Pax americana
Von
WILLIAM B.
QUANDT *
LÄNGST dürften die Kurden jedes Vertrauen in die Versprechungen fremder Mächte verloren haben: Fünf Jahre lang hatten die USA versichert, daß den Kurden eine Schutzzone im Nordirak zustehe, nun scheint man sie der Willkür Saddam Husseins und der benachbarten Staaten überlassen zu wollen.
Das passiert nicht zum ersten Mal. Bereits 1975 hatten der damalige US-Außenminister Kissinger und der Schah von Persien die Kurden zunächst zur Auflehnung gegen das Regime in Bagdad gedrängt, weil sie verhindern wollten, daß Syrien einen mächtigen Verbündeten gegen Ägypten findet, um ihnen dann von einem Tag auf den anderen die Unterstützung zu entziehen. 1990 rief der amerikanische Präsident Bush die Bevölkerung des Irak auf, sich gegen Saddam Hussein zu erheben, aber als es im März 1991 tatsächlich zu Aufständen kam, konnten die Millionen Flüchtlinge auf keine Hilfe rechnen. Sie mußten sich in die Türkei und in den Iran retten. Die jüngste Neuauflage dieser Tragödie wird vielleicht einen langsameren und weniger gewaltsamen Verlauf nehmen, aber letztlich wird das Regime in Bagdad die Kontrolle über die Kurdengebiete zurückgewinnen.
Innerhalb weniger Jahre ist die Vision einer Pax americana im Nahen Osten verblaßt, und die beiden Grundpfeiler der amerikanischen Politik – der arabisch- israelische „Friedensprozeß“ und die Strategie der „doppelten Eindämmung“ (des Iran wie des Irak) – haben ihre Tragfähigkeit verloren.1 Allerdings war das Ziel eines „amerikanischen Friedens“ nie sonderlich realistisch. Die USA sind mit der angestrebten Großmachtstellung in dieser Region überfordert: Weder stößt das Thema in der amerikanischen Öffentlichkeit auf Begeisterung, noch ist der Kongreß bereit, die Zeche solcher außenpolitischen Ambitionen zu zahlen. Das Vietnam-Trauma wirkt nach: Solange die Sicherheit der Vereinigten Staaten nicht unmittelbar gefährdet ist, will niemand den möglichen Tod „eigener Leute“ verantworten.
Auch im Frühjahr 1991 fand die Idee, gegen Bagdad vorzugehen, keine ungeteilte Unterstützung, aber damals bestand immerhin eine zeitweilig stabile Allianz mit einigen Regionalmächten, die entschlossen waren, gemeinsam mit den USA den Irak in die Schranken zu weisen, den Kurden Schutzgarantien zu gewähren und eine umfassende Friedensregelung zwischen der arabischen Welt und Israel anzustreben. Was ist seitdem geschehen?
Für die augenblickliche Lage sind nicht allein die USA verantwortlich. Hauptsächlich die innenpolitischen Entwicklungen einzelner Länder der Region haben bewirkt, daß heute die Koalition der Gegner Saddam Husseins und der Befürworter eines Ausgleichs mit Israel zerbrochen ist: Die Türkei hat eine eher versöhnliche Haltung gegenüber dem Irak eingenommen, Israel hat sich in den Friedensverhandlungen kompromißlos gezeigt, und Saudi-Arabien schreckt vor einer allzu offenen militärischen Zusammenarbeit mit den USA zurück. Dennoch hätte ein entschiedeneres Eintreten der USA für den Friedensprozeß, vor allem in dem entscheidenden Zeitraum von 1992 bis 1995, sicher dazu beitragen können, die Arbeitspartei in Israel an der Macht zu halten und das Vertrauen der gemäßigten arabischen Machthaber zu stärken.
Derzeit sind von den USA jedenfalls keine großen Initiativen zu erwarten. Im Jahr der Präsidentschaftswahlen folgt die Außenpolitik dem Prinzip, nichts zu riskieren, Konflikte zu vermeiden und zugleich Stärke zu zeigen. Also behandelt man den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu wie einen Verfechter des Friedensprozesses und ignoriert geflissentlich die Pläne für den Ausbau der jüdischen Siedlungen. Statt dessen wird ein großes Säbelrasseln um das dankbarere Thema „Terrorismus“ veranstaltet.
Saddam Hussein gegenüber scheinen die USA allenfalls zu ein paar Ohrfeigen bereit, nicht aber zu durchgreifenden Maßnahmen, um ihn an der Terrorisierung der eigenen Bevölkerung zu hindern. Zwar gibt es kritische Stimmen, die diese Haltung der Clinton-Regierung mißbilligen und ein entschlossenes Vorgehen fordern, vor allem gegen die „Republikanergarde“, auf die sich die Macht des irakischen Präsidenten gründet; und zweifellos könnte das größere Wirkung zeigen als ein paar Raketenangriffe auf Ziele im Süden des Landes. Aber solche Strafaktionen wären mit dem Risiko eigener Verluste verbunden, und die einstigen Verbündeten aus der Zeit der „Operation Wüstensturm“ scheinen ihrerseits das Interesse an gemeinsamen Aktionen dieser Art verloren zu haben.
Was Clinton zu riskieren bereit ist, wird also vor Ort nicht allzuviel bewirken. Möglicherweise wird es weitere Angriffe mit Bomben und Marschflugkörpern geben, aber diese werden in erster Linie zur Folge haben, daß in mehreren der arabischen Länder die Feindseligkeit gegenüber Amerika wächst. Wenn Saddam Hussein klug ist, entzieht er sich weiterem Druck, indem er dem amerikanischen Präsidenten bei seinen Aktionen im Südirak die Siegerpose zugesteht, während er selbst sich wieder des Nordens bemächtigt.
Wollten die USA ihre Führungsrolle in der Region zurückgewinnen, müßten sie als erstes wirksame Schläge gegen Saddam Husseins Unterdrückungsapparat führen und dabei den Irakern unmißverständlich zu verstehen geben, daß die Integrität ihres Landes nicht in Frage gestellt werden soll. Als zweites müßten die USA inoffiziell den Dialog mit dem Iran über Fragen der Sicherheit in der Region suchen. Und als drittes müßte der arabisch-israelische Friedensprozeß nachdrücklich wieder in Gang gebracht werden, vor allem was die noch offenen Themenbereiche angeht. Eine solche Politik könnte der amerikanischen Regierung, die Clinton im Falle seiner Wiederwahl beruft, wieder Glaubwürdigkeit verschaffen.
Jede politische Neuorientierung bedarf, um wirkungsvoll zu sein, einer gesunden Portion Realismus: Die amerikanische Regierung muß zum Beispiel begreifen, daß sie den Iran auf Dauer nicht übergehen kann und daß nicht alle Probleme der Region ihren Ursprung in Teheran haben. Mit Benjamin Netanjahu wird man ein deutliches Wort reden müssen – vor allem was die Siedlungspolitik und den verzögerten Teilabzug aus Hebron betrifft; falls dies, wie zu erwarten, auf Widerstand stößt, sollten auch ernstere Druckmittel erwogen werden. Der Türkei gegenüber, die durch die Fortdauer der Sanktionen gegen den Irak in eine schwierige wirtschaftliche Lage geraten dürfte, muß überzeugend dargelegt werden, daß eine Zusammenarbeit mit dem Westen und eine engere wirtschaftliche Einbindung in die EU in ihrem eigenen Interesse liegen. Und Saudi-Arabien darf nicht länger mit Samthandschuhen angefaßt werden, nur weil es über Ölvorkommen verfügt. Insgesamt gilt es also, daß sich die amerikanische Politik auf die beiden großen Themen konzentriert, in denen die eigenen Interessen berührt sind: den Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt und die Sicherheit der Golfregion.
Allerdings stehen die Chancen für einen solchen politischen Kurswechsel nicht gut. Washington ist offenbar gewillt, weiterhin eine Linie zu verfolgen, die den Kurden die ganze Last der gescheiterten amerikanischen Irak-Politik aufbürdet. In den Worten von Nicolas Burns, dem Sprecher des State Department: „Fünf Jahre lang haben wir den Kurden alle Möglichkeiten gelassen. Aber sie haben sie nicht genutzt und die historische Chance verspielt, die sich dem kurdischen Volk geboten hatte.“2 Indem sie jeden Anflug von Selbstkritik vermissen lassen, laufen die Verantwortlichen der amerikanischen Außenpolitik Gefahr, auch aus ihren jüngsten Fehlern nichts zu lernen; so wird es ihnen kaum gelingen, sich erfolgreich auf die neuen Gegebenheiten im Nahen Osten einzustellen. Man sieht bereits, wie wenig von dem angeblichen Erfolg der „Operation Wüstensturm“ geblieben ist.
dt. Edgar Peinelt
1 Vgl. Alain Gresh, „USA – Weltmacht mit beschränkter Haftung“, Le Monde diplomatique, Juli 1996.
2 International Herald Tribune, 12. September 1996.
* Ehemaliges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, Professor an der Virginia State University, Autor von „Peace Process. American Policy and the Arab-Israeli Conflict“, Washington, DC, 1993.