14.06.1996

Kaiser Konstantin, Moses und die Autodiebe

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Kaiser Konstantin, Moses und die Autodiebe

EIN zum Islam konvertierter marxistischer Philosoph, der mittlerweile wegen Leugnung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerichtlich verfolgt wird, hat in einem von ehemaligen Linksextremisten und Holocaust-Leugnern geführten Verlag ein Buch herausgebracht und dafür die Unterstützung eines renommierten Priesters und Hilfswerkgründers erhalten. Fünfzig Jahre nach der Vernichtung der europäischen Juden versprüht ein Antisemitismus unterschiedlichster Provenienz noch immer sein Gift, wie zu Zeiten der Dreyfus-Affäre.

Von PHILIPPE VIDELIER *

Bei einer Pressekonferenz im April dieses Jahres erschien Roger Garaudy — ein Abtrünniger aller möglichen Glaubensrichtungen, vor allem aber bekannt als ehemaliger Stalinist — in den Veranstaltungsräumen des Grand Hôtel in der Rue Scribe in Paris; mit auf dem Podium saß Jacques Vergès, der ehemalige Verteidiger von Klaus Barbie, der sich mit seiner Vorliebe für anrüchige Fälle einen Namen gemacht hat. Anrüchig war die Sache, um die es hier ging, allemal: Die Präsentation eines Buches mit dem Titel „Les Mythes fondateurs de la politique israélienne“ (Gründungsmythen der israelischen Politik), mit dem Namen Garaudy auf dem Umschlag. Doch Maitre Vergès hält ein wertvolles Treuepfand in den Händen: ein Unterstützungsschreiben von Abbé Pierre, dem „Papst der Ausgeschlossenen“, der zu Recht wegen seines Hilfswerks seit drei Jahrzehnten verehrt und geachtet wird.

Verblüffung. Verwirrung im Umfeld des Hilfswerks. Der gewünschte Effekt war gelungen. Kannte der alte Priester den neuesten Umgang des Mannes, mit dem er seit fünfzig Jahren befreundet ist, und seine Kontakte zu den Kreisen der extremen Rechten? Wußte er in der Zurückgezogenheit seines Ruhestandes, daß die Operation Garaudy von der Sekte der Holocaust-Leugner, die ihre finsteren Machenschaften unter dem Zeichen La Vieille Taupe (Der alte Maulwurf) betreibt, seit Monaten heimlich vorbereitet worden war? Jedenfalls hat der Abbé Pierre, trotz aller Aufklärung durch die Presse, seine erschreckende Unterstützung aufrechterhalten und damit die entsetzlichen alten Klischees der Judenfeindlichkeit aus einer vormodernen katholischen Kultur wieder heraufbeschworen.

„Sie sind verflucht, wir dagegen sind Christen“, verkündete 1896 während der Dreyfus-Affäre die Tageszeitung La Croix, die sich damals als „judenfeindlichste Zeitung Frankreichs“ deklarierte und damit ein in jener Zeit sehr geschätztes Etikett für sich beanspruchte. Der Abbé Chabeauty, Ehrendomherr von Angoulême und Poitiers, dessen Buch „Les juifs, nos maitres! Documents et développements nouveaux sur la question juive“ (Die Juden, unsere Herren! Neue Dokumente und Entwicklungen zur Judenfrage) 1882 von der Société générale de librairie catholique veröffentlicht wurde, war in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts Mitarbeiter der Zeitung L'Antisémitique, einer Wochenzeitung für 40 Centimes zur Bekämpfung der „jüdischen Freimaurerei“1. Tatsächlich waren Ende des letzten Jahrhunderts überall Zeitungen, Broschüren, Brandschriften, Plakate und Flugblätter im Umlauf, die den Judenhaß schürten. Der Marquis de Morès rekrutierte die starken Arme, die er für seine Antisemitische Liga brauchte, unter den Fleischern in La Villette. „Nehmt euch vor den Juden in acht, sie verraten, wo sie nur können... Der Jude hat Gott verraten. Der Jude ist kein Franzose, er verrät sein Vaterland. Zurück, ihr dreckigen Juden, ihr Spione, ihr Diebe! Ins Wasser, Judenpack!“: Das war der Stil eines in Vesoul gedruckten „antijüdischen Löschblatts“ mit dem Motto „Frankreich den Franzosen!“. Im Parlament saßen Abgeordnete einer antisemitischen Partei, und Gesetzentwürfe zur Beschränkung des Zugangs für Juden zu Verwaltung und Armee erhielten die Zustimmung von fast zweihundert Parlamentariern.2

Aber am 13. Januar 1898 veröffentlichte Emile Zola in L'Aurore sein „J'accuse!“ (Ich klage an!), in dem er eine ehrlose Offiziersclique für die Intrige verantwortlich machte, die zur Verurteilung von Alfred Dreyfus geführt hatte. „Es ist ein Verbrechen, die Öffentlichkeit irrezuführen“, wetterte der Schriftsteller, „und diese Öffentlichkeit, die man bis zum Wahnsinn verdorben hat, für eine Sache zu mißbrauchen, bei der es um Tod und Leben geht. Es ist ein Verbrechen, die armen und einfachen Leute zu reaktionären Leidenschaften und Intoleranz anzustacheln und sich dabei hinter dem widerwärtigen Antisemitismus zu verstecken, an dem das große liberale Frankreich der Menschenrechte zugrunde geht, wenn es nicht davon geheilt wird.“3

Am 31. August desselben Jahres beging der Oberstleutnant Henry, der Falschaussage überführt, in seiner Zelle im Mont-Valérien Selbstmord. Am 13. Dezember veröffentlichte Edouard Drumont, der berüchtigte Autor von „La France juive“ (1886) in seiner Zeitung La Libre Parole einen Spendenaufruf „zugunsten von Witwe und Kind“ des Verstorbenen und zeichnete selbst einen Betrag von 100 Franc; daraufhin wurde dann Tag für Tag die Liste der Spender mit ihren Bemerkungen und der Höhe ihres Obolus veröffentlicht – Zeichen einer Unruhe, die seit einem Dutzend Jahren bestimmte Schichten Frankreichs ergriffen hatte und sich Ausdruck verschaffte. „Ich war zum Wortführer alles sprachlosen Leids, alles stummen Schmerzes, aller passiven Opfer, aller Resignierten, aller Ausgebeuteten und Betrogenen geworden, die nicht zum Kampf geboren sind und nicht einmal ,Haltet den Dieb!‘ zu schreien wagen“, erklärte der Brandstifter in einigen Zeilen, die ihm öffentliches Ansehen verschaffen sollten. „Ich habe die unbeschreibliche Befriedigung erlebt, zu erfahren, daß mir verwandte Seelen antworten“, fährt er fort. „Tausende von Unbekannten haben mir geschrieben, mir gedankt und gesagt: „Ach, Monsieur, was für eine Freude haben Sie uns gemacht! (...) Durch Sie wissen wir jetzt, wo das Wild zu finden ist.“4

So zeigten sich, Spalte um Spalte, auf den Seiten der Libre Parole die bis dahin unterdrückten Gedanken, von denen ein verängstigtes zu Ende gehendes Jahrhundert umgetrieben wurde: „Aulon (Mme), judenfeindlich... 0,25 F. Aumont (Mlle): Die Juden sind dumm und gemein... 2 F. Aumont (Mme), die gern einen Juden verbrennen lassen würde... 0,50 F... Bonner (Z.) in Bordeaux: für die Republik, Frankreich und die Armee, und für die vollständige Vernichtung der jüdischen Rasse... 10 F. Coulier (J.)... Engel, Elsässer: Vernichten wir das Judenpack... 2 F.“ und so weiter. Das Ganze wurde in einem Buch mit dem Titel „Monument Henry“ von einem Journalisten und Dreyfusianer für die Nachwelt aufgehoben.

In seiner Untersuchung über die Wurzeln der antisemitischen Phantasien, die in den Listen von La Libre Parole Ausdruck finden, stellt Georges Bensoussan fest, soziologisch könne man dieses Frankreich des blindwütigen Rassismus als ein Konglomerat von Handwerkern und Arbeitern, Soldaten und Studenten beschreiben, aber „das ,Monument Henry‘ ist auch eine Liste des Klerus“. Ein Prozent aller Priester hatten mit vollem Titel unterzeichnet, und die Zeitung La Croix sah in Drumonts Initiative „ein großes, Stärke und Trost spendendes Schauspiel“, aus dem „etwas von jenem Licht hervorstrahlt, das Frankreich wieder Frieden bringen wird“.5 Diese mörderischen Glaubensbekenntnisse, betont Georges Bensoussan, sind nicht in irgendeinem von blutigen Stammeskämpfen befleckten fernen, barbarischen Landstrich laut geworden, sondern im republikanischen Frankreich, ohne auf rechtliche Hindernisse zu stoßen und kurz nachdem man die erste Hundertjahrfeier der emanzipatorischen Großen Revolution begangen hatte. Vierzig Jahre später — die Zeit, in der eine Generation heranreift — konnte Félix Lacointa 1938 in „Le Bloc antirévolutionnaire“ schreiben: „Die jüdische Nation ist seit dem Gottesmord ein verfluchtes Volk“, ein getreues Echo der Litaneien in La Croix am Ende des Jahrhunderts.6

„Alles begann für mich mit dem schrecklichen Schock, als ich nach jahrelangem Theologiestudium wieder ein wenig Bibelstudium für mich allein betrieb und das Buch Josua entdeckte. Schon vorher hatte mich schwere Verwirrung ergriffen, als ich las, daß Moses die Gesetzestafeln brachte, die doch sagten: „Du sollst nicht töten“, und dennoch beim Anblick des Goldenen Kalbs befahl, 3000 Angehörige seines Volkes niederzumetzeln. Aber bei Josua entdeckte ich (wenn auch Jahrhunderte nach dem Ereignis erzählt), daß eine Shoah über alles Leben im Gelobten Land gekommen war.“7

Tabubrüche als Vergangenheitsbewältigung

ÜBER viele Jahrhunderte und Raum und Zeit hinweg werden hier, unter Berufung auf Teile der Heiligen Schrift, die Juden stigmatisiert. Diese bestürzenden Sätze, die arglistig versuchen, die Schändlichkeiten der Gegenwart mit der Erinnerung an einen biblischen Bericht zu rechtfertigen, der ein halbes Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung und ebenso lange nach dem Ereignis, das er zu erzählen vorgibt, entstanden ist: Sie finden sich, geschrieben in einer bisweilen dunklen, mystisch gefärbten Sprache, in dem Brief des Abbé Pierre, den Vergès ihn zugunsten von Roger Garaudy schreiben ließ. Und der Abbé lamentiert. Er beschwört den Kaiser Konstantin, den Bund mit Gott und die Autodiebe.

So wie man ihn aus dem Fernsehen kennt, seine Gestalt, sein Gesicht und seine Mimik, kann man ihn sich vorstellen, wie er mit zusammengekniffenen Augen und schmerzerfüllter Stimme eine nach der andern seine neuesten Überlegungen hervorbringt: „Roger, über das alles müssen wir, alt, wie wir beide sind, sicher noch reden und Klügere befragen als mich. Ich bitte Dich, betrachte diese unleserlichen Zeilen als tiefen und freundschaftlichen Ausdruck meiner liebevollen Hochachtung und meines Respekts für die ungeheure Arbeit, die Dein neues Buch darstellt. Es mit dem, was man als ,Revisionismus‘ bezeichnet hat, zu verwechseln, ist verantwortungsloser Lug und Trug.“ Kann man dem Abbé Pierre zugute halten, daß er durch seine fünfzigjährige Freundschaft mit Roger Garaudy verblendet war oder daß er, nach eigenem Geständnis, den Text, der in La Vieille Taupe, dem Zentralorgan der französischen Holocaust-Leugner, erschienen ist, nicht wirklich gelesen hat? Oder unterlag er bei seinem Urteil dem Einfluß einiger Personen in seiner Umgebung, die dem unklaren Umfeld der Überlebenden des „untergegangenen italienischen Rotbrigadismus“8 zuzuordnen sind?

Der „Garaudy-Coup“ war von langer Hand vorbereitet. Rundschreiben in den zwielichtigen Kreisen der Holocaust- Leugner kündigten schon seit dem Herbst 1995 „einige vielversprechende Operationen“ an: „Die Nr. 2 von La Vieille Taupe wird in Kürze erscheinen. Eine heiße Sache“, wurde behauptet, fettgedruckt unter der für die Adressaten verlockenden Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines „bekannten Professors, geschätzten Vortragsredners und Politikers, der sich vielfältige persönliche Beziehungen und die Wertschätzung unterschiedlichster Freunde bewahrt hat, ganz unbestreitbar ein Mann der Linken“, aber fest entschlossen, „das niederträchtige Gesetz anzugreifen und das Risiko eines Prozesses auf sich zu nehmen“. (Gemeint ist hier das Gayssot-Gesetz, das die Leugnung des Holocausts unter Strafe stellt.9)

„Die ungekürzte Veröffentlichung dieses Buches wird Gegenstand der ausschließlich den Abonnenten der Zeitschrift vorbehaltenen Nr. 2 von La Vieille Taupe sein, die Sie Ende Dezember erhalten werden. Dort werden wir den Ablauf der Operationen und unsere Strategie enthüllen, wie auch die Person des Autors, den Sie mit Erhalt der Nr. 2 entdecken werden. (...) Es ist äußerst wichtig, Neugier zu wecken und alle unsere Freunde und Bekannten zu mobilisieren.“ Ein zweites Blatt mit Datum November 1995 betonte, daß die „besonders wichtige“ Nr. 2 „in der Herstellung“ sei. Die Nummer erschien und wurde den Abonnenten vertraulich zugestellt, mit propagandistischem Begleitmaterial.

Leider hatten jedoch, bevor die gut organisierte Werbung für den Anschluß Garaudys an die Sekte der Holocaust-Leugner ihre Wirkung erzielen konnte, schon der Canard enchainé und nach ihm auch die meisten anderen Zeitungen die Sache auffliegen lassen.10 Aus war es mit der Überraschung, und der Name Garaudy verhallte, ohne sonderliches Erstaunen zu erregen. Bei einem Seminar in der Universität Paris VIII wurde der ehemalige Kommunist einen Tag nach der Enthüllung im Canard sogar von antifaschistischen Studenten ausgepfiffen. Man wollte aber auf jeden Fall wieder in die Schlagzeilen kommen. Und das geschah mit der Pressekonferenz von Vergès, auf der sich Garaudy als Verfolgter präsentierte, der mühsam „auf Autorenkosten“ seine verfemten „Arbeiten“ herausgibt. Nicht gesagt wurde jedoch, daß in der mit so viel Sorgfalt vorbereiteten Ausgabe von La Vieille Taupe zu lesen stand: „Der Autor und La Vieille Taupe werden deshalb im Laufe des Jahres 1996 eine zweite, allgemein zugängliche Ausgabe des vorliegenden Buches herausbringen“, und daß diese Entscheidung bereits Ende November 1995 getroffen worden war.

Verschwiegen wurde auch, daß die rechtsextreme Wochenzeitung Rivarol den Text schon seit Februar ihrem auserwählten Publikum angekündigt hatte: „Es würde uns nicht wundern, wenn er demnächst im Internet zu finden wäre.“ Tatsächlich war der Text bei einem kalifornischen Server verfügbar, dem Committee for Open Debate on the Holocaust (CODOH), das nach eigener Definition „revisionistische Forschungsergebnisse und Meinungen aus aller Welt“ anbietet. Im Menü finden sich die „Mythes“ von Roger Garaudy, zusammen mit Texten der gewohnten Vertreter aus dem kleinen Kreis der Holocaust-Leugner: Serge Thion, Carlo Mattogno und so weiter. Kürzlich erklärte Rivarol, es sei La Vieille Taupe zu verdanken, daß „wir den Text ins Internet eingeben konnten und nun auch ins Englische, Italienische und Arabische übersetzen werden“.11

Garaudys neueste Konversion kann nicht überraschen. Tatsächlich bestehen die Beziehungen des früher kommunistischen Philosophen zur extremen Rechten schon seit mehreren Jahren. 1991 und 1992 war er Mitarbeiter des neofaschistischen Organs Nationalisme et République, in dem auch Pierre Guillaume schrieb, der Guru von La Vieille Taupe, und Bernard Notin, ein Lehrer aus Lyon, der durch einen revisionistischen und rassistischen Artikel bekannt wurde, sowie verschiedene andere Wortführer der extremen Rechten. Die Publikation stand unter der symbolischen Schirmherrschaft des Schriftstellers Céline und des faschistischen Politikers Jacques Doriot. Am 24. März 1991 nahm Garaudy am 24. Kolloquium des Grece (Groupement de recherche et d'études pour la civilisation européenne) teil, einer Veranstaltung der „Neuen Rechten“, bei der die Manen des SS-Mannes Saint-Loup und des Schriftstellers Pierre Gripari mit ihren eindeutigen Sympathien für Hitler beschworen wurden.12 Garaudy hat auch am jüngsten Kolloquium des Grece im Dezember 1995 teilgenommen, und er steht im Inhaltsverzeichnis der Februarnummer 1996 von Elements, einer Zeitschrift der „Neuen Rechten“.

Die Holocaust-Leugnung ist allerdings keineswegs einfach eine politische Äußerung der extremen Rechten. Sie funktioniert wie eine Sekte, bis hin zu ganz grotesken Aspekten. In dem Bestreben, außer der Geschichte auch noch die Etymologie zu revidieren, hat La Vieille Taupe ihren Abonnenten vorgeschlagen, als Erkennungszeichen für die „Revisionisten“ das Wort „média“ am Ende mit „t“ zu schreiben!13 In der ersten Ausgabe des Buches von Garaudy ist „média“ prompt am Ende mit „t“ geschrieben. Ja, dieses Erkennungs-„t“ kommt auch noch in einem Brief vor, der der Publikation beilag und der von Garaudy unterzeichnet war. In der öffentlichen Ausgabe ist das „t“ aus dem Wort „média“ wieder verschwunden.

Das Buch erscheint unter der Bezeichnung „Samisdat“ (wie auch der Name für den Verlag des Holocaust-Leugners Zündel in Kanada lautet) und wird vertrieben von der „Librairie du Savoir“, einer rumänischen Buchhandlung in Paris für Texte von Dissidenten – „wie zu Zeiten Ceaușescus“, präzisiert Garaudy. Aber was bei diesen Paladinen der Freiheit „Wissen“ bedeutet, erklärt sich aus der Abkürzung „Frond“, die sie ebenfalls im Titel führen: „France-Roumanie – ordre national de la déontologie de l'élite“ (Frankreich-Rumänien – nationaler Orden für die Pflichtenlehre der Elite). Hier findet sich eine Fülle von Literatur über die gute alte Zeit der Diktatur des conducator Antonescu (1938) und alles, was diese Zirkel von Nostalgikern über den Antisemiten Codreanu und seine eiserne Garde zu veröffentlichen vermochten.

Der Hauptteil von Garaudys Buch trägt den Titel „Les Mythes du XXe siècle“ (Die Mythen des 20. Jahrhunderts). Sollte es Zufall sein, daß der Klassiker des NaziIdeologen Alfred Rosenberg „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ hieß? Das einzig besondere an diesem jüngsten Buch der Holocaust-Leugner ist der Name, den es auf dem Titel trägt. Der Inhalt wird in den interessierten Kreisen allerorts seit Jahren dargelegt. Der Verbindungsmann zu den griechischen Obristen, Kostas Plevris, Chef der faschistischen Hundertschaften, die am Morgen des 21. April 1967 in Athen Jagd auf die Demokraten machten, war schon durch sein Werk „O Mythos“ bekannt, in dem er behauptete, „die Legende von der Vernichtung, die Ausgeburten der Alliierten-Presse während und nach dem Krieg und der rasch um sich greifende Mythos von den sechs Millionen sind nichts als zionistische Erfindungen“14.

Schon 1949 brandmarkte Sirius (Hubert Beuve-Méry) in Le Monde Maurice Bardèches Buch „Nuremberg ou la Terre promise“ (Nürnberg oder das Gelobte Land). „Das mußte ja kommen“, schrieb er, „kaum vier Jahre nach dem Ende der Massenvernichtungen fließen hier Antisemitismus und Nationalsozialismus reinsten Wassers in Strömen“15. Das Dramatische an dieser jüngsten Affäre liegt weniger in den Themen, die in Garaudys Buch entfaltet werden, als in der Unterstützung, die der Abbé Pierre ihm geleistet hat. Das gegenwärtige ideologische Abdriften macht es möglich, daß sich auf dem Gebiet des Antisemitismus etwas ähnliches wiederholt, wie es Jean-Marie Le Pen vor zwölf Jahren gelang, nämlich die Tabugrenzen fremdenfeindlicher Redeweisen zu durchbrechen – damals allerdings gegen die Immigranten gerichtet. In einem Interview in Libération zwei Wochen nach der Pressekonferenz im Grand Hôtel erläuterte der Abbé Pierre die Berechtigung seines Schrittes mit folgenden Worten: „Wir wollen uns nicht länger als antijüdisch oder antisemitisch bezeichnen lassen, wenn wir nur sagen, daß ein Jude falsch singt.“ Unter Berufung auf die Sympathiebekundungen, die er von „Durchschnittsfranzosen“ bekommen habe, fügte er hinzu: „Schon lange sind nicht mehr so viele Leute auf mich zugekommen und haben mir gesagt: Vielen Dank, daß Sie den Mut gehabt haben, ein Tabu in Frage zu stellen.“16 Leider scheint sich der Abbé keine Gedanken darüber zu machen, daß diese „Durchschnittsfranzosen“ jenen aufs Haar gleichen, die vor hundert Jahren Satz für Satz jenes finstere „Monument Henry“ erbaut haben... Um es mit der Bibel zu sagen: Es wäre dann nicht mehr fern die Zeit der Apokalypse und ihres „falschen Propheten im Dienste der Bestie“.

dt. Sigrid Vagt

1 Zeev Sternhell, „La Droite révolutionnaire“, Paris (Points-Seuil) 1989, S. 181. Die Zeitung La Croix, die schon lange mit dieser Vergangenheit gebrochen hat, verurteilte Roger Garaudys Buch und distanzierte sich von Abbé Pierre.

2 Georges Bensoussan, „L'Idéologie du rejet, enquête sur le ,Monument Henry‘“, Manya, Levallois- Perret, 1993, S. 42-44.

3 Émile Zola, „J'accuse!“, Paris (Mille et Une Nuits) 1994, S. 24.

4 Edouard Drumont, „La France juive devant l'opinion“, Paris (Marpon et Flammarion) 1886, S. 5-6.

5 Georges Bensoussan, a.a.O., S. 67.

6 Ralph Shor, „L'Antisémitisme en France pendant les années trente“, Brüssel (Complexe) 1991.

7 Maschinegeschriebener Brief von Abbé Pierre an Roger Garaudy; nicht datiert, nicht unterzeichnet.

8 L'Express, 2. Mai 1996.

9 Persönlichkeiten von großem intellektuellen Ansehen wie Professor Pierre Vidal-Naquet, Verfasser von „Assassins de la mémoire“ (Paris, Le Seuil 1995) und Madeleine Rebérioux, Ehrenpräsidentin der Liga für Menschenrechte, haben kürzlich, bei aller Kritik an der Leugnung des Holocausts, die Sachdienlichkeit eines solchen Gesetzes in Frage gestellt, da es gewissermaßen eine „staatliche Wahrheit“ festlegt. Vgl. Le Monde, 4. Mai und 21. Mai 1996.

10 Le Canard enchainé, 24. Januar 1996.

11 Rivarol, 29. April 1996.

12 Jean-Yves Camus und René Monzat, „Les „Droites nationales et radicales en France“, Lyon (Presses universitaires de Lyon) 1992, S. 261.

13 La Vieille Taupe, Nr. 1, Frühjahr 1995.

14 Patrice Chairoff, „Dosier néo-nazisme“, Paris (Ramsy) 1977, S. 71.

15 Le Monde, Januar 1949.

16 Libération, 29. April 1996.

* Historiker, CNRS, Lyon.

Le Monde diplomatique vom 14.06.1996, von Philippe Videlier