11.10.1996

Undogmatische Liebe

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Undogmatische Liebe

IM Rahmen von „Vue sur les docs“, dem siebten internationalen Dokumentarfilmfestival von Marseille1, wurde erstmals „Mariages mixtes en Terre sainte“ vorgestellt, ein im Sommer 1995 von dem palästinensischen Regisseur Michel Khleifi in Palästina und Israel gedrehter Dokumentarfilm. Anhand einer Reihe von Doppelporträts, in denen sich palästinensisch-israelische Paare über den „Generationenverrat“ Gedanken machen, greift der Film die Frage der Mischehen auf diesem zerrissenen Stück Erde auf. Kann man dort außerhalb seiner eigenen Gemeinschaft leben? Die Paare, die diesen Weg gewählt haben, bezahlen einen hohen Preis: Sie erhalten Todesdrohungen, werden aus der Familie ausgeschlossen, gelten ihrer Ursprungsgemeinschaft als Schandfleck. Doch der Film von Michel Khleifi sprengt den bloß politischen Rahmen: Jenseits der Voreingenommenheiten und rassistischen Vorurteile, jenseits der altüberlieferten Bräuche, die beide Seiten mit einem Netz von Verboten umfangen, läßt er die Gefühle seiner Gesprächspartner zu Wort kommen und ermöglicht dem Zuschauer einen Zugang zur alltäglichen Wirklichkeit des Landes.

Die Aussagen von Vertretern der drei Religionen wechseln sich mit den Erzählungen gemischter Paare ab. Dabei wird erkennbar, welch enormer Druck auf der Bevölkerung lastet, ein soziales Gefüge zu erhalten, das ganz an einer politischen und nationalen Identität ausgerichtet ist. Im Verlauf der Erzählungen wird jedoch auch ersichtlich, wie in Mischehen Dogmen und nationalistischer Haß ihren Einfluß verlieren.

Nach dem Film „Conte des trois diamants“ richtet Michel Khleifi diesmal seine Kamera auf einen Aspekt der Wirklichkeit, der zwar noch die Ausnahme bildet, aber immer mehr an Boden gewinnt. Zumal es sich um Paare aus verschiedenen Generationen und sozialen Schichten handelt. Da sind zum Beispiel Khaled, ein junger palästinensischer Musiker, und Rama, seine akademisch gebildete israelische Freundin. Oder aber ein palästinensischer Busfahrer, Vater von sieben Kindern, und seine zweite Ehefrau, eine aschkenasische Jüdin (europäischer Herkunft). „Die Religion hat sich niemals mit dem Liebesverhältnis abgefunden; also hat sie die Hochzeit geschaffen“, erklärt eine der Personen im Film. Fast ausnahmslos äußern sie den Wunsch, nach Trennung von Kirche und Staat.

Die Zielsetzung dieses Films definiert der Regisseur selbst folgendermaßen: „Die Geschichte dieser Paare den religiösen Vorschriften der drei monotheistischen Glaubensrichtungen gegenüberstellen, um aufzuzeigen, wie dringend im Nahen Osten ein bürgerliches Eherecht benötigt wird, das den einzelnen von allen religiösen Zwängen befreit und Frauen wie Männern die Freiheit der Wahl läßt.“

Michel Khleifi, in Nazareth geboren und 1987 bei den Filmfestspielen in Cannes für seinen Film „Noces en Galilée“ mit dem Prix de la critique internationale ausgezeichnet, will seinen eigenen Worten zufolge mit „Mariages mixtes en Terre sainte“ „das Individuum gegenüber der religiösen Institution verteidigen“. Der Wunsch des einzelnen und das Gesetz stehen immer in Widerspruch zueinander. Der Film ist eine Variation über das Unbehagen am Leben im Nahen Osten.

DOMINIQUE GODRÊCHE

dt. Miriam Lang

1 Das Filmfestival fand vom 17. bis 22. Juni 1996 statt.

Le Monde diplomatique vom 11.10.1996, von Dominique Godreche