12.07.1996

Der Brand schwelt weiter

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Der Brand schwelt weiter

ZWEI Jahre nach dem Genozid versucht man in Ruanda, ein neues Leben aufzubauen, und das in einer Region, in der die Massenmörder von gestern danach trachten, die Macht erneut an sich zu reißen. Sie fallen immer häufiger von Zaire aus in Ruanda ein und scheuen sich nicht, die ostzairische Kivuregion in einen regionalen Krieg zu verwickeln. Gleichzeitig wächst in Burundi auf dem Nährboden der Angst bei den Hutu wie bei den Tutsi der Extremismus, der beide Ethnien mit einem schleichenden Genozid bedroht.

Von unserer Korrespondentin COLETTE BRAECKMAN *

Kigali, Mai 1996. Die Obst- und Gemüsestände auf dem Markt brechen unter ihrer Last fast zusammen; jede Woche öffnen neue Restaurants, Self-Services wie in Uganda, kleine nogandas nach dem Vorbild von Zaire, wo man man in Bananenschalen gedünsteten Fisch essen kann. Die Läden in Kigali sind voller Waren, die Preise relativ stabil. Noch nie gab es hier so dichten Verkehr und so viele Unfälle. In den Ministerien fangen sie schon vor acht Uhr morgens zu arbeiten an. Die Hauswände sind neu gestrichen, die Mauern mit den Geschoßnarben ausgebessert, die Fensterscheiben ersetzt. Die Stadtverwaltung der Hauptstadt hat Witwen eingestellt, die sich um die Rasenflächen kümmern, und auf dem Lande bessern Gemeindearbeiter die Straßen und Böschungen aus. Die Wasser- und Elektrizitätsversorgung in den Städten funktioniert wieder, und die Bauern bestellen ihre Felder bis hinauf zu den Hügelkuppen. Die Kaffeebäume sind getrimmt, die Märkte sind mit Kartoffeln und Bohnen überschwemmt, die drohende Hungersnot scheint abgewendet. Ruanda wirkt geordnet, ja dynamisch; Neuankömmlinge könnten darüber fast die Bilder von Juli 1994 vergessen.

Damals ergriff die Patriotische Front Ruandas (Front Patriotique Rwandais – FPR), deren Truppen wesentlich aus exilierten Tutsi bestanden, die Macht in einem ausgebluteten, vom Genozid zerrütteten Land. In den Straßengräben und Kirchen lagen Leichenberge. Die nach Zaire und Tansania geflohenen Machthaber des alten Regimes hatten die gesamte Infrastruktur zerstört und die Staatskassen geplündert. Auf ihrer Flucht hatten sie zwei Millionen Flüchtlinge vor sich her getrieben. Wer heute noch Erinnerungen an die Tragödie aufspüren will, muß jenseits all dieser Anzeichen von Normalität den Überlebenden zuhören. Sofern sie bereit sind, zu erzählen – denn sie fühlen sich wie Fremde inmitten des geschäftigen Treibens, das die aus dem Ausland zurückgekehrten Tutsi in den Städten entfalten. Die ruandische Diaspora hat ihre Güter, ihr Kapital, ihre Kader aus dem Exil zurückgebracht. Sie kommen aus Burundi, Zaire, Uganda, aber auch aus Europa und den USA, und sie sind alle zum Erfolg um jeden Preis entschlossen. Nach dreißig Jahren Exil bleibt ihnen in diesem Lande keine andere Wahl.

Der Enthusiasmus und die zupackende Art der Neuankömmlinge verstärken noch die Isolation der Überlebenden, die mit ihrem Schmerz alleine bleiben. Edmondo kann in seinem Haus in Gikondo nicht mehr schlafen: Als er die Latrinen freischaufeln wollte, stieß er auf übereinandergeschichte Leichen, die er nicht zu entfernen wagt. Ob es seine Familie ist? Frédéric hat wieder Arbeit gefunden, doch er fragt sich wozu: Seine Frau, seine betagten Eltern, seine Kinder – alle sind tot: „Ich habe niemanden mehr, mit dem ich irgend etwas teilen könnte, fühle mich häufig sogar schuldig, weil ich noch am Leben bin. Manche Leute fragen mich, was ich eigentlich getan habe, um zu überleben. Ich fühle mich wie verdächtig.“ Mathilde besucht jede Veranstaltung im Centre Culturel Français: „Ich bin allein. Meine ganze Familie ist tot, ich komme hierher, damit die Zeit vergeht.“

In Kigali werden wie überall im Lande jede Woche neue Massengräber gefunden, ständig Bestattungszeremonien zum Gedenken an die Tausende Verschwundenen abgehalten. Im April wurden in Kicukiro bei Kigali die dreitausend Menschen begraben, die von den belgischen Blauhelmen 1994 in einer Berufsschule ihrem Schicksal überlassen worden waren. Viele Kinder unter den Trauernden trugen Kreuze, die sie auf dem Massengrab aufstellen wollten. Um die ganze Realität des Genozids zu ermessen, bei dem schätzungsweise eine Million Menschen umgekommen sind, muß man in die ländlichen Gebiete fahren, in das Hügelland, wo früher viele Tutsi wohnten. Zwischen Gikongoro und Butare zum Beispiel, in Rwamiko, haben nur dreihundert Tutsi überlebt, drei Viertel von ihnen sind Frauen und Kinder. In der Region lebten früher zehntausend Tutsi. Hier wurde jeder dritte Einwohner ermordet, ein weiteres Drittel lebt im Exil. Die Felder scheinen bestellt zu sein, doch trotz der allgemeinen Überbevölkerung Ruandas herrscht eine seltsame Leere.

Hier ist man fern vom dynamischen Aufbruch der Städte, fern vom Anschein der Normalität. Die Überlebenden hausen in den Verwaltungsbüros des Gemeindehauses. Alleinstehende Frauen wachen über Scharen zerlumpter Kinder, Waisen, die sie aufgenommen haben, um ihnen eine Art Familie zu bieten. Ihre Häuser sind zerstört, dem Boden gleichgemacht. Sie wagen nicht, in ihren Feldern zu übernachten, trauen sich nur tagsüber hin. Hier im Südosten des Landes, in der während der französischen Intervention (dem Unternehmen „Turquoise“ vom 24. Juni bis 21. August 1994) eingerichteten Sicherheitszone, sind die Menschen nach wie vor nervös. Die Gefahr ist weiterhin akut.

Einige Frauen beschweren sich: „Wenn die regierungsunabhängigen Organisationen Food-for-Work-Programme einführen und den örtlichen Bauarbeitern Nahrungsmittel geben, damit sie unsere Häuser wieder aufbauen, dann nehmen die zwar den Mais und verkaufen ihn auf dem Markt, aber ihre Arbeit nehmen sie nicht ernst. Die Häuser haben keine Fundamente, die Dächer fliegen davon. Wir trauen uns nicht, etwas zu sagen, denn wir sind wenige und sie sind viele.“ Die Überlebenden beschweren sich, daß die Hutu, die ohne dezimierte Familien aus dem Exil zurückgekehrt sind, wesentlich mehr Nahrungsmittelhilfe bekommen als sie, die isoliert, kaum organisiert und nur knapp dem Genozid entronnen sind. Doch vor allem haben sie Angst, immer noch und immer wieder: Einige Männer wurden von Unbekannten überfallen, als sie zu ihren Felder gingen, andere wurden von ehemaligen Nachbarn bedroht, die ihr Land übernommen hatten; und immer wieder kommt es vor, daß Leute über die zairische Grenze kommen und Augenzeugen des Genozids erschießen.

Der Gemeindepolizist notiert sich solche Beschwerden zwar in ein schönes neues Heft, doch er ist sehr jung und offenbar ohne Machtmittel. Die Armee wiederum sucht die Waldgebiete ab und entdeckt ständig neue Waffenverstecke. Immer wieder dringen Kommandos durch den Wald von Nyungwe, der an der burundischen Grenze in der Nähe der Region Kigira liegt, nach Ruanda ein, legen Minen und zerstören Stromleitungen. Vor allem aber beseitigen sie Zeugen.

Die Menschenrechtsmission der UNO betont, daß sich in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Opfer von Gewalttaten verdoppelt hat. Vorher gab es etwa 50 Tote pro Monat, im März 1996 waren es 103. Im April hat das UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) 165 Ermordete registriert, 124 von ihnen gingen auf das Konto der Armee, 14 auf das der Rebellen. Im Mai meldete ein anderer UNDP-Bericht, daß bei 56 Zwischenfällen mindestens 162 Personen, darunter 72 Gefangene, ums Leben kamen.

In diplomatischen Kreisen in Kigali hält man es für unwahrscheinlich, daß man die „Hunderttausende Toten“ nicht bemerkt hätte, die der ehemalige Premierminister Twagiramungu und der ehemalige Innenminister Sendashonga als Regimegegner von ihrem europäischen Exil aus errechnet haben. Den Zahlen der UNO wird allgemein Glauben geschenkt, denn trotz des Rückzugs der Soldaten der Unimir-Mission hat die UNO weiterhin viele Beobachter vor Ort. Keiner von ihnen berichtet in jüngster Zeit über massive, von der Armee organisierte Morde, aber alle melden, daß sich die Situation an der zairischen Grenze besorgniserregend zuspitzt. Immer häufiger dringen bewaffnete Hutu- Banden aus Zaire nach Ruanda ein, es mehren sich die tödlichen Zwischenfälle zwischen Rebellen und Armee; nicht selten sind auch Zivilisten unter den Opfern. Freiwillig oder erzwungen helfen die Bauern der Grenzgebiete den Eindringlingen häufig weiter – manchmal sind es ihre ehemaligen Nachbarn – oder verstecken Waffen, woraufhin die Militärs sie womöglich den Angreifern zurechnen.

Umgekehrt sind von seiten der Eindringlinge zwei andere Gruppen bedroht: zum einen die Augenzeugen des Genozids, zum anderen Hutu, die als Staatsbeamte mit den neuen Machthabern zusammenarbeiten. So wurden im März die Hälfte der Morde Milizmitgliedern und Soldaten des alten Regimes zugeschrieben; von den Opfern waren 17 Personen Staatsbeamte: Angehörige der Ermittlungsbehörden, die die Akten Beschuldigter untersuchen sollten, Gemeinderäte, eine Schuldirektorin, die überdies gegen die Verantwortlichen der Massaker aussagen wollten. Einem UNO-Bericht zufolge zirkulieren in Ruanda schwarze Listen mit den Namen der auszuschaltenden Zeugen; auch ihre Familien sind bedroht. Besonders gespannt ist die Lage in der Gegend um Gikongoro. Dort wurde die Bevölkerung 1994 durch die damalige französische Militäroperation von der Flucht abgehalten, was zwar einen weiteren Exodus nach Südkivu verhinderte, zugleich jedoch zur Folge hatte, daß viele Massenmörder dablieben, so daß die Eindringlinge heute viele Anlaufstellen haben. Es herrscht ein allgemeines Klima des Mißtrauens und der Repression, in dem hauptsächlich die Übergriffe der Armee (Patrouillen, Identitätskontrollen et cetera) in die Kritik geraten.

Viele unschuldige Hutu fürchten, der Kollaboration mit den Eindringlingen beschuldigt zu werden. Ein weiterer Grund für die zunehmende Spannung ist das Näherrücken der ersten Prozesse. Wie die Menschenrechtsorganisation „Association rwandaise pour la défense des droits de l'homme“ kürzlich bekanntgab, werden einige Vertreter des Justizwesens erkennbar unter Druck gesetzt: der Staatsanwalt von Butare wurde verhaftet, der von Kibuye von den Militärs verprügelt.

Alle fordern Gerechtigkeit, doch die Rechtsprechung ist ein politisch hochexplosives Unterfangen. Vielleicht funktioniert auch deshalb das Justizsystem noch immer nicht. Doch mittlerweile sind einige Grundsteine gelegt: Der Oberste Gerichtshof ist besetzt, etwa dreihundert Beamte der Justizpolizei sind ausgebildet und im ganzen Land stationiert. Und die neu ernannten Richter sind beauftragt, sich mit den Fällen der dreiundsiebzigtausend Menschen zu befassen, die in überfüllten Gefängnissen dahinsiechen, wo bereits mehrere Dutzend von ihnen erstickt sind.

Die Justiz ist in Ruanda ein Drahtseilakt, und die Signale der internationalen Gemeinschaft sind äußerst widersprüchlich. Alle sind sich einig, daß die Menschen nicht straffrei ausgehen können, die Schuldigen vielmehr gerichtet und bestraft gehören. Doch außer den Niederlanden ist kein Staat bereit, eine Erweiterung der Gefängnisse zu finanzieren, auch wenn sie die derzeitigen Haftbedingungen scharf kritisieren. Der ruandischen Regierung wird vorgeworfen, die Sache nicht rasch genug voranzutreiben, doch wenn sie summarisch vorgingen, würde die Kritik noch schärfer ausfallen. Deshalb haben die Behörden versucht, ein dem außerordentlichen Charakter der Situation angemessenes System aufzubauen.

Zur Zeit prüft das Parlament einen Gesetzentwurf, der vorsieht, die Beschuldigten in drei verschiedene Kategorien zu unterteilen: zum ersten die Anstifter des Genozids, denen die Todesstrafe droht, zum zweiten die direkten Täter, die auf Geheiß anderer getötet haben, und zum dritten die Diebe und Plünderer. Letztere sollen praktisch straffrei ausgehen, während die „Machetenträger“ mit Haftstrafen bis zu zwanzig Jahren rechnen müssen. Zudem sind spezielle Prozeduren vorgesehen, wie etwa das angelsächsische plea bargaining – ein Handel quasi, bei dem im Falle eines Geständnisses Straferleichterung geboten wird –, oder die Wiederbelebung eines traditionellen ruandischen Brauchs, des gacaca, bei dem die Dorfweisen den Streit vor versammelter Gemeinde schlichten. Früher wurde das gacaca allerdings nur bei unblutigen Streitfällen angewandt, es „vergesellschaftet“ die Schuldanerkennung und die Strafe, die häufig in einer Wiedergutmachung des Schadens bestand ...

Versöhnung – doch wie und mit wem?

DIE Justiz soll die bisherige Straffreiheit beenden, das ruandische Volk auf den Weg des Rechtsstaats zurückbringen und die Grundlage zu einer möglichen Versöhnung bieten, doch sie soll auch den Schmerz der Überlebenden lindern helfen. Doch dies letzte Ziel liegt in weiter Ferne: Die Überlebenden des Genozids, die sich organisiert haben und dagegen protestieren, daß man einfach zur Tagesordnung übergeht, gelten deshalb vielen als Extremisten. Rechtsanwalt Mutogwera räumt ein: „Wer als Exekutor des Genozids eingestuft wird, bekommt eine nur relativ geringe Strafe. Ich verstehe die politische Logik dieser Entscheidung, denn auf die Gerechtigkeit muß die Versöhnung folgen. Doch wie soll ich damit leben, daß der Mörder und Folterer meiner Mutter, meiner Frau, meiner Kinder, so milde bestraft wird?“ Dies ist das Dilemma der ruandischen Behörden: ein Justizverfahren darf nicht nach Rache aussehen, damit sich die Hutu-Flüchtlinge endlich zur Heimkehr bereitfinden. Doch eine zu milde Bestrafung fördert umgekehrt die Versuchung, sich individuell zu rächen, wovon die Bevölkerung bislang abgesehen hat.

Der langsame Wiederaufbau des Justizapparates, das zögerliche Vorgehen des Internationalen Gerichts, das in Arusha (Tansania) gerade mit den ersten Anhörungen beginnt, die Wiederherstellung der Infrastruktur des Landes, der schwierige Wiederaufbau der Wirtschaft: all diese Prozesse kommen derzeit in Gang, trotz nur langsam anlaufender internationaler Unterstützung, die routinemäßig auf Hilfsmaßnahmen und zu selten auf Entwicklungszusammenarbeit setzt. Sollte jedoch der Krieg an der zairischen Grenze wieder aufflammen, ist die gesamte derzeitige Entwicklung wieder gefährdet. Diese Gefahr ist durchaus real: Es sickern immer mehr bewaffnete Gruppen ein, gleichzeitig strömen zairische Tutsi als Flüchtlinge über die ruandische Grenze nach Gisenyi, was nur weitere Spannungen ankündigt.

In Zaire läuft zur Zeit in der Region Masisi, nordwestlich von Goma und Bukavu, eine weitgehend ignorierte ethnische Säuberungswelle. Auf diesen außerordentlich fruchtbaren Hochebenen, wo auch noch Gold und Edelmetalle wie Niobit-Tantalit und Wolframerz im Boden stecken, leben seit Generationen Gruppen von Tutsi und Hutu, die global als banyaruanda, Ruandasprachige, bezeichnet werden, wobei beide Gruppen jeweils durch die entsprechenden Flüchtlingswellen verstärkt wurden.

Hutu-Flüchtlinge aus den Lagern sind, unterstützt von Teilen der zairischen Armee, in jüngster Zeit entschlossen, Masisi von den viehzüchtenden Tutsi zu „säubern“: Die müssen ihren Viehbestand drastisch dezimieren, das Fleisch wird bis nach Kinshasa verkauft. Doch vor allem werden die Tutsi, wie auch die hilflos der erdrückenden Übermacht ausgelieferte Urbevölkerung der Hunde und Nyanga, von den Hutu-Milizen gnadenlos verfolgt und mit den gleichen Genozidmethoden wie vor zwei Jahren in Ruanda „hinweggesäubert“: Ganze Familien werden auf schreckliche Weise ermordet. Europäische Beobachter wollen sogar Fälle von Kannibalismus festgestellt haben. Im Mai belagerten Hutu-Kämpfer aus den Lagern der Interahamwe-Miliz mehrere hundert Tutsi in der Abtei Mokoto, am Ende stürmten sie die Kirche mit Granaten und Macheten. Die Szenen erinnerten an den ruandischen Genozid, doch diesmal spielten sie auf zairischem Boden, weshalb sie nur wenig Aufsehen erregten.

Nach den Statistiken des UN-Flüchtlingskommissariats sind bereits 40000 zairische Tutsi nach Ruanda geflüchtet. Die Tatsache, daß sich stark politisierte, extremistische Hutu-Gruppen in Gebieten innerhalb Zaires aufhalten und dort eigentliche Hochburgen etabliert haben, läßt Schlimmes erahnen. Denn hier könnte eine Art „Hutuland“ entstehen, von dem in jedem Fall die Gefahr eines neuen Krieges ausgehen würde.

Die Beziehungen zwischen Zaire und Ruanda sind von Mißtrauen geprägt und werden täglich schlechter: Präsident Mobutu Sésé-Séko war ein enger persönlicher Freund des ehemaligen ruandischen Präsidenten Habyarimana, die FPR gilt als Rebellenorganisation und anglophoner Erzfeind. Es droht also ein neuer Krieg. Kigali reagiert immer gereizter auf die immer stärkere Infiltration über die zairische Grenze. Der Sicherheitsrat hat am 23. April 1996 gefordert, die Untersuchungen über die Verbreitung von Waffen innerhalb der Hutu-Flüchtlingslager in Zaire fortzusetzen. Nagelneue Waffen und neue Uniformen beziehen auch die ehemaligen Interahamwe-Milizen, die innerhalb Burundis die Hutu-„Angreifer“ gegen die burundische Armee unterstützen.1 In Ostzaire scheint sich ein neuer Krieg zusammenzubrauen. Besorgte internationale Beobachter fragen, welches Ziel Präsident Mobutu bei seinem Besuch in Paris verfolgte, als er am 26. April dieses Jahres von Präsident Jacques Chirac persönlich empfangen wurde.

Frankreich hält offensichtlich den zairischen Staatschef, der die Festigung seiner Macht nicht zuletzt dem ruandischen Genozid verdankt, als Gesprächspartner für „unumgänglich“. In der Region der Großen Seen hingegen wird er bezichtigt, die Hutu-Flüchtlinge gegen die eigene Bevölkerung der Provinz Kivu (in der es schon lange eine starke Opposition gegen Mobutu gibt) zu unterstützen, Waffenschiebereien in immer größerem Ausmaß zuzulassen oder sogar davon zu profitieren, sein Territorium als Rückzugsbasis für die in Burundi kämpfenden Hutu-„Angreifer“ und die nach Ruanda einfallenden Hutu-Banden zur Verfügung zu stellen. Soll die internationale Rehabilitierung des zairischen Präsidenten, der nach Paris als nächstes in Washington empfangen werden möchte und 1997 auf seine Person zugeschnittene Wahlen anstrebt, zum Preis haben, daß die Destabilisierung einer ganzen Region in Kauf genommen werden muß?

dt. Christiane Kayser

1 siehe zu dem Thema auch: Colette Braeckman, „Wo Angst in Haß umschlägt“, Le Monde diplomatique, Juli 1995; dies.: „Le feu court dans la région des Grands Lacs“, Le Monde diplomatique, September 1994, und François-Xavier Verschave, „Connivences françaises au Rwanda“, Le Monde diplomatique, März 1995.

* Journalistin bei Le Soir, Brüssel, Autorin von „Rwanda: histoire d'un génocide“, Paris (Fayard) 1994.

Le Monde diplomatique vom 12.07.1996, von Colette Braeckman