Revolution und Konterrevolution
KEN Loach ist ein engagierter Filmemacher. Engagiert und zugleich an ein breites Publikum gerichtet. Manche würden ihn lieber radikaler sehen und sind irritiert, daß er oft auf die Tricks des kommerziellen Kinos zurückgreift. Doch der britische Regisseur weist diese Kritik zurück. Sein Hauptanliegen ist, möglichst vielen Zuschauern eine komplexe wirtschaftliche, politische und soziale Realität näherzubringen, weshalb er sich meist romantischer Erzählungen und sogar des Melodramas bedient. Denn diese Gattungen sind äußerst wirkungsvoll, um große Ereignisse der Geschichte einem breiten Publikum ins Gedächtnis zu rufen.
Nachdem sich Ken Loach mit der spanischen Revolution von 1936 befaßt hat („Land and Freedom“, 1995), kommt er diesmal auf den tragischen Wendepunkt einer Revolution zu sprechen, die weniger weit zurückliegt, aber von den großen Medien bereits vergessen ist: auf die sandinistische Revolution Anfang der achtziger Jahre in Nicaragua. Ging es in „Land and Freedom“ darum, zu zeigen, wie unter dem Einfluß der Moskau unterstehenden spanischen Kommunisten „der Krieg die Revolution gefressen hat“, so ist „Carla's Song“ im Jahr 1987 angesiedelt, als die Kontras mit Unterstützung der USA gewaltsam in die Offensive gingen.
Im Zentrum der Handlung steht Paul Laverty, ein Schotte und ehemaliger Anwalt, der zu dieser Zeit für eine humanitäre Organisation in Nicaragua tätig war. Der erste Teil des Films spielt in Glasgow und erzählt die Begegnung zwischen dem eigenwilligen Busfahrer George und der aus Nicaragua geflüchteten, durch den Konflikt traumatisierten Tänzerin Carla. Ken Loach jongliert von Anfang an zwischen der Leichtigkeit und dem Ernst dieser Beziehung, um Carlas chaotisches Exilantinnendasein zu beschreiben.
Der zweite Teil des Films spielt in Nicaragua: Carla konfrontiert sich mit ihrer Vergangenheit, um sich von ihren Selbstmordobsessionen zu heilen. George entdeckt in der Rolle eines zufälligen Zuschauers die Realität einer Revolution, von der er bereits hie und da etwas gehört hat. Entscheidend ist seine Begegnung mit dem Amerikaner Bradley, der vor Ort in einer Vereinigung arbeitet.
Ken Loach wechselt virtuos zwischen Szenen sandinistischer Euphorie (der Alphabetisierung auf dem Land, der Umverteilung von Boden) und dem menschlichen Drama der Contra-Attentate. Dabei verfällt er hier und da in einen Brechtschen Tonfall der Belehrung. „Carla's Song“ ist dennoch ein erschütternder Film, ein starkes und mutiges politisches ×uvre, das unter anderem das Verdienst hat, daran zu erinnern, wie „im Namen der Demokratie und der Freiheit“ die Revolution in Nicaragua unterdrückt wurde.
CARLOS PARDO