Neureiche, am Busen der Macht genährt
Von
GORDANA
IGRIĆ *
ER ist Rechtsanwalt in Belgrad. Reich geworden ist er in den letzten fünf Jahren mit der Verteidigung von Mafia- Mitgliedern und Privatunternehmern. Er spricht mit bäuerlichem Akzent, aber sein Büro ist mit Stilmöbeln ausstaffiert. Er trägt einen Anzug von Versace, am Handgelenk blinkt eine Rolex, und derzeit läßt er sich im Nobelviertel Dedinje eine Villa mit Schwimmbad bauen.
Diese Schicht von Neureichen entstand unmittelbar nach dem Zerfall Jugoslawiens. Damals verabschiedeten sich die neuen Staaten vom sozialistischen Eigentum, das hinter der Fassade der Selbstverwaltung von kommunistischen Funktionären gemanagt worden war. Von einem Tag zum anderen betrat eine Gruppe von Neureichen die Bühne: als ob die alte politische Elite einfach so die Farbe der Vorhänge gewechselt hätte. „Eine parasitäre Schicht“, so der Soziologe Mladen Lazić, die aus einer dauerhaften Symbiose zwischen dem öffentlichem Bereich, dem Privatsektor und der Politik entstanden ist.
Glaubt man den offiziellen Zahlen, sind in Serbien 44 Prozent der Industrie verstaatlicht, 41 Prozent „gesellschaftliches Eigentum“, und 15 Prozent gehören zum Privatsektor. Letzterer macht in Wirklichkeit, wie aus Geschäftskreisen zu erfahren ist, allenfalls 3 bis 4 Prozent der Wirtschaft des Landes aus, solange die Spitzenunternehmen unter Behördenkontrolle stehen, von denen sie übrigens auch gegründet wurden.
Das regierungsnahe Unternehmen der Karić-Brüder hat die Lizenz für ein mobiles Telefonnetz erhalten – ohne jegliche öffentliche Ausschreibung. Eine andere Firma, die sich diesen Markt erobern wollte, wurde nach einem aufsehenerregenden Prozeß einfach aufgelöst. Der unglückliche Konkurrent hatte den Anschluß für 1500 Deutsche Mark angeboten, während die Karić-Brüder 11000 verlangen ...
Ein Schuß mitten auf der Straße oder eine unter dem Auto plazierte Bombe können freilich die Karriere dieser „Blitzmillionäre“ ganz plötzlich beenden. Der durchschnittliche Neureiche hat seinen Reichtum gewöhnlich auf zwei Ebenen erworben: in einem öffentlichen Amt und im Untergrund. Wenn er das Haus verläßt, ist er bewaffnet und beschützt von mehreren breitschultrigen Glatzenmännern. Seine Kleidung kauft er in Luxusboutiquen für teure Markenware (meist ohne Lizenzen hergestellt).
Auf diese Weise kompensiert er die Auslandsreisen, die er nicht machen kann, weil sein Name wahrscheinlich auf den Fahndungslisten steht. So gab es zahlreiche Straftäter, die zu Anfang des Krieges nach Serbien und Kroatien zurückkehrten, nachdem sie in Westeuropa abgesahnt hatten: Wegen ihres „Patriotismus“ wurden sie von den Behörden eher freundlich aufgenommen und für diverse Schiebereien, Devisen- und Waffenschmuggel eingespannt. Im Gegenzug wurde ihnen völlige Straffreiheit zugesichert. Der Prototyp dieser Mafiosi heißt Zeljko Raznatović, auch „Arkan“ genannt.
In Kroatien haben sich ganz unscheinbare Leute – Blumenhändler, Pizzeriakellner, Besitzer von Vorstadtkneipen – dank ihrer privilegierten Beziehungen zu den Machthabern bereichern können. Diese Aufsteiger sind verrückt nach schönen deutschen Autos: Kroatien kommt, was die Zahl der Mercedes pro Einwohner betrifft, gleich hinter der Türkei! Doch die wahre Elite in Wirtschaft und Gesellschaft läßt sich nicht mit zwei Leibwächtern auf der Straße blicken. Diese Leute, die gleichzeitig Privatunternehmer und Minister in der Regierung sind, machen aus ihrer Zugehörigkeit zur Macht keinen Hehl. Doch der Umfang ihres Vermögens ist weniger bekannt.
In Belgrad stehen solche Aufsteigertypen vor allem der Regierungspartei nahe, oder auch der Jugoslawischen Linksunion (JUL), deren Vorsitzende Mirjana Marković, die Frau des serbischen Präsidenten, ihre Anhänger an die Spitze aller großen Unternehmen befördert hat. Einer der reichsten Männer Serbiens, Nenad Dordević, ein ehemaliger Polizeiinspektor und Besitzer des Handelsunternehmens BTC, ist Mitglied der JUL: Er dient Mirjana Marković als Beleg dafür, daß „die neue serbische Linke nicht gegen das Privateigentum ist“. Ein anderes Beispiel: Nach Informationen der unabhängigen Zeitung Nasa Borba1 wird die staatliche Erdölindustrie den Import von Rohöl und Fertigprodukten zugunsten des Industriellen Zoran Todorović einstellen, der als einer der engsten Mitarbeiter von Mirjana Marković eine führende Position in der JUL einnimmt.
Nach Informationen von Vreme sind von den 29 serbischen Ministern 13 zugleich Direktoren von halböffentlichen oder privaten Unternehmen. Präsident Milošević selbst rühmt diese für die europäische Parlamentsgeschichte einzigartige Situation: „Dank der Schlüsselpositionen, die einige unserer Minister einnehmen, konnten wir uns von einer schwerfälligen Bürokratie befreien und von einem konservativen Staatswesen ohne neue Ideen zu einer Politik übergehen, die die Probleme des täglichen Lebens offensiv angeht.“2
Reich zu werden war während der letzten Jahre in Serbien nicht schwer: Man organisierte sich einfach einen Bankkredit und konvertierte ihn in Devisen. Durch die galoppierende Inflation verlor die Anleihe schnell an Wert, so daß sie bei ihrer Fälligkeit mit einem Zehntel, ja sogar einem Hundertstel des erwirtschafteten Kapitals zurückgezahlt werden konnte. Aber nur wenige tätigten solch ertragreiche Operationen.
Korruption und Staatsbetrug sind die Geburtshelfer dieser neuen Klasse. Hinzu kommen die internationalen Sanktionen: Sie schufen diesen Emporkömmlingen die Berechtigung zum Schwarzmarkt mit Erdöl, Zigaretten, und anderen entsprechenden Waren. So begannen die eigentlich öffentlichen Unternehmen zu prosperieren, wobei Staat und Behörden, ja, selbst die Polizei beide Augen zudrückten.
In Kroatien verlief die Sache ähnlich. Eine klassischer Fall ist Miroslav Kutla, eine sehr mediengerechte Figur, die den Verlag Slobodna Dalmacija AG weit unter Wert gekauft hat. Kutla hatte aus einer Pensionskasse, bei der er selbst angestellt war, einen äußerst zinsgünstigen Kredit erhalten, um damit die Bank von Split zu kaufen; außerdem erwarb er durch einen Exklusivvertrag etwa 40 Prozent der Aktien von Slobodna Dalmacija. Der Bankdirektor rechtfertigte sich damit, auf Anordnung des Büros des kroatischen Präsidenten gehandelt zu haben. „Mit Politik habe ich nichts zu tun“, versichert Kutla trotz alledem und „vergißt“ dabei, daß seine Familie bei der Gründung der herrschenden Tudjman-Partei mitgewirkt hat.
Ivica Todorović hat innerhalb von fünf Jahren die Agrocor-Gruppe erworben, zu der elf Unternehmen und zehntausend Angestellte gehören. Nach Informationen der Zeitung Globus begann alles mit einem Kredit von sechs Millionen Mark, der Agrocor von der Zagreb-Bank bewilligt wurde und dazu bestimmt war, Getreide für die Staatsreserve anzukaufen. In Wirklichkeit hat Todorović das Getreide ins Ausland verkauft und später durch Korn aus der Vojvodina ersetzt. Seinerzeit befand sich Kroatien mit Serbien im Krieg, also auch mit der Vojvodina.
Auch in der Vojvodina bringt eine telefonische Umfrage Interessantes zutage: Auf die Frage „Wie kann man heute reich werden?“ antworten 68 Prozent der befragten Personen „durch Verbrechen“, 18 Prozent „durch Beziehungen zu Politikern und einflußreichen Familien“. Auf die Frage „Wer sind die Reichen?“ antworten 26 Prozent „die Politiker“, 20 Prozent „die Geschäftsleute“, 12 Prozent „Leute aus dem Showbusineß“ und 11 Prozent „die Mafia“.
Andere freilich zahlen die Zeche für den Reichtum dieser Emporkömmlinge: Die Unterschicht, aber auch die Mittelklasse müssen die Rechnung für Krieg, Sanktionen und Völkerverschiebungen bezahlen. In der Bundesrepublik Jugoslawien gibt es 25 Prozent Arbeitslose, und das Bruttosozialprodukt erreicht pro Jahr und Einwohner kaum 1400 Dollar. In Serbien verdienten 78 Prozent der Familien im letzten Juni nicht mehr als 235 Dollar. Und in Kroatien sind 17 Prozent der aktiven Bevölkerung ohne Arbeit, das Bruttosozialprodukt liegt pro Jahr und Einwohner bei 3500 Dollar. Wenn durchschnittlich jeder kroatische Haushalt über 665 Dollar monatlich verfügt, haben dennoch 10 Prozent der Bevölkerung überhaupt kein Einkommen, und 40 Prozent aller Familien leben unter der Armutsgrenze.
dt. Christophe Zerpka
* Journalistin, Mitglied des AIM-Netzwerks, das unabhängige Journalisten in allen Ländern des ehemaligen Jugoslawien umfaßt. Schreibt in Zusammenarbeit mit Milica Kostić (Belgrad) und Alea Anić (Zagreb).
1 In der Ausgabe vom 8. Februar 1996.
2 Aus einer Rede vom 28. 6. 1994 zur Feier der „100 erfolgreichen Tage der serbischen Regierung“.