13.12.1996

Verbesserter Wahlbetrug

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Verbesserter Wahlbetrug

DER Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde aufgrund ihrer heftigen Kritik am Verhalten der albanischen Behörden bei den Parlamentswahlen vom Mai 1996 nicht gestattet, Beobachter zu den Kommunalwahlen am 20. Oktober zu entsenden. Anwesend waren jedoch Vertreter der italienischen Regierung sowie Vertreter Österreichs, US-amerikanischer parteinaher Stiftungen und des Europarats.

Nach dem neuen Wahlgesetz müssen die Wahlkommissionen alle politischen Parteien repräsentieren, ihre Mitglieder müssen aber dennoch von den Regierungsvertretern bestätigt werden; um jeden neuen Boykott zu verhindern, müssen sie sich verpflichten, ihre Aufgaben zu erfüllen und alle Wahloperationen zu unterstützen – wer sich weigert, muß mit einer Haftstrafe von drei Jahren rechnen. Eine Woche vor den Wahlen deckte der Innenminister eine Gruppe angeblicher Terroristen auf. Er ließ mehrere Mitglieder verhaften, darunter den Schwiegersohn des früheren Präsidenten Enver Hodscha, einen Architekten, der für sein Engagement in der Opposition bekannt ist. Der (italienische) Chefredakteur der großen unabhängigen Zeitschrift Gazeta Shqiptare mußte außer Landes flüchten, um der Verhaftung zu entgehen. Der Präsident der Sozialistischen Partei, Fato Nano, war schon im November 1995 wegen Dokumentenfälschung und Veruntreuung von italienischen Projektgeldern zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden.

In einigen Wahlbüros mußten die ausländischen Beobachter mutwilligen, wiederholten Verletzungen der Grundregeln demokratischer Wahlen tatenlos zusehen. Manipulierte Wahllisten, paketweise in die Urnen gestopfte Stimmzettel für die Demokratische Partei, Stimmen von nicht eingetragenen Wählern, die Einschüchterung von Bürgern, Kandidaten der Sozialistischen Partei und sogar Beobachtern, Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung etc. Mit derartigen Methoden konnte sich die regierende Partei eine breite Mehrheit sichern.

Die Konfusion war so groß, daß das genaue Ausmaß des Wahlbetrugs unmöglich abzuschätzen war. Manche Beobachter vermuten, daß er für die Demokratische Partei einen Vorteil von 10 bis 25 Prozent der Stimmen erbracht hat. In Vlorä erklärte ein Mitglied der Demokratischen Partei am Tag nach den Wahlen: „Wir haben von den Behörden nie die endgültige Wählerliste erhalten, wie sollten wir dann die abgegebenen Stimmen überprüfen?“ Und der örtliche Parteisekretär der Sozialisten meinte: „Wir können nicht reagieren, wir hoffen aber, daß die ausländischen Beobachter ihre Regierungen informieren werden.“

PAOLO RAFFONE

Le Monde diplomatique vom 13.12.1996, von PAOLO RAFFONE