teil seinem Freund Lino Oviedo verdankt. Oviedo beweist soviel Geschick im Umgang mit den Stimmzetteln, daß er den anderen Kandidaten der Colorado-Partei, den früheren Justizminister Alfredo Stroessners und Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Luis Maria Argana, „überzeugen“ kann. In einem Land, in dem die Macht eine Angelegenheit von Familien und Freundeskreisen ist, haben sich Oviedo und Wasmosy, der General und der Unternehmer, verständigen können.

Der neue Präsident ist ein milliardenschwerer Geschäftsmann aus Asunción, besitzt Plantagen und leitet das mächtige Conempa-Baukonsortium, das 1973 am Bau des Itaipu-Staudamms an der Grenze zu Brasilien beteiligt war – die Ausschreibung erging seinerzeit durch das Stroessner-Regime. Vor einigen Wochen hat eine Tageszeitung in Montevideo eine Untersuchung veröffentlicht, die sich damit beschäftigt, welche Summen der Präsident im Zusammenhang mit diesem fabelhaften Vertrag auf die Seite geschafft hat. „Das Gespann Wasmosy und Oviedo ist das Ergebnis einer Übereinkunft, die 1989 beim Zusammenbruch der Diktatur Gestalt angenommen hat“, behauptet der argentinische Historiker und Journalist Rogelio Garcia Lupo. Die beiden Männer brauchen einander, um ihre Geschäfte zum Erfolg zu führen. Die für die Zukunft geplanten staatlichen Großprojekte wie die Elektrifizierung der Chaco-Region, wo 80 Millionen Dollar investiert werden sollen, können nicht ohne eine „strategische Rechtfertigung“ verwirklicht werden, die nur die Armee liefern kann. Und die meisten Aufträge können die Protagonisten hinterher unter sich aufteilen.

Die Mafia rüstet gegen Mercosur

DIE Militärs stehen nicht mehr im Rampenlicht, aber in der Wirtschaft ziehen sie weiterhin die Fäden. „Innerhalb des Militärs ist nach und nach eine mafiaähnliche Organisation entstanden“, stellt Garcia Lupo fest. Diskret leitet diese Mafia Industriebetriebe, in denen Produkte illegal kopiert werden, und kontrolliert den Drogenschmuggel und die anschließende Geldwäsche. Im kleinen Paraguay, dessen Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur 7 Milliarden Dollar beträgt, hat die illegale Wirtschaft in den 35 Jahren des Stroessner- Regimes einen enormen Aufschwung genommen und es dem Dikatator und den berüchtigten „hundert Generälen“ ermöglicht, sich in ungeahntem Maße zu bereichern. Man hätte glauben können, daß die Wahl des ersten zivilen Präsidenten im Jahre 1993 hier einen Bruch bedeutet hätte, aber weit gefehlt.

Der vorherige Präsident, General Andrés Rodriguez, der als einer der lokalen Mafiabosse gilt und von der Justiz des Mordes beschuldigt wird, hat zwar seinen Sessel an Juan Carlos Wasmosy abgetreten; aber er hat ihm mit Lino Oviedo einen Mann seines Vertrauens zur Seite gestellt. Gemeinsam mit General Stroessner werden Rodriguez und Oviedo verdächtigt, für den Schmuggel von Waren durch Paraguay verantwortlich zu sein. Im März 1996 hat das US-amerikanische Außenministerium einen Bericht über seine Antidrogenstrategie veröffentlicht, in dem enthüllt wurde, daß „mehrere hohe Regierungsbeamte und Offiziere der Streitkräfte (Paraguays) in den Drogenhandel und in das Waschen von Drogengeldern verwickelt sind oder diese Aktivitäten gefördert haben“.

Die Vereinigten Staaten verfolgen die Situation in Paraguay sehr genau. Mit ihren Satelliten beobachten sie insbesondere Schmuggelaktionen, bei denen geheime Landeplätze benutzt werden, die sich auf den großen Ländereien der hohen Offiziere befinden. Auf Druck von Washington hat Präsident Wasmosy General Ramón Rozas Rodriguez zum Chef der Antidrogenbehörde ernannt. Aber dieser „Doktor Gerechtigkeit“ wurde im Oktober 1994 ermordet, gerade als er einen Bericht über die verbotenen Aktivitäten einiger hoher Offiziere vorlegen wollte ...

Die Militärs, insbesondere die Generäle Oviedo und Rodriguez, werden auch verdächtigt, maßgeblichen Einfluß auf die Produktpiraterie zu haben, die besonders in Ciudad del Este betrieben wird, einer Grenzstadt zu Argentinien und Brasilien. Der Umsatz dieses „Industriezweiges“ soll 10 Milliarden Dollar jährlich erreichen; dagegen lag der Binnenhandel im Mercosur in seinem Gründungsjahr 1995 nur knapp über 12 Milliarden Dollar. Dabei ist der aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay bestehende Mercosur mit insgesamt 200 Millionen Verbrauchern weltweit der viertgrößte Wirtschaftsraum. Man weiß, daß etwa ein Dutzend Unternehmen, die in Hongkong oder Taiwan ansässig sind – Taiwan unterhält enge Beziehungen zur Regierung Paraguays –, kopierte Produkte in Asien herstellen lassen und sie über Paraguay einführen, von wo aus sie die lateinamerikanischen Märkte überschwemmen.

Problematisch ist nur, daß die illegale Wirtschaft mit jedem Tag weniger zur angestrebten Integration des Landes in den Mercosur paßt, und darin dürfte auch der eigentliche Konflikt zwischen den Militärs und Präsident Wasmosy bestehen: Wegen des ausländischen Drucks ist der Präsident gezwungen, die auffälligsten Praktiken schnell zu beenden. Dabei weiß er jedoch, daß ein radikales Vorgehen für viele Offiziere – und auch für seine politische Stellung1 – gefährliche Konsequenzen hätte. Die Militärs betrachten den Mercosur und seine Regeln als eine Behinderung ihrer Geschäfte und als eine Bedrohung für den eigenen Machterhalt. Bezeichnenderweise fordern die Anhänger von General Oviedo auf ihren Plakaten: „Weg mit dem Mercosur“. Unter dem Druck der in der Region ansässigen ausländischen Investoren verlangen Brasilien und Argentinien aber immer nachdrücklicher, daß Paraguay den Schmuggel unterbinden soll.

Für die schwache Zivilregierung ist die Angelegenheit noch lange nicht erledigt, um so weniger, als Produktpiraterie und Geldwäsche in Paraguay einen ganz beträchtlichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmachen. Jedenfalls hat die neue Führungsschicht, die aus der Geschäftswelt hervorgegangen ist und der Korruption feindlich gegenübersteht, noch nicht den Sieg über die alte Klasse der Bürokraten davongetragen, die in enger Verbindung zur Armee stehen. Aber auf diese neue Schicht wird sich jede wirkliche Veränderung im Land stützen müssen.

Die kürzlich erfolgte Wahl von Luis Maria Argana, der schon vor Urzeiten ein Komplize von Stroessner war, zum Vorsitzenden der Colorado-Partei verzögert diese Entwicklung. Argana ist ultrakonservativ, unterhält enge Kontakte zum Militär und macht aus seiner Ablehnung des Mercosur keinen Hehl. Gegenwärtig gilt er als der Favorit für die nächsten Präsidentschaftswahlen 1998 ...

dt. Christian Voigt

1 Regelmäßig wird Präsident Wasmosy persönliche Bereicherung im Amt vorgeworfen. Anfang April 1996 haben Anhänger von General Oviedo im Parlament einen Plan der Regierung blockiert, die Kontrolle über zwei zollpflichtige Brücken für den internationalen Verkehr an der brasilianischen Grenze Unternehmen zu übertragen, die dem Präsidenten gehören (vgl. Le Monde, 24. April 1996).

* Journalist, Buenos Aires.

Le Monde diplomatique vom 14.06.1996, von Christophe Guibeleguiet