Das krumme Objekt der Begierde
DIE Banane, die meisterzeugte und meistkonsumierte Frucht der Welt, steht derzeit im Mittelpunkt eines Handelskrieges. Konfliktparteien sind einerseits die von Washington unterstützten US-amerikanischen Großkonzerne, andererseits eine Europäische Union, die immer weniger in der Lage ist, eine einheitliche EU-Politik zu verteidigen, da sie ständig von den divergierenden Interessen ihrer Mitglieder und Partnerländer untergraben wird. Eine Offensive entsprechend den Grundsätzen des gerechten Handels ist dringend vonnöten.
Von GHISLAIN LAPORTE *
Wer hätte gedacht, daß ein französischer Premierminister eigenhändig eine Bananenstaude abhacken und mit dieser Geste bekräftigen würde, daß diese Früchte genau wie der Teepunsch und die Tropensonne zum kulturellen Erbe Europas gehören? Bei einem Staatsbesuch auf den französischen Antillen erklärte Alain Juppé am 14. April 1996, die Regierung wolle sich „im Schulterschluß mit ihren Verbündeten gegen den Vorschlag wenden“, mit dem der EU-Agrarkommissar Franz Fischler das Einfuhrkontingent für die Dollarbananen der multinationalen Konzerne erhöhen will.
Jährlich werden etwa 52 Millionen Tonnen Bananen für den menschlichen Verzehr und 27 Millionen Tonnen Futterbananen erzeugt. Während die größten Produzenten von Speisebananen, Brasilien und Indien, ihre gesamte Ernte selbst verbrauchen, ist um die etwa 11 Millionen Tonnen Exportbananen ein immer schärferer Handelskrieg entbrannt. Dies betrifft insbesondere die EU, die als Abnehmer von jährlich 3,9 Millionen Tonnen zu den wichtigsten und einträglichsten Märkten gehört: 850000 Tonnen stammen aus EU- Produktion – von den Kanarischen Inseln (420000 Tonnen), aus Martinique (220000 Tonnen) und Guadeloupe (150000 Tonnen) –, 857000 Tonnen aus den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raums – den sogenannten AKP-Ländern, die Europa durch das Lomé-Abkommen verbunden sind –, und 2,5 Millionen Tonnen aus lateinamerikanischen Ländern, deren sogenannte Dollarbananen von vorwiegend US-amerikanischen Firmen vermarktet werden. Zwei Drittel dieser 11 Millionen Tonnen werden von drei multinationalen Konzernen vertrieben, die den gesamten Wirtschaftszweig kontrollieren: eine mexikanische (Del Monte) und zwei US-amerikanische Gesellschaften, United Brands Company (Chiquita) und Castel & Cooke (Dole).
1957 verzögerte sich die Unterzeichnung des Vertrags von Rom wegen der Bananenfrage um einen Tag. Als Ausgleich zu einer Einfuhrbegünstigung für Bananen aus seinen ehemaligen Kolonien mußte Frankreich dem Bananengroßverbraucher Deutschland die zollfreie Einfuhr lateinamerikanischer Bananen gestatten. Mit dieser Klausel schützte die Bundesrepublik Deutschland ihre Investitionen in Südamerika und öffnete gleichzeitig den amerikanischen Multis den europäischen Markt.
Zu einer Zeit, als die USA die Diktaturen der „Bananenrepubliken“ militärisch unterstützten – deren Produktion durch die gnadenlose Ausbeutung örtlicher Arbeitskräfte, oft unter dem Schutz bewaffneter Einheiten, sichergestellt wurde –, hatten diese Multis in großem Umfang in die lateinamerikanischen Plantagen investiert. Jede Bedrohung der unmittelbaren Interessen US-amerikanischer Firmen wurde daher zum Vorwand für massive Interventionen; 1954 etwa hatte Washington den Staatsstreich in Guatemala angezettelt, mit dem die demokratisch gewählte Regierung gestürzt wurde, die sich die Verstaatlichung der Plantagen hatte zuschulden kommen lassen.
Die Frage der Dollarbananen vergiftet noch immer die Beziehungen zwischen den Regierungen Nord- und Südeuropas.1 Bis 1993 wurden diese Bananen zollfrei über die Vertriebsnetze US-amerikanischer Gesellschaften eingeführt, die deren Erzeugung, Transport und Reifung bis zum Verkauf kontrollieren. Durch diese Zollbefreiung konnten die besagten Firmen gigantische Gewinne erzielen, da die Frucht in Lateinamerika zu sehr geringen Kosten erzeugt wurde. Die Schaffung eines gemeinsamen Marktes bot der Europäischen Kommission die Gelegenheit, eine neue Vereinbarung auszuarbeiten: die Gemeinsame Marktordnung für Bananen (GMOB), die am 1. Januar 1993 in Kraft trat.2
Zwar stellt die GMOB einen der seltenen Fälle dar, in denen es der Europäischen Union gelungen ist, ihre Strategie durchzusetzen, doch sah sich die Kommission sofort von zwei Seiten unter Beschuß genommen: von den US-amerikanischen Multis, die sich auf die Erzeugerländer Lateinamerikas beriefen, und von den europäischen Haupteinfuhrländern für Dollarbananen: von Deutschland und den Beneluxstaaten.
Brüsseler Kommission unter Druck
IM April 1994 beendete das Abkommen von Marrakesch die Uruguay-Runde der Gatt-Verhandlungen und läutete die Bildung der Welthandelsorganisation WTO ein, die an die Stelle des Gatt treten sollte. Auf europäischer Seite zeigten sich erste Anzeichen von Schwäche: Die Union unterzeichnete ein Rahmenabkommen mit jenen vier Ländern, die im Rahmen des Gatt Beschwerde eingereicht hatten: Kolumbien, Costa Rica, Venezuela und Nicaragua. Dabei handelte es sich in Wirklichkeit um ein Streitverfahren, ein „Panel“, das für die amerikanischen Multis angestrengt wurde (da die USA keine Bananenerzeuger sind, können sie nicht selbst eingreifen).
Auf der Grundlage dieser Kompromißvereinbarung führten die Regierungen dieser Länder Ausfuhrnachweise für Bananen ein. Dies hatte den doppelten Vorteil, daß sie ihren Handel mit der Alten Welt fortsetzen und gleichzeitig die Macht der Multis, die zuvor die alleinige Kontrolle über die Exporte besaßen, einschränken konnten. Parallel dazu erhöhte die EU das Zollkontingent von 2 Millionen auf 2,2 Millionen Tonnen.3
Trotz dieser Erhöhung fühlten sich die Multis benachteiligt. Am 2. September 1994 reichten der mächtigste der drei Konzerne, Chiquita Brands, und Hawaii Banana beim amerikanischen Handelsbeauftragten Mickey Kantor Klage ein. Gestützt auf Artikel 30 P des amerikanischen Handelsgesetzes beschuldigten sie die Europäische Union, die Dollarbananenquote zu beschneiden, drohten Vergeltungsmaßnahmen an und kündigten die bestehenden Abkommen mit den vier Unterzeichnerstaaten. Diese Beschuldigung mutet etwas surrealistisch an, wenn man weiß, daß umgekehrt die USA nur Dollarbananen ins Land lassen.
1995 bestätigte übrigens ein Bericht, daß ausschließlich Chiquita Brands seit der Einführung der GMOB 1993 einen deutlichen Rückgang ihrer Marktanteile zu verzeichnen hatte. Die beiden anderen, Dole und Del Monte, konnten ihre Marktposition dagegen ausbauen.
Beobachter wiesen auf die enge Verbindung zwischen Robert Dole und Chiquita-Präsident Carl Lindner hin, der den republikanischen Mehrheitsführer im Kongreß beim Wahlkampf um die Präsidentschaft großzügig unterstützt hat (siehe nebenstehenden Kasten). Doch im Dezember 1995 wurde Präsident Bill Clinton selbst bei den Regierungen Kolumbiens und Costa Ricas vorstellig, damit diese den mit der Europäischen Union geschlossenen Kompromiß aufkündigen.
Angesichts dieser wiederholten Attacken betonten sowohl Kolumbien (wo die Bananenproduktion als eine „die nationale Sicherheit betreffende Angelegenheit“ eingestuft wird) als auch Costa Rica (wo die Banane mit mehr als 20 Prozent der wichtigste Exportartikel ist), daß die im Rahmen einer überregionalen Zusammenarbeit geschlossenen Abkommen und die Anstrengungen bei der Bekämpfung des Drogenhandels ihre soziale Lage in Mitleidenschaft gezogen hätten. Beide Länder bekräftigten jedoch, sie wollten die bei der Unterzeichnung des Abkommens von Marrakesch vertretene Position beibehalten.
In jüngerer Zeit haben sich die USA mit mehreren lateinamerikanischen Erzeugerländern zusammengeschlossen, die das Abkommen von Marrakesch nicht unterzeichnet haben (Ecuador, Mexiko, Honduras und Guatemala), um die GMOB erneut in Frage zu stellen. So wurde am 8. Mai 1996 im Rahmen der WTO ein Ausschuß aus drei „unabhängigen“ Richtern eingesetzt. Da Washington damit droht, sich aus der Organisation zurückzuziehen, wenn seine Interessen nicht hinreichend geschützt werden, ist es mit der Objektivität der Beschlüsse, die dieser Ausschuß fassen wird, wohl nicht weit her.
Die Multis haben beschlossen – neben ihrer Lobbyarbeit in amerikanischen Politikerkreisen und bei bestimmten Regierungen Nordeuropas sowie dem Druck auf die Erzeugerländer Lateinamerikas –, mit allen Mitteln zu versuchen, den europäischen Markt zu erobern. Dies zeigte sich im letzten Vierteljahr 1995, als der Markt durch massive Einfuhren von Dollarbananen in wenigen Wochen so sehr destabilisiert wurde, daß die Preise einen historischen Tiefstand erreichten; die marktbeherrschenden Firmen stellten sich dank ihres finanziellen Rückhalts jedoch problemlos auf diese Situation ein. Es drängt sich die Frage auf, warum die Europäische Union nicht eher auf diese Offensive reagiert hat.
Im selben Zeitraum widersetzten sich die EU-Produzenten und AKP-Länder dem Vorschlag des europäischen Agrarkommissars Franz Fischler, Schweden, Finnland und Österreich, die erst seit kurzem der EU angehören, eine zusätzliche Quote von 353000 Tonnen Dollarbananen einzuräumen. Diese Maßnahme wurde zwar noch nicht verabschiedet, ist aber bereits in Kraft, obwohl die Quote gemessen am tatsächlichen Verbrauch der drei Länder viel zu hoch liegt. Darüber hinaus tragen zur Übersättigung des europäischen Marktes umfangreiche Betrügereien bei, die auf mehr als 150000 Tonnen jährlich geschätzt werden und durch eine Überfrachtung der Dollarbananenkartons aus Lateinamerika um 5 bis 10 Prozent zustande kommen.
Die Erzeugerländer der EU sowie der AKP versuchen der ökonomischen und politischen Macht der amerikanischen Multis auch dadurch zu trotzen, daß sie die Produktionsbedingungen in Lateinamerika anprangern. Sie fordern die Anwendung von Grundsätzen des gerechten Handels, nach denen nur solche Produzenten Zugang zum europäischen Markt erhalten sollen, die die internationalen Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen und Umweltschutz respektieren. Die darin aufgeführten Bestimmungen werden in Lateinamerika allerdings nur selten eingehalten; um nur ein Beispiel zu nennen, werden die Plantagen mit hochgefährlichen Fungiziden besprüht, durch die die dort arbeitenden Kinder erblinden.4
In diesen wie in vielen anderen Belangen ist die Entschlossenheit Europas gefordert, eine politische Linie zu verfolgen, die sich von dem geballten Druck „unserer amerikanischen Freunde“ nicht beirren läßt.
dt. Sabine Scheidemann
1 Siehe Marie-Claude Céleste, „Les Ûpres enjeux du marché de la banane“, Le Monde diplomatique, Juli 1994.
2 Mit der GMOB werden die Einfuhren gemäß der drei wichtigsten Herkunftsgebiete aufgeteilt: in solche aus Ländern der EU, der AKP und Lateinamerikas. Auf lateinamerikanische Bananen werden Zölle in Höhe von 100 ECU pro Tonne für die ersten 2 Millionen Tonnen und von 850 ECU für jede weitere Tonne erhoben. AKP-Bananen werden zollfrei eingeführt. Bananen aus der EU erhalten wegen ihrer sehr viel höheren Gestehungskosten eine Ausgleichsbeihilfe.
3 Außerdem werden die dabei anfallenden Zölle von 100 auf 75 ECU pro Tonne gesenkt.
4 Euroban, eine Gruppe von fünfzehn regierungsunabhängigen europäischen Organisationen, hat einen „Vorschlag für die Zuweisung einer Quote für gerechten Bananenhandel“ ausgearbeitet und übt Druck auf die Gemeinschaft aus, damit diese auf die Einhaltung sozialer Mindestvorschriften achtet.
* Journalist