13.09.1996

Über den Wolken...

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Über den Wolken...

DIE Verbrennung von Industrieabfällen wird von Spezialfirmen oder bestimmten Zementfabriken durchgeführt, die zuweilen in heftiger Konkurrenz zueinander stehen und sich gegenseitig beschuldigen, die europäischen Normen nicht zu respektieren.

Doch dieser Streit erscheint sinnlos: Während man einem hundertstel Gramm Stickstoff pro Kubikmeter oder einem zehntel Nanogramm Dioxin nachspürt, das durch einen speziellen Verbrennungsofen oder eine Zementfabrik erzeugt wird, kann eine Fabrik ganz legal zehn-, ja sogar hundertmal mehr der gleichen Substanzen in die Atmosphäre entlassen.

Es sieht ganz so aus, als zeigten sich die öffentliche Meinung und die Umweltschutzverbände bei den sichtbaren Industrieabfällen oder bei den Autoabgasen viel empfindlicher als gegenüber dem, was unauffällig aus den Fabrikschornsteinen steigt. Im Augenblick gibt es keine europäische Richtlinie, die Grenzwerte für die von der Industrie in die Atmosphäre abgegebenen Abgase festlegt. Schwefeldioxid entsteht vor allem durch industrielle Verbrennung und durch Heizung, während der Verkehr in Frankreich nur zu 13% daran beteiligt ist (dagegen ist es bei Stickoxiden umgekehrt; hier ist der Verkehr zu 75% verantwortlich).

Seit den achtziger Jahren hat die französische Industrie ihren Ausstoß von Schwefeldioxid um 70% vermindert und den von Stickoxiden um 50%, während er beim Verkehr aufgrund der steigenden Zahl von Fahrzeugen und ihrer vermehrten Auslastung um 30 bzw. 27% gestiegen ist.

Was die Dioxine betrifft, so hat die DG XI (Umweltabteilung der EU) nach dem aufsehenerregenden Unfall von Seveso (Juli 1976 in der Lombardei, Norditalien) und der 1982 verabschiedeten, nach Seveso benannten Richtlinie 82/501/CE (zuständig für den Bereich gefahrenträchtiger Industrieproduktionen) in ihrem Programm das Ziel formuliert, innerhalb von zwanzig Jahren die anfallenden Dioxinmengen um 90% gegenüber 1985 zu reduzieren. Doch das Quellenverzeichnis der Chlorverbindungen in Europa ist noch lange nicht fertiggestellt. Die Aufstellung eines verläßlichen Maßnahmenkatalogs und einer dauerhaften Norm in der Europäischen Union stehen vor der Verabschiedung. Für die chemische und die metallverarbeitende Industrie ist die Festlegung akzeptabler Grenzwerte ein bedeutender finanzieller Faktor. Sie variieren je nach Gutachter zwischen 1 und 1000. Tatsächlich werden die Auswirkungen von Dioxin auf Umwelt und Gesundheit je nach Land auf sehr unterschiedliche Weise bewertet, denn nicht weniger als drei widersprüchliche Berichte sind zu diesem Thema zwischen 1994 und 1995 erschienen: Der erste stammt von der amerikanischen Umweltschutzagentur (EPA) und ist der alarmierendste, ein weiterer von Greenpeace klingt auch eher pessimistisch, und dann gibt es da noch eine beschwichtigende Studie der französischen Akademie der Wissenschaften...

Le Monde diplomatique vom 13.09.1996