14.06.1996

Grünes Licht für Umweltverschmutzer

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Grünes Licht für Umweltverschmutzer

MIT Ablehnung reagierte die US-amerikanische Öffentlichkeit auf den Versuch der republikanischen Rechten, die gesetzlichen Bestimmungen der letzten zwanzig Jahre zum Schutz der Natur und der Verbraucherrechte abzubauen. Diese Stimmung nutzend, machte Präsident Clinton den Umweltschutz umgehend zu einem Hauptthema seiner Wahlkampagne. Die großen ökologischen Projekte (wie das Elektroauto) wurden jedoch von der Industrie-Lobby erfolgreich blockiert, und selbst die geringfügige Benzinsteuer ist keineswegs beschlossene Sache. Je stärker sich die Vorstellung durchsetzt, alles sei den Prioritäten der Unternehmen und der internationalen Konkurrenz unterzuordnen, desto schwieriger ist es, die wenigen Errungenschaften aus den siebziger Jahren zu verteidigen.

Von MOHAMED LARBI BOUGUERRA *

Seit die Republikaner im November 1994 die Mehrheit im US-amerikanischen Kongreß errungen haben, ist das Kapitol zum Schauplatz eines Kampfes geworden, bei dem es nicht nur um den Umweltschutz, sondern auch um die Gesundheit der Bevölkerung und den Verbraucherschutz geht. Der legislative Eifer der Republikaner hat freilich noch keine Früchte getragen: Die meisten ihrer Projekte sind auf dem verschlungenen Verfahrensweg steckengeblieben.1

Eins ist jedoch sicher: Bill Clinton und Vizepräsident Al Gore werden den ökologischen Fragen bei den Wahlen im nächsten November höchste Priorität einräumen. Die politische Bedeutung der im Kongreß beratenen Vorlagen, die Heftigkeit, mit der die Republikaner gegen alle Schutzklauseln sind, und die Unstimmigkeiten in beiden politischen Lagern haben dafür gesorgt, daß Öko-Themen erneut auf der Tagesordnung stehen.

Das Wahlkampfmanifest der Republikaner, der „Contract for America“, schlägt laut Al Gore ein „Leck in die Umweltgesetze unseres Landes und seine (internationalen) Verpflichtungen“; es will die Gesetze zum Schutz der Umwelt und der Verbraucher aushöhlen.2 Seit nahezu dreißig Jahren fordert die amerikanische Rechte sogar unter Berufung auf das fünfte Amendment der Verfassung, die Regierung müsse jeden Eigentümer entschädigen, dessen Besitz durch Umweltschutzauflage einen Wertverlust von mehr als 10 Prozent erleidet.3

Der Angriff erfolgt frontal, aber in vielfältigen Formen. Da will zum Beispiel die Umweltschutzbehörde (EPA), die vor fünfundzwanzig Jahren von der Regierung Richard Nixon als Instrument der Exekutive geschaffen wurde, den Schadstoffausstoß von Raffinerien verringern. Prompt reagiert das Repräsentantenhaus mit einer Zusatzklausel, die das Ganze konterkariert, und mit der Kürzung des Budgets der Behörde um 34 Prozent. Tom DeLay, ein führender Politiker der Republikanischen Partei, ging so weit, diese Behörde mit „einer Gestapo“ zu vergleichen.

Bill Clinton verurteilte diesen „verdeckten Angriff auf das Haushaltsgesetz“ und unterzeichnete im August 1995 demonstrativ eine Durchführungsverordnung, die jeder Gemeinde das Recht gibt, in bestimmten Fällen die Zusammensetzung der toxischen Emissionen in ihrer Umgebung zu erfahren. Die Republikaner brachten jedoch siebzehn Ergänzungsanträge ein, um die Kontrolle durch die EPA in einigen sensiblen Bereichen zu unterbinden. Die Folge war, daß die Behörde über ein halbes Jahr lang ohne Budget dastand und wichtige Arbeiten einstellen mußte, etwa im Rahmen des Superfund- Programms zur Dekontaminierung hochgradig schadstoffbelasteter Gebiete.4

Und während die Republikaner lange Zeit „Bürokraten und nicht gewählte Experten“ öffentlich beschimpften, ließ das Repräsentantenhaus letztes Jahr am Entwurf von Gesetzesvorhaben zum Umweltschutz selbst solche Industrievertreter in den Ausschüssen mitarbeiten, deren eigene Interessen davon unmittelbar betroffen waren. Gleichzeitig tat man alles, um die Ausgaben für lobbyistische Aktivitäten gemeinnütziger Umweltschutzorganisationen einzugrenzen.

In einem Kommentar zur geplanten Einschränkung des Clean Water Act, des Gesetzes zur Reinerhaltung des Wassers von 1972, schrieb die New York Times zu Recht: „Der Gesetzentwurf macht die Sache für die Umweltverschmutzer leichter. Das ist nicht verwunderlich, haben sie ihn doch selbst verfaßt.“ Die Zeitung verwies darauf, daß weder die EPA noch die entsprechenden NGOs von den Kongreßausschüssen zu Anhörungen eingeladen waren. Präsident Clinton verglich daher am 4. November 1995 die führenden Politiker der Republikanischen Partei ganz unverblümt mit einer „kleinen Armee, die für die Interessen der Umweltverschmutzer kämpft“.

Die Taktik der Republikaner war leicht zu durchschauen. Das Gesetz zum Schutz der Umwelt von 1972 wurde formal nicht widerrufen, sondern durch Zusatzklauseln zum Haushaltsgesetz ausgetrocknet, die den Bundesbehörden die finanziellen Mittel entzogen. Zur Begründung verweist man zwar immer auf das Ziel, die mit den Umweltauflagen verbundenen Kosten für die Wirtschaft zu senken, doch letzten Endes darf man „befürchten“, daß damit „das System völlig lahmgelegt statt reformiert“5 wird. Auf Betreiben der chemischen Industrie wollten die Republikaner zudem ein Moratorium durchsetzen, das alle derzeit geplanten Schutzbestimmungen auf Eis legen soll. Und es sollte noch besser kommen: Sie brachten einen Gesetzentwurf ein, der die Bundesbehörden de facto lahmlegt, da sie vor jeder Umweltschutzmaßnahme eine peinlich genaue Beurteilung möglicher Risiken abgeben müssen. Gleichzeitig wird jede Auflage für die Industrie einer eingehenden Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen.

Damit hat man sich weit von der Idee entfernt, die 1972 dem Clean Water Act zugrundelag: daß man nämlich den Wert sauberen Wassers nicht Dollar für Dollar gegen die Kosten für seine Reinigung aufrechnen könne. Laut Schätzung der Regierung Clinton würde eine solche von den Republikanern geforderte Analyse vier Jahre in Anspruch nehmen, da sie nicht weniger als 23 Untersuchungsetappen vorsieht. Und auch danach haben die Industrieunternehmen noch die Möglichkeit, gegen die getroffene Entscheidung gerichtlich vorzugehen.

Ausschüsse von Repräsentantenhaus und Senat haben zudem eine Vorlage auf den Weg gebracht, wonach der Kongreß einen Bundesstaat nicht anweisen kann, die Verschmutzung eines Wasserlaufs zu unterbinden, sofern er dafür keine Bundesmittel zur Verfügung stellt. Wenn die Bundesstaaten kein Geld vom Kongreß erhalten, können sie also nach Belieben die Gewässer verunreinigen. Als „unerhört“ bezeichnete im Dezember 1995 die kanadische Umweltministerin Sheila Copps diese Novellierung des Gesetzes zur Reinerhaltung des Wassers durch das Repräsentantenhaus. Die geplante Revision bestätige nicht nur die lasche Haltung der US-amerikanischen Behörden gegenüber dem Ausstoß industrieller Schadstoffe, sie könnte ihrer Ansicht nach auch die zwischen beiden Staaten getroffenen Abkommen über die Großen Seen verletzen. Im Januar 1996 hat schließlich sogar die Welthandelsorganisation in die Debatte eingegriffen und gewisse Bestimmungen im Gesetz über die Reinerhaltung der Luft verurteilt, da US-amerikanische Raffinerien davon allzu sehr begünstigt würden.

Der Widerstand organisiert sich

BEI ihrem „reformatorischen“ Eifer haben die Republikaner nicht vergessen, auch den Verbraucherschutz ins Visier zu nehmen. Denn, wie ein Journalist erklärt, „die Wirtschaftskreise (und jene Volksvertreter, die deren Interessen wahrnehmen) wehren sich immer gegen Gesetze, die den Verbrauchern zugute kommen sollen. Wirklich immer! Das ist wie ein Naturgesetz. Ganz gleich, ob sie darauf zielen, Todesfälle, Arbeitsunfälle mit Verletzungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit, anomale Veränderungen des Erbguts oder Krebserkrankungen zu verhindern – die Wirtschaft wird sie mit allen Mitteln bekämpfen.“6

In Verlautbarungen der Allianz für verantwortliche Schutzbestimmungen, einer Vereinigung von Industrieverbänden und Pressure-groups (zu der auch die einflußreiche Vereinigung der Hersteller chemischer Produkte, CMA, gehört), klingt das natürlich ganz anders. Die Allianz unterstützt einen Ergänzungsvorschlag zur „Berücksichtigung statistischer Daten“, wonach so lange keine Gesetzesübertretung vorliegt, wie ein Hersteller chemischer Erzeugnisse die Umwelt nicht regelmäßig verschmutzt. Nach Ansicht der Allianz werden die Gesetzesvorlagen der Republikaner „die Bundesbehörden zu wirksamen und produktiven Lösungen veranlassen“. Doch die „Produktivität“ hängt zunächst einmal von den Geldern ab, mit denen man die Politiker bedient. Mehr als hundert verschiedene Industrie- Lobbies, die sich unter der Fahne des „Project Relief“ versammeln, haben 10 Millionen Dollar in die Kassen republikanischer Abgeordneter wandern lassen. Dabei gingen die Mittel vornehmlich an die Vorsitzenden jener parlamentarischen Ausschüsse, die für den Bereich natürlicher Ressourcen zuständig sind, sowie an Senatoren aus dem Bundesstaat Alaska7, wo sich ein nationales Naturschutzgebiet befindet, auf dessen Territorium die Erdölförderung bislang noch untersagt ist.

Gegenüber dieser Offensive der Industrie hat sich zunächst im Senat und später in der bürgerlichen Öffentlichkeit der Widerstand formiert. So startete die Demokratische Partei im Juli 1995 eine Obstruktionskampagne gegen den Gesetzentwurf des republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Robert Dole, mit dem Erfolg, daß die Behandlung seiner Vorlage auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wurde. Diese Diskussion, bei der bedeutende Interessen im Spiel sind, läßt die aufmerksamen Bürger nicht unbeteiligt. Und sie sind durchaus in der Lage, Druck auf ihre gewählten Vertreter auszuüben: In den Reihen der parlamentarischen Mehrheit sind bereits einige Abtrünnige zu verzeichnen. Etwa 30 Republikaner haben im August 1995 die Parteiorder einer harten Haltung gegenüber der EPA mißachtet – wozu ihnen Al Gore gratulierte. Der Republikaner Newt Gingrich, Sprecher des Repräsentantenhauses, hat inzwischen erkannt, wie unpopulär sein Krieg gegen die Umwelt ist, und entsprechend zum Rückzug geblasen. Seither besucht er zoologische Gärten und präsentiert sich gerührt mit Tieren im Arm, die zu den vom Aussterben bedrohten Arten gehören ...

Die Umweltschützer sind inzwischen noch einen Schritt weiter gegangen. Sie engagieren sich nicht nur für die Eule oder den Adler, sondern auch für reine Luft, gesunde Lebensmittel und sauberes Wasser. Sie gehen in die Medien oder lassen Menschen im Kongreß auftreten, die Opfer verschmutzten Wassers oder verdorbener Hamburger wurden (wenn etwa Robert Dole vorschlägt, die Fleischkontrollen zu lockern). Ihre Bemühungen beginnen sich auszuzahlen.

Was die Regierung Clinton betrifft, so darf man trotz ihrer derzeitigen ökologischen Bekenntnisse und des Mini-Sieges, den sie bei den Scharmützeln über den Staatshaushalt errungen hat, nicht vergessen, daß sie sogar von ihren bescheidenen anfänglichen Ansprüchen Abstriche machen mußte. Es ist ihr nicht gelungen, höhere Gebühren für die Viehhaltung auf staatlichem Weidegebiet durchzusetzen, sie hat dem Schlagen der Wälder in Oregon zugestimmt, und ihr Vorschlag zur Energiesteuer hat jegliche Substanz verloren.8 Dennoch setzt Präsident Clinton unbeirrt auf die Fehltritte der Republikaner und gibt sich als großer Verfechter des Umweltschutzes. Allerdings geht er dabei nicht so weit, von der Industrie zu verlangen, daß sie den Schutz der Umwelt in ihren Produktionskosten mitberücksichtigt. Auch in seiner Amtszeit als Gouverneur von Arkansas hatte er solche Forderungen nicht gestellt, weil er genau wußte, wie teuer sie sind – und was man von reichen Industriellen zu erwarten hat, die ihre Abfälle ungehindert loswerden wollen. So wurden etwa im November 1992 drei Kandidaten, die sich für die Erhaltung der Wälder in Indiana, Minnesota und Pennsylvania einsetzten, nicht ins Repräsentantenhaus gewählt, weil sich die Lobby der Holzindustrie gegen sie stark gemacht hatte.

Bei den militanten Umweltschützern hält sich die Begeisterung über den Präsidenten in engen Grenzen. Sie sprechen von „Verrat“ und drohen damit, gegen ihn Ralph Nader als Kandidaten für das Weiße Haus ins Rennen zu schicken. Die paar Vetos, die Clinton einlegte, konnten sie nicht überzeugen. Offensichtlich ist es Innenminister Bruce Babbitt bislang nicht gelungen, den Umweltschutzorganisationen seinen „ökologischen Liberalismus“ beizubiegen, der auf gegenseitigen Zugeständnissen basiert. Umfragen haben ergeben, daß für die Mehrheit der Wähler der Natur- und Verbraucherschutz mehr zählt als eine reduzierte „Belastung“ aufgrund einschlägiger Bestimmungen. Unter diesen Umständen – und im Interesse aller Beteiligten – scheint sich die republikanische Deregulierungswut zunächst eine Pause zu gönnen. In Erwartung der Entscheidung, die die Amerikaner im kommenden November treffen werden.

dt. Erika Mursa

1 T. Noah, „US rollback of Green agenda is stalled“, The Wall Street Journal, 27. Dezember 1995.

2 Benjamin Weiser, „How much is too much?“, The Washington Post National Weekly Edition, 9. Oktober 1995.

3 David Helvarg, „Legal assault on the environment“, The Nation, 30. Januar 1995.

4John Cushman Jr., „Program to clean toxic waste sites is let in turmoil“, The New York Times, 15. Januar 1996. Seit dem 31. Dezember 1995 ist die EPA nicht mehr befugt, von den Industrieunternehmen ihren rechtmäßigen Anteil für solche Bereinigungsarbeiten zu verlangen, da es dem Kongreß nicht gelang, die Höhe der prozentualen Beteiligung von Regierung und Unternehmen festzulegen. Der Senat will seinerseits den Umfang der Liste toxischer Emissionen (Toxic Release Inventory, TRI) begrenzen, auf der die Unternehmen die Schadstoffmengen angeben müssen, die von ihren Fabriken erzeugt werden.

5 Leyla Boulton, „Confronting the back-flash“, Financial Times, 30. August 1995.

6 Bob Herbert, „Product safety has to be fought for“, International Herald Tribune, 21. April 1995.

7 Martin Walker, „Licence to pollute the free world“, The Guardian, 7. September 1995.

8 Vgl. Serge Halimi, „Les velléités frustrées de l'administration Clinton“, Savoirs, Nr. 2, 1993.

* Hochschullehrer, Mitherausgeber von „L'État de l'environnement dans le monde“, Paris (La Découverte – Fondation pour le progrès de l'homme) 1993.

Le Monde diplomatique vom 14.06.1996, von Mohamed Larbi Bouguerra