14.06.1996

Räuber und Gendarm in Zentralafrika

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Räuber und Gendarm in Zentralafrika

IMMER öfter meutern Soldaten in Afrika und bringen junge Demokratien aus dem Gleichgewicht. Die jüngste Militärintervention Frankreichs in der Zentralafrikanischen Republik soll als Signal zur Beruhigung der Zivilregierungen wirken. Paris riskiert dabei, auf dem Schwarzen Kontinent wieder in der Uniform des „Gendarmen“ aufzutreten ...

Von PHILIPPE LEYMARIE *

„Im Namen des Volkes habe ich Frankreich gebeten, zu intervenieren und somit eine aus freien, demokratischen Wahlen hervorgegangene Republik zu retten ...“ Mit dieser Erklärung legitimierte Ange- Félix Patassé, Präsident der Zentralafrikanischen Republik, am 20. Mai 1996 die Operation „Almandin 2“, die – wie schon im Vormonat – nach einem Aufstand der Armee die Ordnung im Lande wiederherstellen sollte.1

Innerhalb einer Woche evakuierte eine Truppe aus 2400 Fremdenlegionären, Fallschirmjägern, Militärkommandos und anderen Angehörigen der französischen Armee mehr als 2000 Ausländer, darunter zwei Drittel der dort lebenden Franzosen. Gleichzeitig besetzte sie Sicherheitsbereiche an mehreren strategischen Punkten der Hauptstadt Bangui, verhinderte die Eroberung des Rundfunkgebäudes und des Präsidentenpalasts durch die Aufständischen und nahm Verhandlungen mit den Rebellen auf, da die Regierenden des Landes dazu nicht mehr in der Lage schienen.

An dieser Expedition ist in erster Linie beachtenswert, daß zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen französische Soldaten in einer afrikanischen Hauptstadt in Straßenkämpfe verwickelt waren. Doch diesmal kam es zu antifranzösischen Demonstrationen. Außerdem ist anzumerken, daß der ausgeklügelte Einsatz von Soldaten, Waffen und Material unter Begleitung von Zivil- und Militärflugzeugen in wenigen Tagen erheblich größere Mittel verschlungen hat, als nötig gewesen wären, den Unmut der zentralafrikanischen Soldaten zu beschwichtigen – und den ihrer Brüder in den Armeen der anderen frankophonen afrikanischen Länder wie Guinea und Kongo gleich mit, wo seit Anfang des Jahres ähnliche Aufstände stattgefunden haben.2

Das so gerettete Regime geht geschwächt aus den Ereignissen hervor: Die Wirtschaft versinkt wegen des überstürzten Abzugs der Ausländer im Chaos; die Hauptstadt ist von Bränden und Plünderungen teilweise verwüstet; die Wiederaufnahme des Dialogs mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist sicher für längere Zeit auf Eis gelegt; die Regierungsmannschaft ist einer Gruppe von Unteroffizieren ausgeliefert und verliert noch mehr an Glaubwürdigkeit, da sie zum zweiten Mal innerhalb eines Monats ihr Überleben ausländischer Militärhilfe verdankt; und die Abhängigkeit vom französischen „Paten“ wächst und wächst.

Sicher ist die Kumpanei zwischen Frankreich und Zentralafrika nichts Neues. Man erinnere sich an die Krönung von Kaiser Jean-Bedel Bokassa im Dezember 1977, an die „Diamantenaffäre“3, die Absetzung des Kaisers durch französische Fallschirmjäger während der Operation „Barrakuda“4, an die langjährige Machtausübung von Colonel Mancion5, an die totale Unterstützung für General- Präsident André Kolingba, den Frankreich schließlich 1993 fallenließ – im Zusammenhang mit Wahlen, um deren Durchführung sich die französische Armee höchstpersönlich kümmerte.

Zudem ist Zentralafrika seit etwa zwanzig Jahren Dreh- und Angelpunkt des militärischen Schutzschirms der Franzosen in Afrika. Es ist die Zentralachse zwischen Dakar und Libreville im Westen und Dschibuti im Osten und wirkt als Drehscheibe mit zwei permanenten Stützpunkten (Bouar und Bangui) und einem Kontingent von 1400 Mann, die in der ganzen zentralafrikanischen Region (Ruanda, Zaire, Kamerun, Tschad) und darüber hinaus zum Einsatz kommen.

Durch die Rettung Präsident Patassés und seines Regimes riskiert Frankreich, als Befürworter eines Mannes dazustehen, der zwar scheinbar demokratisch legitimiert ist, aber dennoch einen furchtbar schlechten Ruf genießt. Er gilt als „Wiedergänger“: Schließlich war er es, der damals als Premierminister die bombastische Krönungsfeier des Kaisers organisiert hat. Man sagt ihm eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem allgegenwärtigen Elend nach, von dem das Land seit der Entwertung des Franc-CFA vom Januar 1994 gezeichnet ist. Sein Umfeld ist verschwenderisch und korrupt. Er hat es nicht geschafft, Ordnung in die Wirtschaft zu bringen und ein Abkommen mit dem IWF zu schließen. Die Premierminister wechselt er wie andere die Hemden. Er ist unfähig, Krisen vorauszusehen und sie entsprechend anzugehen ...

Die französische Militärintervention wurde zuerst als das dargestellt, was die westlichen Armeen unter einer „humanitären“ Operation verstehen: In erster Linie diente sie dem Schutz und der Evakuierung ihrer Bürger und Verbündeten. Sie galt als Rettungseinsatz, der den Tod von Europäern verhindern und die in Afrika lebenden Franzosen beruhigen sollte. Gleichzeitig behauptete der französische Minister für Zusammenarbeit, Jacques Godfrain: „Frankreich will nicht länger der Gendarm Afrikas sein.“6

Auf einer zweiten Ebene hat Frankreich versucht, das Kräfteverhältnis zu verändern, indem es einen massiven Einsatz in Gang setzte, die Evakuierung aller Ausländer beschloß und offensive Aktionen durchführte, wie die Entsetzung des Rundfunkgebäudes, um es der Kontrolle der Aufständischen zu entziehen7. Dabei ging man das Risiko ein, wegen Einmischung in innere Angelegenheiten kritisiert und von einer der beiden Konfliktparteien als Feind angesehen zu werden.8

Frankreichs Hilfe für verarmte Militärs

IN einer dritten Etappe, die eine zentralafrikanische Besonderheit ist, ging Frankreich zur Vermittlung über: Unter Ausnutzung des neuen Kräfteverhältnisses gelang es dem kommandierenden General der französischen Eingreiftruppe am 26. Mai, die Aufständischen zur Rückkehr in ihre Kasernen zu bewegen und dem Präsidenten eine Amnestie abzuverlangen. Eine Regierung der nationalen Einheit wurde gebildet ...

Letztlich also rechtfertigt man die Intervention als Beweis dafür, daß „Frankreich sich an das hält, was es unterzeichnet“, wie Verteidigungsminister Charles Millon feierlich versicherte.9 Diese Botschaft richtet sich unter anderem an die vierundzwanzig sogenannten frankophonen Länder, mit denen Frankreich etwa sechzig Abkommen über militärische Zusammenarbeit und Verteidigung geschlossen hat. Für acht Länder, mit denen es Verteidigungsbündnisse unterhält – Kamerun, Elfenbeinküste, die Komoren, Dschibuti, Gabun, die Republik Zentralafrika, Senegal und Togo – gibt es (teilweise in Form geheimer Zusatzklauseln) Vereinbarungen über ein sofortiges Intervenieren, auch in Bürgerkriegssituationen.10

In Wirklichkeit hatten mindestens 14 der 28 seit 1959 offiziell durchgeführten Interventionen das Ziel, dem herrschenden Regime in einer Bürgerkriegssituation wieder in den Sattel zu helfen, 7 weitere erfolgten als Reaktion auf einen Angriff durch ein Drittland oder durch eine bewaffnete Organisation, die von der Grenze aus operierte, und die restlichen 7 waren in erster Linie humanitäre Einsätze (Evakuierung französischer Bürger oder Aktionen im Rahmen einer multinationalen Truppe).

Die militärische Präsenz Frankreichs in Afrika – fast neuntausend Mann auf acht Stützpunkten – besteht in dieser Form seit der Unabhängigkeitswelle in den sechziger Jahren. Dieses Netz von „Einsatzkräften“ vor Ort sichert nach Aussagen des französischen Verteidigungsministers gemeinsam mit den „Regierungstruppen“ in den französischen Überseedepartements und -territorien „eine vorbeugende Stabilisierung und Krisenentschärfung auf niedrigstem Risikoniveau, indem es die Möglichkeit bietet, ständig auf dem neuesten Informationsstand zu sein, oft auch eine präventive Abschreckung bewirkt beziehungsweise ein frühes und direkt am Krisenherd operierendes Eingreifen ermöglicht“, und das im Rahmen einer maximalen Einsatzbereitschaft „bei minimaler Vorwarnzeit“. Gleichzeitig sichert es Frankreich „die Verfügbarkeit von Landeplätzen und Transitstützpunkten für die Entsendung von Verstärkungseinheiten.“11

Nach der Region der Großen Seen in Zentralafrika wird auch das lange Zeit verschonte Westafrika von militärischen Krisen heimgesucht. Mit den Armeeaufständen im Kongo und in Guinea und der Machtergreifung der Militärs im Niger ist in den letzten Monaten eine „khakifarbene Welle“ angerollt. Wer sollte die Protestbewegung in den Garnisonen der CFA- Zonen-Länder, in denen die Zahl der „von der Demokratie Enttäuschten“ täglich wächst, besser verstehen (und eindämmen) können als die französischen „Waffenbrüder“?

Es ist bezeichnend, daß sich Paris für sein Eingreifen in Zentralafrika innerhalb weniger Stunden der Unterstützung der wichtigsten Machthaber des frankophonen Afrika versichern konnte (Senegal, Gabun, Kamerun, Togo, Mali, Burkina Faso). Deren Blick auf eine solche Intervention ist getrübt durch die potentielle Gefährdung ihrer eigenen Regime durch Armeen, die dort noch bis Ende der achtziger Jahre an der Macht waren und sich heute an den Rand gedrängt sehen.12

Im Niger hatten die Militärs im Januar 1996 die durch den Zwist der Regierenden erfolgte Blockierung der demokratischen Institutionen genutzt, um gleich beide Parteien, den Präsidenten und den Premierminister, abzusetzen. Nur unter dem Druck der Geldgeber des Landes haben sie den für Juni 1996 geplanten Wahlen zugestimmt. In Zentralafrika hat sich eine ursprünglich korporatistische Forderung – Auszahlung der Soldrückstände – zu einem breiteren Protest ausgeweitet: „Wir bitten den obersten Armeechef höflichst, seine eigene Armee nicht zu entwaffnen“, erklärte Sergeant Cyriaque Souké zu Beginn des zweiten Aufstands. Einige Tage später forderte er den Rücktritt des Staatsoberhaupts.

Anderswo, zum Beispiel in Guinea, fordern die Militärs nichts als ihren Sold, oder sie verlangen, wie im Kongo, die versprochene Integration der Milizen. Alle sind besorgt wegen der vom IWF aufgezwungenen Demobilisierungspläne im Rahmen einer „Schlankheitskur“ des öffentlichen Dienstes. Beunruhigend ist auch der sinkende Anteil von Berufssoldaten; die Armeen verarmen, werden beargwöhnt und geraten in Verruf, während auf dem gesamten Kontinent ein privater Sicherheitsmarkt floriert: Bewacher, Leibwächter, bewaffnete Sicherheitsdienste, Söldner und so weiter.

Der jüngste Ministerrat des Komitees der Vereinten Nationen für die Sicherheit im zentralen Afrika vermerkt, neben den üblichen Erklärungen der Besorgnis über die explosive Situation in der Region der Großen Seen, einmal mehr „das Überhandnehmen von leichten Feuerwaffen“ in allen Ländern der Zone und bittet um internationale Hilfe für Programme zur „Mikro-Entwaffnung“: Einsammeln und Rückkauf von Waffen, Erfassung und Überprüfung der Waffenscheine.13

In der Zentralafrikanischen Republik hatte Präsident Patassé nach dem ersten Aufstand im April versprochen, eine „Ratsversammlung der Armee“ abzuhalten. Er handelte jedoch nicht rechtzeitig genug ... In Gabun hat sich der seinerseits beunruhigte Präsident Omar Bongo für eine gemeinsame Strategie der Staatschefs hinsichtlich der Rolle der Militärs in demokratischen Staaten ausgesprochen!14

dt. Christiane Kayser

1 Rundfunkerklärung auf Radio France Internationale (RFI), 20. Mai 1996.

2 Paris hatte bereits im April zur Beschwichtigung des ersten Aufstands der unbesoldeten zentralafrikanischen Soldaten in aller Eile einen ersten Fonds von 700 Millionen Franc-CFA (7 Millionen FF) zur Verfügung stellen müssen, der einen Teil der Soldrückstände von 5000 Angehörigen der zentralafrikanischen Armee decken sollte.

3 Daß die französische Zeitschrift Le Canard Enchainé die Öffentlichkeit Ende der siebziger Jahre über die Gewohnheit Kaiser Bokassas informierte, seinem „Vetter“, dem damaligen französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, Diamanten-„Täfelchen“ zum Geschenk zu machen, hatte erheblich zu dessen Diskreditierung beigetragen.

4 Im September 1979 entstieg ein Ersatzpräsident in Gestalt von David Dacko, der vorher freiwillig im französischen Exil gelebt hatte, dem Frachtraum eines französischen Armeeflugzeugs. Gleichzeitig nahmen Agenten der französischen Sicherheitsdienste die kaiserlichen Archive in Verwahrung.

5 Es handelt sich hier um einen Offizier des französischen Sicherheitsdienstes DGSE, der mehr als zehn Jahre lang von seinem Büro im Präsidentenpalast aus die politischen Geschicke des Landes bestimmte.

6 Rundfunkerklärung auf Europe 1, 20. Mai 1996.

7 Der Rundfunk wurde während der Kämpfe zerstört und mußte seine Sendungen einstellen.

8 Das französische Kulturzentrum in Bangui wurde von den Demonstranten in Brand gesteckt.

9 Erklärung vom 21. Mai 1996 anläßlich eines Besuchs in Toulouse beim Generalstab der 11. Fallschirmjägerdivision, die auf Auslandseinsätze spezialisiert ist.

10 Der französische Minister für Zusammenarbeit, Jacques Godfrain, hat am 22. Mai 1996 eine Überarbeitung dieser Verteidigungsabkommen vorgeschlagen, da sie „ziemlich vage und der freien Auslegung durch den jeweiligen Staatschef überlassen“ seien.

11 Vgl. „Les forces prépositionnées“, Dossier in Armées aujourd'hui, Nr. 186.

12 Vgl. Dominique Bangoura, „Les Armées africaines, Editions du Cheam, 1992.

13 Beschlüsse des 8. Ministerrats, Jaunde, 15.-19. April 1996.

14 Rundfunkinterview auf RFI, 20. Mai 1996.

* Journalist bei Radio France Internationale (RFI).

Le Monde diplomatique vom 14.06.1996, von Philippe Leymarie