Die große Angst vor den Katalanen
ANFANG März dieses Jahres gewann die Volkspartei PP (Partido popular) mit José Maria Aznar an der Spitze die Parlamentswahlen in Spanien. Da sein Wahlsieg aber sehr knapp ausfiel, mußte er sich auf eine Einigung mit der nationalistischen katalanischen Koalition, der Convergència i Unió, einlassen. Dieser Zusammenschluß, durch den Aznar an die Regierung gelangte, löste erhebliches Erstaunen aus, da der PP und seine Anhänger gegenüber den Katalanen und insbesondere gegenüber dem Präsidenten der autonomen Regierung Kataloniens, Jordi Pujol, eine feindliche, fast rassistische Haltung an den Tag gelegt hatten.
Von MANUEL VÁZQUEZ MONTALBÁN *
Vom Sommer 1993, als die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) bei den Parlamentswahlen ihre absolute Mehrheit verlor, bis zur Nacht vom 3. März, in der die Volkspartei (PP, Partido popular) einen knappen Wahlsieg errang und mit Hilfe einer sehr geringen Mehrheit an die Regierung kam, erlebte Spanien eine Phase außergewöhnlicher politischer und sozialer Turbulenzen. Aus einem einfachen Grund: Nach 1993 hatten sich gewisse Kreise in den Kopf gesetzt, die sozialistische Regierung von Felipe González in die Enge zu treiben und zu stürzen, koste es, was es wolle. Zu dieser Krisenstimmung trugen auch die erbitterten Gefechte bei, die sich zwei feindliche Lager, die Parteien und die Medien, lieferten.
Das politische Lager teilte sich wiederum in die PSOE-Regierung auf der einen und alle übrigen politischen Gruppierungen auf der anderen Seite.
Daß die katalanischen und baskischen Nationalisten die Politik der Sozialisten unterstützten, vergiftete die Atmosphäre erst recht. Die Rechte und auch ein erheblicher Teil der Linken beschuldigten den PSOE, den Staat zu einem Instrument der Interessen „antispanischer“ Parteien zu machen – ein Vorwurf, der von den Madrider Medien bereitwillig aufgegriffen wurde.
Zu allem Überfluß war, wegen der Wirtschaftskorruptionsaffären und wegen des Staatsterrorismus (der paramilitärischen GAL-Gruppen), zwischen der sozialistischen Regierung und dem Justizapparat ein Kleinkrieg im Gange, der eine Schwächung des PSOE von innen heraus zur Folge hatte.
Angesichts der Schwäche der Regierung Felipe González machte sich der PP daran, den Pakt zwischen den Sozialisten und den katalanischen Nationalisten unter Beschuß zu nehmen, und konzentrierte sich vor allem auf die vom PSOE gewährten wirtschaftlichen Begünstigungen für Katalonien. Im übrigen schürte sie die Angst der spanischsprachigen Bevölkerung durch die Behauptung, weitere Sonderregelungen zur Aufwertung der katalanischen Sprache seien geplant.
Die dogmatischen Spanischsprachler waren schon immer eine Art Primatenhorde, die anderen Sprachen mit großem Mißtrauen begegnete, und besonders denen, die sich innerhalb der eigenen Staatsgrenzen gegenüber dem Spanischen behauptet hatten. Das Katalanische, Galicische oder Baskische hört sich in ihren Ohren an wie das Klappern einer Schere, die den linguistischen Penis Spaniens kastrieren will. Sie träumen von einer absolutistischen und totalitären sprachlichen Einheit, die es noch nie gegeben hat – lediglich in der Zeit der Franco-Diktatur (1936- 1975) wäre es fast gelungen, sie zu erzwingen.
Aufgrund seiner Überheblichkeit oder seiner Beschränktheit – einem Resultat der abartigen Geschichtsbücher, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind – betrachtet der fanatische Verfechter des Kastilischen das Galicische, das Katalanische und das Baskische als Erfindungen der Demokratie, genauer gesagt der Separatistenführer.
Als im 19. Jahrhundert die Offiziere und ihre Mannschaften innerhalb der spanischen Armee katalanische Laute zu Gehör bekamen, bezeichneten sie die jungen Männer, die sich dieser merkwürdigen Sprache bedienten, als „Polacken“. Dieser beleidigende Ausdruck hat sich bis heute erhalten. Als vor kurzem der Fußballverein Real Madrid den FC Barcelona im Endspiel des Supercups besiegte, hörte man die Zuschauer skandieren: „Al bote, al bote/ Polaco el que no bote“ („Auf, auf, ein Polacke, wer nicht aufspringt“), ein Slogan, der sich von einem anderen berühmten Kampfruf aus der Zeit der antifaschistischen Kämpfe ableitet: „Al bote, al bote/ Fascista el que no bote“.
Der FC Barcelona ist bekanntlich seit den zwanziger Jahren der symbolische Vertreter einer Art katalonischer Armee ohne Waffen, Real Madrid dagegen war schon von der frankistischen Propaganda zu einer siegreichen Legion hochstilisiert worden. Bei einem Teil der Spanier wuchs die Verärgerung über die Katalanen allein schon wegen der Vormachtstellung des FC Barcelona: Der Verein hatte hintereinander vier Fußballmeisterschaften gewonnen.
Als die Sozialisten 1993 bei den Wahlen Verluste einstecken mußten, prangerte die Rechte die Unterstützung des PSOE durch die Katalanen als „ein egoistisches Darlehen“ an, „von einem Volk von Wucherern und Händlern“ mit dem „Polacken“-Souverän Jordi Pujol an der Spitze.
Die konservative Tageszeitung ABC pflegt Jordi Pujol als einen meisterhaften Wucherer zu bezeichnen, der die Regierung der Sozialisten aussauge, um Katalonien zu mästen, während Spanien verkümmere. In der Presse und im Rundfunk (insbesondere bei dem weitgehend von der Kirche kontrollierten Sender COPE) gehörte es zum guten Ton, Pujol und den katalanischen Nationalismus anzugreifen und von einem „sprachlichen Genozid“ an den in Katalonien lebenden spanischsprachigen Bürgern zu sprechen. Dem Präsidenten der Generalitat (der Landesregierung) wurde auch vorgeworfen, er unterstütze die Sozialisten nur, damit Katalonien sich auf Kosten Spaniens bereichern könne.
Der „sprachliche Genozid“
VIELE setzten sich unter dem Eindruck dieser Pressekampagnen über die Differenzierungen der Kommentarschreiber hinweg und machten gegen alle Katalanen Front; sie bezeichneten sie als „eine verfluchte Rasse“, als „Ethnie, die wie die Juden oder die Schotten nur auf Profit aus ist und sklavisch dem Motto folgt: Nur Geld macht glücklich“. Ein Madrider Taxifahrer schlug sogar das Trinkgeld eines katalanischen Fahrgastes aus; Kaufleute und Industrielle rein spanischer Abstammung boykottierten katalanische Produkte. Manche ersetzten sogar den „Cava“, den katalanischen Schaumwein, durch einen Wein von der Ribera del Duero oder aus der Provinz Rioja, um dadurch ihre Abneigung gegen das verhaßte, reiche, gierige, unersättliche Katalonien unmißverständlich kundzutun.
Die Speerspitze dieser Offensive gegen den Pakt zwischen PSOE und Pujol war die Tageszeitung ABC, die seit jeher für das altbekannte Schreckgespenst der sezessionistischen Strömungen in Spanien zuständig ist. Als ich meinen Roman über Franco1 und den Essay über Dolores Ibárruri, „Pasionaria y los Siete Enanitos“2, schrieb, hatte ich des öfteren Gelegenheit, in den seit Beginn unseres Jahrhunderts erschienenen Nummern der ABC zu blättern und kann deshalb versichern, daß sich die Argumente für die Einheit Spaniens und die Vorstellung vom Vaterland als einem einheitlichen, von der Guardia Civil streng überwachten Ganzen mit einer einzigen Sprache nicht geändert haben. Das galt für das Spanien von 1910 ebenso wie für das heutige Spanien.
Man warf Pujol vor, er sei zu klein geraten, und in einem Artikel mit der Überschrift „Franco-Pujol“ war zu lesen: „Pujol ist ein ganz kleiner Mann, das sieht man sofort... Man kann die Landkarte noch so sehr verkleinern, Katalonien paßt einfach nicht in Pujol. Trotzdem ist Pujol überzeugt, ganz Katalonien in sich zu tragen.“
ABC kritisiert die „provinzielle und merkantile“ Politik Pujols und begreift nicht, daß Pujol nicht katalanische Interessen vertritt, sondern ein wirtschaftliches Konzept, das von der gesamten Arbeitgeberschaft Spaniens geteilt wird, so daß diese jeden Rechtsruck, zu dem Pujol die Sozialisten zwingt, vorbehaltlos unterstützt.
Jordi Pujol ist der einzige Politiker der spanischen Rechten, der gegen Franco gekämpft hat. Er ist verhaftet, gefoltert und eingesperrt worden und hat es dann verstanden, seine Vergangenheit als Widerstandskämpfer auf dem demokratischen Markt imagefördernd zu verkaufen. Sein Grundsatz lautet jedoch, daß die Gesundheit eines Landes von der Gesundheit seiner Unternehmen abhängt. Auch dank seiner internationalen Kontakte ist er insofern ein Vertreter des dynamischsten Sektors des spanischen – und nicht nur des katalanischen – Kapitalismus.
Vorangegangen war der antikatalanischen Kampagne der Jahre 1993-1996 eine von der katalanischen Regierung beschlossene „sprachliche Immersion“: Alle Kinder im schulpflichtigen Alter sollten von Anfang an in diese Sprache „eintauchen“. Ein Aufschrei ging durch halb Spanien. Man führte sich das Schicksal von Tausenden Kindern vor Augen, die in Katalonien lebten, aber aus anderen Gegenden Spaniens stammten und nun den Armen ihrer Mütter entrissen werden sollten, um in den Kessel mit dem dampfenden Einheitsbrei des Katalanischen geworfen zu werden – dieser Sprache eines national gesinnten und ausbeuterischen Bürgertums. Selbst ein linker Schriftsteller wie Antonio Gala reagierte ungewöhnlich heftig: „Meine schwarzäugigen andalusischen Kinder sind nicht in Katalonien, um Katalanisch zu lernen.“
Unabhängig von ihrer Zustimmung zu Pujol und dem Pakt erklärten die Katalanen ihrerseits, daß sie während ihrer gesamten Geschichte vom übrigen Spanien gedemütigt und steuerlich ausgebeutet worden seien. In dieser Atmosphäre fühlte sich die extremistische Gruppe, die die spanische Sprache in Katalonien als Fremdsprache ansieht – obwohl jeder es versteht und mindestens die Hälfte der Bevölkerung es auch spricht – legitimiert, das Ende des sprachlichen Nebeneinanders zugunsten einer Alleinherrschaft des Katalanischen zu fordern. Und selbst Jordi Pujols schärfste Gegner fühlten sich von den Angriffen auf ihren Landespräsidenten getroffen, denn sie hatten erkannt, daß dahinter eine ganz andere Absicht stand.
Zu diesem Zeitpunkt erschien „El Llibre negre de Catalunya“ „(Schwarzbuch Katalonien“) vom Historiker Josep- Maria Ainaud de Lasarte, mit dem vielsagenden Untertitel: „De Felipe V a l'ABC“ („Von Philipp V. bis zu ABC“), das heißt vom Jahr null der Besetzung Kataloniens durch den ersten Bourbonen-König zu Beginn des 18. Jahrhunderts (und damit dem ersten systematischen Angriff auf die katalanische Kultur) bis zu dem ständigen Kreuzzug der Zeitung ABC gegen den „Genozid am Spanischen in Katalonien“. Der Autor hat eine eindrucksvolle Auswahl an Zitaten zusammengetragen, die deutlich machen, welchen Demütigungen das moderne Katalonien ausgesetzt war.
„Barcelona zum Brachland machen“
IM folgenden einige Perlen, die Ainaud de Lasarte zitiert: „Man darf nicht die weniger drastischen und gewaltsamen Maßnahmen wählen, sondern muß vielmehr möglichst energisch und entschieden vorgehen, um im Gedächtnis der Katalanen jede Erinnerung an frühere Verfassungen, Rechte, Sitten und Gebräuche zu löschen.“3
„Mit großer Genugtuung stellen wir fest, daß unsere Brüder und Schwestern gemäß dem Wunsch des Provinzkapitels kastilisch untereinander reden, und wir haben angeordnet, daß sie ihre Unterhaltungen entweder auf lateinisch oder auf kastilisch führen. Der Gebrauch des Katalanischen wird mit Brot und Wasser bestraft.“4
„Der Rektor von La Bisbal befiehlt all seinen Schülern, sich in Zukunft nur noch des Kastilischen zu bedienen, wenn sie sich unterhalten und die Bücher aufsagen. Er weist darauf hin, daß er etwaige Verstöße keineswegs auf die leichte Schulter nehmen wird, denn diejenigen, die sich nicht mit aller Kraft bemühen, dem Gebot unseres verehrten Monarchen nachzukommen, können nicht mit unserer Nachsicht rechnen.“5
In den zweihundert Jahren, die seither vergangen sind, hat sich die Situation kaum verbessert. So werden 1801 Theateraufführungen auf katalanisch untersagt; 1810 wird daran erinnert, daß das frühere katalanische Recht keine Gültigkeit mehr besitzt, und 1857 wird erneut darauf hingewiesen, daß das Katalanische im Unterricht nichts zu suchen habe; 1901 wird darüber diskutiert, ob die Katalanen ihrer öffentlichen Ämter enthoben werden sollen; 1905 veröffentlicht La Correspondencia militar einen Artikel, in dem die „Entfernung“ der katalanischen Abgeordneten und Senatoren aus dem Kongreß gefordert wird; 1915 verkündet der Abgeordnete Royo Villanoba emphatisch: „Niemals, niemals werde ich zulassen, daß Katalonien eine Nation wird!“ 1924 wird der Architekt Antonio Gaudi verhaftet, weil er auf der Straße katalanisch gesprochen hat; 1925 wird ein Bürger eingesperrt, weil er das Abzeichen des FC Barcelona trug; 1932 bezeichnet der Politiker Balbontin das Katalanentum als „puren Quatsch“; 1933 schreien Republikaner in Madrid: „Weg mit dem Statut Kataloniens! Es lebe die Republik!“; 1934 erklärt der monarchistische Abgeordnete Antonio Goicoechea vor dem republikanischen Parlament, daß „die Mehrheit der Katalanen von ihrem Autonomiestatus gerne befreit würden“; 1936, bei Ausbruch des Bürgerkriegs, macht der General Queipo de Llano folgenden Vorschlag: „Machen wir aus Madrid einen Obstgarten, aus Bilbao eine Fabrik und aus Barcelona ein Brachland.“ Und der meist betrunkene General fügt noch hinzu: „Wahre Patrioten zahlen den Katalanen keine Schulden zurück.“
Ist es reiner Zufall, daß einer der ersten, die nach dem Staatsstreich vom 18. Juli 1936 von Francos Truppen erschossen wurden, ein katalanischer Handlungsreisender war? Er war Katalane, Händler – ein übel beleumundeter Beruf –, hieß Suñol und war außerdem Präsident des FC Barcelona...
Über die Franco-Ära braucht man nicht viele Worte zu verlieren, die Erinnerung daran schmerzt die Katalanen noch immer. Doch Ainaud de Lasarte geht auch auf die heutige „Katalanophobie“ ein, die seit 1993 wieder auf die alten Vorwürfe zurückgreift, etwa den des „sprachlichen Purismus auf Kosten des Spanischen“ oder den des Versuchs, „die katalanischsprachigen Kinder ihren spanischsprachigen Eltern zu entfremden“.
Kurz nach der unheiligen Allianz zwischen González und Pujol im Jahr 1993 scheute sich ABC nicht, die folgende Überschrift zu veröffentlichen: „Wie unter Franco, nur umgekehrt. Die Verfolgung des Spanischen in Katalonien.“ Und die Leserbriefe sprachen vom Entsetzen der Bürger angesichts der sprachlichen „Kastration“ des Spanischen in Katalonien. Ich verwende das Wort „Kastration“, weil es etwa in einem Leserbrief auftaucht, den Miguel Sánchez Mazas, ein im übrigen recht bewunderungswürdiger Mann, an ABC schickte: „Dieser grausame, traumatisierende und abstoßende chirurgische Eingriff, den die jetzige katalanische Landesregierung vornimmt, bedeutet eine sprachliche, psychologische, moralische, kulturelle und gesellschaftliche Kastration der edlen spanischsprachigen Gemeinschaft dieser Region und ist der niederträchtigste Anschlag, der auf die spanische Kultur verübt wurde, seit unser Land besteht.“
Als der PP bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 1995 den Sieg davontrug, skandierten seine Anhänger: „Pujol, enano, habla castellano!“ („Pujol, sprich Spanisch, du Zwerg“). Und am Abend des 3. März 1996, als die Wählerumfragen nach dem Urnengang zu den spanischen Parlamentswahlen dem PP die absolute Mehrheit voraussagten, so daß er mit keiner anderen Partei werde koalieren müssen, skandierten dieselben Leute wieder auf den Straßen: „Pujol, enano, habla castellano!“
Doch dann mußten die Meinungsforschungsinstitute ihre Prognosen revidieren; der Sieg der Konservativen wurde immer fraglicher, und bald wurde deutlich, daß der PP ohne die Unterstützung der katalanischen Nationalisten keine Regierung würde bilden können. Und da geschah das Wunder. José Maria Aznar, der Chef des PP, verkündete plötzlich, er spreche Katalanisch und verstehe es darüber hinaus auch – was ja nur logisch ist. Anderen Führungsmitgliedern des PP fiel plötzlich wieder ein, daß sie von Kindesbeinen an Ferien in Katalonien machten. Außerdem stellten sie fest, daß ihr Gesellschaftsmodell und ihr wirtschaftlicher Reformkurs mit dem Konzept des Nationalisten Pujol übereinstimmten.
Ab dem nächsten Tag, dem 4. März, versuchten die Interessenverbände (Konzerne und Banken), die den Pakt zwischen Pujol und González durchgesetzt hatten, daraus einen Pakt Pujol-Aznar zu machen.6 Aber war das nach all den antispanischen und antikatalanischen Hetzkampagnen noch möglich? Wie sollte man den Anhängern Aznars, die prospanisch und antikatalanisch waren, den Kurswechsel plausibel machen? Und wie die prokatalanischen und antispanischen Anhänger Pujols zu einer Meinungsänderung bewegen?
Doch mit etwas Geschick und Kommunikationsfähigkeit konnte es gelingen. Der Wahlsieger Aznar würde seinen Leuten erklären: Wenn wir dieses Abkommen unterzeichnen, regieren wir, wenn nicht, dann bleibt entweder der PSOE an der Macht, oder es gibt Neuwahlen. Und Pujol würde den Seinen die Vorteile eines Abkommens mit den rechten Anhängern des einen Spanien erklären: Katalonien werde dann endlich als „eigenständiges Ganzes“ anerkannt, und beispiellose Konzessionen in Sachen Autonomie seien zu erwarten.
Zwar stimmte die Basis zu, wenn auch ungern, doch ist sich Pujol wohl bewußt, daß er mit diesem Pakt einen Schritt nach rechts getan und sein gaullistisches Image darunter gelitten hat. Denn Pujols Verhältnis zu Katalonien ähnelt dem, das de Gaulle zu Frankreich zu haben versicherte. Pujol ist Katalonien und verkörpert eine „Grandeur“, die er nicht durch eine gewaltsame Trennung erreichen möchte, sondern durch eine wirtschaftliche Entwicklung, die Katalonien in die Nähe der reichsten Länder Europas rückt.
Im nationalistischen Traum Pujols ist Spanien nicht mehr als ein geographischer Nachbar Kataloniens, das sich vollständig in die Europäische Union integrieren will. Als überzeugter Ultraliberaler möchte Pujol den katalanischen Kapitalismus in sein Projekt einbeziehen, ohne sich mit dem spanischen Kapitalismus zu überwerfen, denn beide gehorchen der Dynamik des internationalen Kapitalismus. Seiner Meinung nach muß Katalonien global denken, und zu diesem Zweck fördert er die „Modernisierung“ der katalonischen Wirtschaft nach den Gesetzen des aggressivsten Liberalismus.
Die scharfen Auseinandersetzungen der Jahre 1993 bis 1996 scheinen merkwürdigerweise völlig vergessen. Keiner sorgt sich mehr um die bedauernswerten Spanischsprachigen, die in einer von den Katalanen angeblich ausgelösten Sprachüberflutung ertrinken. Vergessen ist auch das arme Spanien, das durch den potentiellen Reichtum Kataloniens noch ärmer wird. Manche behaupten nun sogar, Pujol sei eigentlich gar nicht so klein, andere bezeichnen ihn als groß und blond... Die Internationale der Volksparteien, der sowohl der PP als auch die Unió democrática (Pujols Partei) angehören, wacht über den Fortbestand des Paktes zwischen spanischen Konservativen und katalanischen Nationalisten, damit die im Vertrag von Maastricht festgelegten Normen besser verteidigt werden können. Den Katalanen fehlt nun nur noch ein Sieg des FC Barcelona bei den nächsten Meisterschaften: Damit hätte der Pakt zwischen Pujol und Aznar eine Chance, die Schwelle zum neuen Jahrtausend zu überschreiten.
dt. Uta Goridis
1 „Moi Franco“, Paris (Seuil) 1994.
2 „Pasionaria und die Sieben Zwerge“, erscheint demnächst in der französischen Übersetzung bei Seuil, Paris.
3 Consejo de Castilla, 1715.
4 Artikel 10 des Besuchs-Dekrets aus dem Jahr 1755 des Provinzials Jorge Caputi vom Äskulap- Orden in Mataró.
5 Anweisung des Rektors von La Bisbal, Francisco Fina, der damit dem von Carlos III. am 23. Juni 1768 erlassenen Dekret von Aranjuez Folge leistet. Es untersagt das Katalanische an den Schulen.
6 Vgl: Jesús Ynfante, „La résurrection de l'Opus Dei en Espagne“, Le Monde diplomatique, Juli 1996.
* Spanischer Journalist, Autor der Krimiserie „Pepe Carvalho“, von „Das Kochbuch von Pepe Carvalho“, „Krieg um Olympia“ u. a. m. (alle erschienen bei rororo).