Scheinheiligkeiten
ES gibt in Frankreich mindestens sieben Firmen, die Elektroschock-Geräte herstellen oder vertreiben. Entscheidend ist dabei die Frage, ob es sich um Waffen oder um harmlose Mittel zur Selbstverteidigung handelt. Bislang gelten „Lichtbogen“-Geräte (wie ektrisch geladene Stöcke) offiziell nicht als Waffen und sind darum frei verkäuflich, obwohl man damit Stromschläge von bis zu 250000 Volt austeilen kann.
Daß es für Herstellung, Export und Gebrauch dieser Waffen noch keine angemessenen Vorschriften gibt, liegt auch daran, daß die Technologie relativ jung ist und sich ständig weiterentwickelt. Erst in den achtziger Jahren gab es die ersten Berichte über den „Mißbrauch“ der kampfunfähig machenden Geräte in Ländern, die für die Anwendung der Folter bekannt waren.
In den neunziger Jahren nahmen Herstellung und Handel mit diesen Geräten schlagartig zu, und zwar stets in verdeckter Form. Allein in den USA gibt es 42 einschlägige Firmen, in Deutschland 13, in Frankreich 7, in Taiwan 6 und in Israel 7. In Wirklichkeit dürften es weit mehr sein, aber die meisten wollen nicht bekannt werden. Zumal ihre Geschäfte auch ohne Werbung florieren, vor allem in den reichen Ländern mit ihrer ständig steigenden privaten Nachfrage nach Selbstverteidigungswaffen.
„Die Hersteller solcher Geräte sind natürlich keine Sadisten“, erklärt Francis Perrin, ehemals Präsident der französischen ai-Sektion, der sich heute als Mitglied einer Amnesty-Kommission mit der Zusammenarbeit zwischen Militärs, Polizei und Sicherheitsdiensten beschäftigt. „Sie wollen ihre Produkte nicht als Folterinstrumente verkaufen. Aber wenn man nachfragt, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Über die Problematik der Anwendung der Geräte, über die Bedingungen, unter denen sie getestet wurden und die genauen Testresultate – über all das reden sie nicht gerne.“
Die größte Gefahr sieht Perrain in einem Verharmlosungs-Effekt. Wenn etwa solche Waffen von der US-amerikanischen Polizei oder dem Gefängnispersonal bestimmter US-Bundesstaaten eingesetzt werden, dann erscheine ihre Verwendung plötzlich „verlockend“: „Warum sollte man diese Elektroschockwaffen nicht einsetzen, um irgendwo die Ordnung wiederherzustellen? Schließlich sind sie weit ungefährlicher als Schußwaffen, und im Prinzip gar nicht tödlich. Aber man sollte immer den Zusammenhang sehen und die ethischen, juristischen und medizinischen Aspekte mitbedenken.“ In Wahrheit, meint Francis Perrain, gehe es um eine ethische Grundsatzdebatte.
FLORENCE BEAUGÉ