Liberale Marktwirtschaft als höchstes Stadium der Menschheit
Von PETER MARTIN *
DIE Globalisierungsdebatte konzentriert sich in der Regel auf die einschlägigen ökonomischen Aspekte. Dagegen möchte ich an dieser Stelle zutiefst moralische Argumente vortragen, die zugunsten einer Globalisierung sprechen. Sie lassen sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: Die beschleunigte Integration vormals marginalisierter Gesellschaften ist das Beste, was uns die Entwicklung in der gesamten Nachkriegszeit beschert hat.
Dieser Prozeß ist in Wirklichkeit eine Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg. Sie verbindet die verschiedenen Gesellschaften und Kulturen – im Gegensatz zu der falschen Zusammenarbeit, wie sie sich im Rahmen verfehlter Nord-Süd-Dialoge zwischen den bürokratischen Eliten abspielt. Der Globalisierungsprozeß hat nicht nur das sowjetische „Reich des Bösen“ untergraben, er zeigt erste ähnliche Wirkungen in China. Aber selbst ohne die direkten politischen Auswirkungen hat sich dieser Prozeß als außerordentlich positive Sache erwiesen. In den Ländern, die sich die von ihm gebotenen Chancen nicht entgehen ließen, hat er das Glück und das Wohlbefinden der Menschen in außerordentlichem Maße befördert.
Diese Transformation wird genau die gegenteiligen Wirkungen hervorbringen, die ihr die linken Kritiker zuschreiben. Sie wird zu einer irreversiblen Machtverschiebung führen, die zu Lasten der entwickelten Länder geht, während sie und der übrigen Welt zugute kommt.
Die entgegengesetzte Wahrnehmung der Kritiker zeugt lediglich von dem Wunsch, diese Machtverschiebung unbedingt zu verhindern. Meines Erachtens basieren die Argumente der Kritiker auf dem instinktiven Wunsch, den Status quo zu bewahren, die Hegemonie ihrer zutiefst konservativen Ideologie zu erhalten.
Die Argumente gegen die Globalisierung sind nach meiner Überzeugung zutiefst unmoralisch. Es ist zutiefst unmoralisch, der Dritten Welt ihre Ambitionen zu verbieten, nur damit ein bequemes, spezifisch westliches Modell von Arbeit überleben kann. Die Kritiker der Globalisierung behaupten, bei diesem Prozeß gebe es weit mehr Verlierer als Gewinner. Aber das stimmt einfach nicht. Es stimmt weder in relativer noch in absoluter Hinsicht, wie alle ökonomischen statistischen Untersuchungen der Nachkriegsperiode belegen können.
Die subtileren Kritiker geben allerdings zu, daß tatsächlich millionenfach Jobs entstanden sind. Aber – so versichern sie – das sind gar keine richtigen Arbeitsplätze, das sind Arbeitsbedingungen wie in den „sweatshops“ der Dritten Welt!
Man halte dieses Argument einmal den Arbeitern in China entgegen, die sich aus dem knochenbrechenden Elend des Landarbeiterlebens herausgearbeitet haben (und dies fürwahr unter sweatshop-Bedingungen) und dadurch zu echtem Wohlstand und einem selbständigen Einkommen gelangt sind. Diesen Ehrgeiz der Armen in der Dritten Welt, ihren unbändigen Drang nach Besitz, Wohlstand und Freiheit, finde ich ganz wunderbar. Was wüßten die Kritiker diesen Menschen zu sagen? Daß sie die Zukunft, die ihnen vorschwebt, nicht haben dürfen, weil wir Europäer das nicht zulassen können – weil wir unfähig sind, uns so schnell anzupassen? Wo bleibt da die hehre Moral?
Es ist durchaus möglich, die Globalisierung zu verhindern, aber zu einem Preis, der nicht nur ein ökonomischer wäre. Es wäre auch ein politischer Preis. Der Wunsch, die Globalisierung zu unterdrücken, führt unvermeidlich zur Ausdehnung der Macht des Staates und zu Abstrichen an der politischen Freiheit. Er verlangt die Unterdrückung des natürlichen Strebens der Individuen, es verlangt ein immer komplizierteres Netzwerk von Bestimmungen und Gesetzen, die Bestrafung natürlicher ökonomischer Aktivitäten, die Politisierung von Routineentscheidungen – es verlangt all das, was wir in den letzten zwanzig, dreißig Jahren in vielen europäischen Ländern erlebt haben.
Es verlangt auch einen tiefgreifenden Abbau demokratischer Rechte, einschließlich des kostbarsten aller Rechte, nämlich des Rechtes, nicht behelligt zu werden.
Ob die Freiheit, zwischen dreißig verschiedenen Arten von Frühstücksflocken zu wählen, als wichtige Freiheit gelten kann, ist gewiß Ansichtssache. Aber es ist keine Ansichtssache, sondern ein Resultat bitterer Erfahrungen, daß es eine schädliche und zutiefst antidemokratische Sache ist, die Staatsmacht auszuweiten, nur um jene grenzüberschreitenden ökonomischen Alternativen zu verhindern, die uns der Globalisierungsprozeß eröffnet.
Es gibt Leute, die behaupten, es gebe eben höhere Werte als die Handelsfreiheit. Aber es gibt ganz sicher keine Werte, die höher wären als die Rettung von Milliarden Menschen vor der Armut, als die Schaffung neuer Chancen für individuelle Alternativen und Entfaltung, als die Stärkung der Demokratie überall in der Welt. Die liberale Marktwirtschaft ist ihrem Wesen nach global. Sie ist das Höchste, was die Menschheit erreichen kann. Wir können stolz sein, daß wir durch unsere Arbeit und unsere Argumente – kollektiv und individuell – dazu beitragen, diese liberale Ordnung auf- und auszubauen.
dt. Niels Kadritzke
* Chefredakteur der internationalen Ausgabe der Financial Times.