11.10.1996

Geschlechterkampf im Kino

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Geschlechterkampf im Kino

ES gilt ein neues Buch zu preisen, das auf originelle Weise die soziokulturelle Analyse des Geschlechterkonflikts vertieft1, indem es auf einen bisher weitgehend unterbelichteten Aspekt der Filmkunst scharfstellt, über die wir schon alles zu wissen glaubten. Dazu werden wir mitgenommen auf eine Reise vorbei an nahezu hundertachtzig „Meilensteinen der Filmgeschichte“, darunter viele, denen wir einen festen Platz in der Ehrenloge unserer Erinnerung eingeräumt hatten. Die wir aber bislang in aller Unschuld nur dafür: für Meisterwerke, gehalten hatten und deren zeitgeschichtliche Bezüge uns in einer Weise unbestimmt erschienen, daß wir, was uns einst verzauberte, nicht mit unnützer Vernünftelei belasten mochten. Doch ausgehend von dem richtigen Prinzip, daß filmische Darstellungen „in ihrer Produktion und Rezeption eine kollektive kulturelle Hervorbringung sind“ und daß sie „in ihrer spezifischen Ausdrucksweise sehr komplexe und unterschiedliche Codes“ verwenden, lassen die Autoren uns eine eigentümliche Welt des kollektiven Imaginären entdecken, wie sie nach den Vorstellungen von Regisseuren, Produzenten und Schauspielern geschaffen wurde.

Was erfahren wir? Schlicht das, worüber Feministinnen sich seit Jahrzehnten die Seele aus dem Leib reden: Geschichte ist ein Prozeß, der nicht nur im öffentlichen Bereich seinen Ort hat, sondern sich in dieser „Mischung“ abspielt, die in den kommunizierenden Röhren zwischen öffentlichem und privatem Bereich entsteht, – und der auf allen Ebenen von patriarchalischen Strukturen geprägt ist. So erleben wir die Verzweiflung eines geschlagenen Mannes mit, dessen Identitätskrise die ganze Leinwand ausfüllt („Panik“, 1946). Schwach und großzügig, liebend und ausgebeutet zugleich, wird er zu einem prädestinierten Opfer der Frauen. In „Eine Frau im Sattel“ (1950) von Yves Allégret, dessen schwarzer Realismus ein Symbol dieses Geschlechterkampfes ist, begegnen wir dem tüchtigen Blier, der von einem monströsen „Pärchen“ aus Mutter und Tochter (Jeanne Merken und Simone Signoret) manipuliert und ausgenommen wird.

Die historische Niederlage von 1940 hat die Beziehungen zwischen den Geschlechtern verändert. Sie gehorchen von da an grundsätzlich einer Logik, die auf elementarer Frauenfeindlichkeit aufbaut. Zu diesem Zweck verwendet die Filmkunst altbekannte Zutaten. Der Herrschaft unheilbringender Biester (Ginette Leclerc in „Die Frau des Bäckers“, 1938, oder Simone Signoret in „Eine Frau im Sattel“) und den untreuen Ehefrauen von Soldatenmännern oder Gefangenen („Stürmische Jugend“ von Autant-Lara, 1947) wird das Urteil gesprochen und dem stereotypen Frauenbild des Vichy-Regimes der Weg geebnet: Die Frau als Mutter, Krankenschwester und Erlöserin, das „Ewig Weibliche“ in dem Sinn, wie Francine Muel-Dreyfus es wunderbar herausgearbeitet hat.2.

Die Frauenfeindlichkeit erfüllt bis ins letzte ihre exemplarische Funktion: Die Frau, die ihren Wünschen nachgeht, die eigenständige Frau (Edwige Feuillère als Gräfin von Langeais, 1942) und die Frau als Hure werden abgestraft. Und zwar alle. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme — die Figur der Madeleine Renaud in „Sprung in die Wolken“ von Jean Grémillon (1943).

Nur leider versuchen die Autoren mit aller Macht, ihre Analysen auf eine traditionelle Klassentheorie zu gründen und davon ausgehend die Geschlechterproblematik mit der Differenzierung der sozioökonomischen Strukturen in eins zu setzen. Diese pseudomarxistische Interpretation, die durch die Herrschaft eines Geschlechts über das andere (innerhalb einer und derselben sozioökonomischen Klasse) widerlegt wird, ist längst überholt. Die ganz eigene Qualität der Geschlechterverhältnisse überschreitet die Grenzen solch archaischer Gegensätze, auch wenn diese unbestreitbar ihre Auswirkungen verstärken. Auf diesem Gebiet müssen wir uns mit der Asymmetrie des analytischen Rasters abfinden. Auch wenn diese Besonderheit zur Komplexität der Angelegenheit wesentlich beiträgt.

Zum Glück verwenden Noäl Burch und Geneviève Sellier diesen Parameter nur selten, und wir werden neugierig gemacht, uns diese Meisterwerke in den Kinematheken noch einmal anzusehen. Doch wird in unsere neuerliche Filmerfahrung die Lektüre dieses Buchs – und die des hervorragenden Vorworts der Historikerin Michelle Perrot – eingehen, und wir werden sie vielleicht mit ganz anderen Augen sehen ...

GISÈLE HALIMI

dt. Miriam Lang

1 Noäl Burch und Geneviève Sellier, „La Drôle de guerre des sexes du cinéma français (1930-1956)“, Paris (Nathan Université) 1996, 339 Seiten, 159 Francs.

2 Francine Muel-Dreyfus, „Vichy et l'éternel féminin“, Paris (Seuil) 1996, 384 Seiten, 160 Francs.

Le Monde diplomatique vom 11.10.1996, von Gisele Halini