11.10.1996

Presse, Publicity und Pressure-groups

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Presse, Publicity und Pressure-groups

Von

SUREN

ERKMAN *

IM Jahre 1988 erfuhr die Öffentlichkeit erstmals von den Risiken, die der Treibhauseffekt mit sich bringt. Warum? Gab es in diesem Jahr eine wissenschaftliche Entdeckung zu diesem Thema? Oder gar einen plötzlichen Temperaturanstieg? Keineswegs. Doch es gab in den US-amerikanischen Medien eine Unmenge von Artikeln über die besonders lange sommerliche Trockenheit, die vorschnell mit dem Treibhauseffekt in Verbindung gebracht wurde.1

Im September 1995 wartete die New York Times mit einer angeblichen Enthüllung auf: Ein vom International Panel on Climate Change (IPCC) vorbereiteter Bericht erwähnte ausdrücklich die Möglichkeit einer Klimabeeinflussung durch den Menschen. Zitiert wurde ein als halbvertraulich ausgegebenes, im Internet ausfindig gemachtes Dokument.2 In Wirklichkeit war der Text seit langem im Sekretariat des IPCC frei zugänglich, dennoch wurde die „Exklusivmeldung“ von zahlreichen Medien aufgegriffen. Der 1996 in drei Bänden veröffentlichte vollständige Bericht des IPCC hingegen fand kaum Beachtung – das Interesse war ein Strohfeuer gewesen.

Diese Beispiele berühren die grundsätzliche Problematik der wissenschaftlichen und technischen Informationspolitik.3 In Gesellschaften, in denen die technologische Entwicklung zunehmend der Politik die Entscheidungen aufzwingt, erfüllen die spezialisierten Journalisten eine doppelte Funktion: Sie müssen Forschungsergebnisse allgemeinverständlich darstellen können – das gilt gleichermaßen für die Wissenschaftler selbst – und gleichzeitig unabhängig und ausgewogen die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Implikationen vermitteln können. Auf diese Weise werden die Tätigkeiten der wissenschaftlichen Forschung einem breiten Publikum zur Kenntnis gebracht. Der Wissenschaftsjournalismus präsentiert, interpretiert und kommentiert, und macht die Wissenschaft so zum Gegenstand einer demokratischen Auseinandersetzung, das heißt im Idealfall: einer von gleichberechtigten Positionen aus geführten Kontroverse unterschiedlicher Standpunkte.

Doch auch auf diesem Gebiet stiften die Medien eher Verwirrung, als daß sie der Öffentlichkeit helfen würden, sich eine klare Meinung zu bilden – ein Phänomen, das nur wenig mit der fachlichen Kompetenz der jeweiligen Journalisten zu tun haben dürfte. Zu Teilen beruht es sicher auf den sozialen und wirtschaftlichen Zwängen der Branche: Jagd nach Publicity, Sensationsgier. Entscheidender jedoch sind die kulturellen und institutionellen Zwänge, die verborgener, dafür jedoch um so nachhaltiger wirken. Sie rühren daher, daß eine kleine Zahl von Informationskanälen bei der Verbreitung von Forschungsergebnissen die Fäden in der Hand hält.

Die wöchentlich erscheinenden Wissenschaftsjournale Science (Washington) und Nature (London) – denen sich auf medizinischem Gebiet das New England Journal of Medicine (Boston) und The Lancet (London) zugesellen – legen fest, welche Themen die breite Weltöffentlichkeit erreichen. Sie lassen den Redaktionen jeweils im voraus eine detaillierte Inhaltsübersicht der nächsten Ausgabe zukommen und sichern die Gebrauchsüberlassung gewisser Artikel zu. Meist jedoch begnügen sich die großen Medien damit, die Themen von Science oder Nature in oft lückenhafter und ungenauer Weise so weiterzugeben, wie sie ihnen von den Nachrichtenagenturen und einer Handvoll US-amerikanischer Blätter übermittelt werden: The New York Times, The Washington Post, Time und Newsweek. In dieser Reihenfolge stellt sich grob die Hierarchie des weltweiten Informationsflusses dar.

Die Konditionierung reicht allerdings noch weiter. Wissenschaftliche Themen werden häufig als eine Art Entwicklungsroman des menschlichen Geistes aufbereitet, der unaufhaltsam der Vernunft zustrebt, oder als Heldenepos über Gelehrte, die auszogen, die Wahrheit zu suchen. Wenn nicht umgekehrte Akzente gesetzt und Wissenschaft und Technologie (vor allem letztere) verteufelt werden. Man erwartet von den Journalisten, daß sie für die gerechte Sache des technischen Fortschritts eintreten (oder im Gegenteil für die der Gegner dieses Fortschritts). Den wissenschaftlichen Einrichtungen erscheint es als eine Selbstverständlichkeit, daß die Medien für die Ausweitung von Forschungsmitteln eintreten, Begeisterung für die großen Technologieprogramme zeigen und sich für die wissenschaftlichen Institute stark machen, die permanent von kurzsichtigen Politikern, bornierten Militärs sowie einer emotionsgeladenen Öffentlichkeit attackiert werden.

Kämpferischer Optimismus

DER kämpferische Optimismus, mit dem die meisten technologischen Großprojekte präsentiert werden, hat nachhaltige politische und finanzielle Konsequenzen. So verdankt es sich weitgehend den Medien, daß der „Rubbiatron“ – Spitzname für die in den fünfziger Jahren erdachte Variante eines mit Teilchenbeschleuniger gekoppelten Kernreaktors – jüngst wieder salonfähig gemacht wurde, und zwar durch den Italiener Carlo Rubbia (Nobelpreis für Physik 1984) am europäischen Kernforschungszentrum (Cern). Viele Projekte verdanken im übrigen ihr seriöses Image im wesentlichen den Darstellungen in der populären Presse, die durch schwärmerische Emphase kompensieren, was sie an nachprüfbaren Argumenten schuldig bleiben. Die heftigen Attacken jedoch, die in der Fachliteratur gegen derartige Projekte geführt werden, finden unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt und werden von der allgemeinen Presse ignoriert.

Jegliche Kritik oder Zurückhaltung lasten die Forscher für gewöhnlich dem mangelnden Sachverstand der Medien beziehungsweise der schlechten Vermittlung durch die Spezialisten an. „Wenn die Öffentlichkeit doch endlich begreifen wollte“, „wenn die Forscher sich besser verständlich gemacht hätten“, ist immer wieder von Vertretern aus Wissenschaft und Technik zu hören – als müßte jeder „Fortschritt“ stets uneingeschränkt und widerspruchslos bejaht werden. Diese leichtfertig denunziatorische Haltung gegenüber emotionalen oder irrationalen Reaktionen trifft man bis heute bei den Verantwortlichen in Sachen Atom- und Biotechnologie.

Ein treffendes Beispiel für eine solche Einstellung ist der 1958 veröffentlichte Bericht der Weltgesundheitsorganisation „Zu Fragen der geistigen Gesundheit in Zusammenhang mit der friedlichen Nutzung der Atomenergie“.4 Die Experten behaupten dort ohne Umschweife, daß der Widerstand gegen die Atomenergie nur auf Unverstand, infantilen und irrationellen Ängsten oder gar psychischen Störungen beruhen könne. Besondere Aufmerksamkeit schenkte diese Studie den Medien und ihrer ungenutzten Einsetzbarkeit zu einer „breit angelegten Umerziehung“.

Die Verfahrensweisen im Wissenschaftsjournalismus, auch seine formalen und ästhetischen Prinzipien, berühren also einen empfindlichen Punkt in den hochindustrialisierten Demokratien. Ein dem aufklärerischen Ideal verpflichteter Wissenschaftsjournalismus muß mehr tun, als nur die Machtspiele der Forschungseinrichtungen zu kritisieren oder für eine besser an die Bedürfnisse angepaßte Forschung einzutreten. Es ist auch nicht damit getan, daß man fordert, den Wissenschaften in den Medien mehr Platz einzuräumen; oder damit, über die fehlende Sachkenntnis der Journalisten zu lamentieren: In den Labors wird oft – und zu Recht – die mangelhafte Ausbildung beklagt. Doch die Konsequenz ist zwiespältig: Denn einerseits dient eine naive Begeisterung (mit ihrer Mythenbildung und dem damit verbundenen Prestigegewinn) weit besser den Interessen des wissenschaftlichen Establishments als eine profunde Sachkenntnis, die zu einer kritischen Distanz befähigt. Andererseits haben Journalisten mit naturwissenschaftlichem Hochschulabschluß den Respekt vor institutionellen Zwängen häufig so sehr verinnerlicht, daß er ihnen kaum noch bewußt ist.

Die Verhältnisse zurechtrücken

DIE Medien würden der Öffentlichkeit bereits einen großen Dienst erweisen, wenn sie die Implikationen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in einer Weise darstellten, die der Wissenschaft den ihr gemäßen Platz zuwiese. Dazu wäre es nötig, zunächst eine Landkarte des komplexen Beziehungsgeflechtes zwischen Wissenschaftsbetrieb und Öffentlichkeit zu entwerfen und die verschiedenen Standorte der jeweils Beteiligten auszumachen. Viele der Auseinandersetzungen wären klarer zu verstehen, wenn ersichtlich wäre, „von wo aus“ sich die einzelnen zu Wort melden. Es würde sich so beispielsweise herausstellen, daß die Äußerungen eines Nobelpreisträgers, sofern sie ein anderes als sein Spezialgebiet betreffen, keineswegs automatisch unanfechtbar sind. Daß man einen Talkmaster nicht mit einem wirklichen Ozon- oder Klimaspezialisten auf eine Stufe stellen kann. Daß man zwischen den Verlautbarungen von Wissenschaftlern und denen von Experten genau unterscheiden muß.5

Der Wissenschaft den ihr gemäßen Platz zuzuweisen, bedeutet außerdem, in jedem einzelnen Fall daran zu erinnern, daß es dem naturwissenschaftlich-technischen Komplex nicht ansteht, seine Grenzen selbst zu bestimmen – die sie im übrigen selber ständig überschreitet. Volksvertreter, Verbände, Juristen, Philosophen tragen ihrerseits Verantwortung auf diesem Gebiet.6 Es ist daher dringend geboten, nicht länger über die Bürger und politische Entscheidungsträger herzuziehen, mit dem Argument, sie seien nicht auf der Höhe des wissenschaftlichen Fortschritts und im übrigen ohnehin machtlos, da dieser sich unausweichlich einstellen werde.7 Nach den Worten eines erfahrenen Kenners industrieller Lehrmeinungen könnten die Medien auf diese Weise dazu beitragen, „daß die Wissenschaft nicht in eine normative Rolle hineingedrängt wird, die ihr nicht zukommt und die sie von sich aus auch gar nicht anstrebt“8.

dt. Christian Hansen

1 In der Zeitschrift Newsweek vom 11. Juli 1988 wurde das Dossier auf der Titelseite folgendermaßen angekündigt: „The Green House Effect. Danger: More Hot Sommers Ahead“.

2 Vgl. den Artikel von William K. Stevens auf Seite eins der Herald Tribune vom 19. September 1995.

3 Vgl. Daniel Bougnoux, „Wissenschaft und Öffentlichkeit“, Le Monde diplomatique, September 1995.

4 WHO, Technologiereport Nr. 151, Genf 1958.

5 Vgl. Philippe Roqueplo, „Climats sous surveillance. Limites et conditions de l'expertise scientifique“, Paris (Economica) 1993, und „Éviter l'état d'urgence“, Le Monde diplomatique, Mai 1996.

6 Vgl. hierzu Patricia Vendramin und Gérard Valenduc von der Fondation travail-université: „L'Echo des savants. La communication scientifique et le grand public“, Brüssel (EVO Société) 1996.

7 Das war einer der Streitpunkte auf dem Kolloquium „Science, pouvoir et démocratie“, das zu Ehren von Martine Barrère am 4. und 5. Oktober stattfand.

8 Pierre Legendre, „L'inestimable objet de la transmission. Étude sur le principe généalogique en Occident“, Paris (Fayard) 1985, sowie vom selben Autor „L'Empire de la vérité. Introduction aux espaces dogmatiques industriels“, Paris (Fayard) 1983.

* Wissenschaftsjournalist

Le Monde diplomatique vom 11.10.1996, von Suren Erkman