14.06.1996

Staatskrise in der Türkei

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Staatskrise in der Türkei

■ Im Frühjahr startete die türkische Armee wieder einmal eine "letzte Offensive" gegen die Kämpfer der PKK. Um die Stützpunkte dieser Organisation im von Kurden bewohnten Nordirak zu zerstören, der seit dem Golfkri

Im Frühjahr startete die türkische Armee wieder einmal eine „letzte Offensive“ gegen die Kämpfer der PKK. Um die Stützpunkte dieser Organisation im von Kurden bewohnten Nordirak zu zerstören, der seit dem Golfkrieg nicht mehr von Bagdad kontrolliert wird, drangen türkische Truppen Anfang Mai auch auf irakisches Territorium vor. 40000 Mann waren auf beiden Seiten der Grenze im Einsatz. Obwohl PKK-Führer Abdullah Öcalan im vergangenen Dezember einen einseitigen Waffenstillstand erklärt hat, ist die Regierung in Ankara immer noch nicht verhandlungsbereit und hofft weiterhin auf den triumphalen Sieg, der seit Jahren in den offiziellen Verlautbarungen beschworen wird.

Zwar hatte Mesut Yilmaz während seiner kurzen Amtszeit als Premierminister einige Kompromißvorschläge gemacht, die jedoch im Geschützdonner untergingen. Parallel zur Verstärkung seiner Einsätze in Kurdistan hat Ankara im Umgang mit seinen Nachbarn schärfere Töne angeschlagen: Armenien, Iran und vor allem Syrien wird vorgeworfen, den „Terrorismus“ zu unterstützen.

Die Türkei zahlt einen hohen Preis für diesen „Krieg ohne Ende“, der mit grausamer Härte geführt wird und zur Vertreibung von Hunderttausenden geführt hat. Mit jährlich rund sieben Milliarden Dollar belastet der Konflikt den ohnehin stark defizitären Staatshaushalt. Während die Türkei den Beitritt zur Europäischen Union anstrebt, nehmen die autoritären Tendenzen und die Verletzungen der Menschenrechte zu; der Krieg schwächt die politische Macht, die ohnehin durch Skandale erschüttert und durch Attentate bedroht ist, und stärkt auch den Einfluß der Islamisten. Das Versinken der Armee im kurdischen Morast trägt auch zu der Krise dieser Institution bei, die seit den Tagen Atatürks ein Garant für den Fortbestand der Republik gewesen ist.A. G.

Le Monde diplomatique vom 14.06.1996, von A.G.