17.10.1997

Ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit

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Ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit

DAS erste Ziel, das sich der Verein „Freunde von Le Monde diplomatique“ gesteckt hatte, ist erreicht: Unsere Leser und die Mitarbeiter der Zeitung – diese mittels der Vereinigung Gunter Holzmann – verfügen gemeinsam über eine Sperrminorität (33,34 Prozent der Kapitalanteile) innerhalb der Aktiengesellschaft Le Monde diplomatique SA. Dadurch verfügen Leser und Redakteure nun über die Kontrollmöglichkeit, die es erlaubt, die redaktionelle Unabhängigkeit unserer Monatszeitung zu garantieren. Wir sind also heute in einer Situation – man muß sich dessen bewußt sein –, die in der Welt der Printmedien eine große Seltenheit geworden ist. Sie, liebe Freunde und Leser, sichern uns so die Mittel, damit wir einer bestimmten Sichtweise und den demokratischen Werten, die Sie mit uns teilen, treu bleiben können, und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Informationsvielfalt.

Gleichzeitig war dies ein, wenn auch bescheidenes Zeichen für den Willen zum Widerstand, der sich in vielen Bereichen manifestiert und über die Le Monde diplomatique regelmäßig berichtet. Es ist ein wenig „Sand“ in jenem gut geölten Getriebe, das auf der ganzen Welt die Freiheit der Information auf die Freiheit des Handels und des Profits reduziert.

Das schon heute wenig vertrauenswürdige System der Information steht im Zeitalter von Internet und Multimedia am Beginn einer radikalen Umwälzung, die oft mit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg verglichen wird. Die Verknüpfung von Fernseher, Computer und Telefon bringt eine neue, interaktive Kommunikationsmaschine hervor, die den ganzen Bereich der Kommunikation vollkommen umgestalten könnte.

Die Giganten aus den Bereichen Telefon, Kabel, Informatik, Werbung, Verlagswesen, Fernsehen, Video und Kino schließen sich zu immer größeren Unternehmen zusammen. Jeden Tag finden Übernahmen und Fusionen statt, bei denen Milliarden von Dollar bewegt werden. Einige träumen vom vollkommenen Informations- und Kommunikationsmarkt, der mittels elektronischer Netze und Satelliten alles einbezieht, Grenzen überschreitet, und pausenlos arbeitet. Dieser Vorstellung zufolge würde der Informationsmarkt ähnlich funktionieren wie der Kapitalmarkt mit seinen ununterbrochen fließenden Kapitalströmen...

In diesem großen industriellen Konzept wird die Information als Ware gesehen. Und diese Eigenschaft hat Vorrang vor der ureigensten Bestimmung der Medien: aufzuklären und die demokratische Diskussion zu bereichern. Das erinnert an die Warnungen von George Orwell und Aldous Huxley vor dem falschen Fortschritt in einer Welt, die Gefahr läuft, von einer Art Gedankenpolizei verwaltet zu werden.

Was uns betrifft, so sind wir in Zukunft von diesem Mahlstrom und seinen Gefahren verschont, weil wir, Leser und Redakteure gemeinsam, innerhalb der Le Monde diplomatique SA über neue rechtliche Einflußmöglichkeiten verfügen. Aber auch deshalb, weil unser Mehrheitsaktionär, die Le Monde SA, ebenso wie wir selbst, in erster Linie seinen Redakteuren und seinen Lesern als Hauptaktionären gehört und den humanistischen Grundprinzipien unseres gemeinsamen Gründers, Hubert Beuve-Méry, verpflichtet ist. Nachdem der Aufsichtsratsvorsitzende Jean-Marie Colombani am 3. Mai dieses Jahres anläßlich der Generalversammlung der Freunde von Le Monde diplomatique daran erinnert hatte, daß „Le Monde eine Zeitung für unterschiedliche Meinungen und der Diplo eine meinungsbildende Zeitung“ sei, betonte er: „Wir sind natürlich da, um dies zu unterstützen.“

Für Le Monde diplomatique ist es in dieser neuen Phase wichtig, daß die Vereinigung der Freunde immer weiter Geld sammelt, um schließlich gemeinsam mit der Association Gunter Holzmann 49 Prozent der Aktien des Unternehmens halten zu können, wie es die Statuten erlauben. Der Verwaltungsrat, der am 15. Oktober zusammentritt [nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe, d. Red.], sollte bei dieser Gelegenheit entsprechende Initiativen ergreifen; über die Ergebnisse werden wir im kommenden Monat berichten. Der Vorsitzende des Verwaltungsrates, Riccardo Petrella, hat in der letzten Mitteilung an die „Amis“ geschrieben: „Die Beschaffung der für die Unabhängigkeit des Diplo notwendigen Finanzmittel ist zwar unerläßlich, aber das allein reicht nicht aus.“ Dem kann sich die Belegschaft der Zeitung nur anschließen.

In vielen Diskussionsrunden hatten wir Gelegenheit zu fruchtbarem Gedankenaustausch über die wichtigen Fragen der Gegenwart und konnten dabei feststellen, daß das Bedürfnis nach verläßlicher Information und unabhängiger, eigenständiger Analyse sehr stark ist. Deshalb hoffen wir, daß noch viel mehr Leser der Vereinigung der Freunde beitreten. Le Monde diplomatique braucht sie.

I. R.

dt. Christian Voigt

Le Monde diplomatique vom 17.10.1997, von I. R.