Georges Noël
„Ich arbeitete wie die Schriftgelehrten, als ob ich einen Stein beschriebe, von links nach rechts oder umgekehrt“ erzählt Georges Noël in einem Interview mit Michel Butor. „Ich zwang mich, meine primitive Schrift weiterzuentwickeln. Ist der Stein oder die Seite vollgeschrieben, ist die Geschichte auch schon veraltet. Also löscht man sie aus, aber nicht wirklich, sondern man überschreibt sie; die Texte häufen sich an und dringen von unten an die Oberfläche.“
In seinen Bildern, deren Oberflächen aus verschiedenen Lagen bestehen, versucht er durch Eingraben und Eindringen in die verschiedenen Schichten auf neue Zeichen zu stoßen. Andere Künstler, sagt er, streicheln die Leinwand, er hingegen pflüge sie, wie ein Bauer.
Mit „Voyage Palimpseste“, seinem Werkkatalog, erinnert Georges Noël in Zeiten materiellen Überflusses an jene Sitte des Reskribierens, wie sie vornehmlich in den christlichen Klöstern des Mittelalters praktiziert wurde, da Papyrus und Pergament selten und kostbar waren. Die ältere, verwischte Schrift ist zwar untergründig vorhanden, doch deren Lesung nur mittels chemischer Reagentien möglich.
Georges Noël (geb. 1924) visualiert in seinen Werken den Prozeß der permanenten Auslöschung und Neuschöpfung von Erleben und Erinnern, den der Mensch alltäglich vollzieht. Im Moment des fertigen Bildes kommt dieser Mal- wie Erinnerungsprozeß zu einem Stillstand, einem Augen-Blick.
Foto: Jean-Marie Del Moral