14.11.1997

Zunehmende Spannungen im Kosovo

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Zunehmende Spannungen im Kosovo

MIT einem Bevölkerungsanteil von 90 Prozent oder umgerechnet 1,8 Millionen albanischen Einwohnern stellt die serbische Region Kosovo nach wie vor einen Schlüsselfaktor in der albanischen Frage dar. Seit 1989 dient die Provinz darüber hinaus dem großserbischen Nationalismus als Experimentierfeld für seine Politik.

Aus Sicht der serbischen Nationalisten gilt der Kosovo als Wiege des mittelalterlichen Serbien. In der Schlacht auf dem Amselfeld vom 15. Juni 1389 unterlag das Königreich Serbien dem Osmanischen Reich, um in der darauffolgenden Epoche unter „türkischem Joch“ albanisiert und islamisiert zu werden. Dagegen gehört die Provinz nach albanischem Verständnis zum Territorium der albanischen Nation und war im 19. Jahrhundert eine Hochburg der nationalen Erneuerungsbewegung.

Aus Angst vor einem Wiederaufleben des serbischen Nationalismus und unter dem Eindruck der albanischen Demonstrationen von 1968 setzte Marschall Tito 1974 die Autonomie des Kosovo durch. 1981 kam es zwischen demonstrierenden Kosovo-Albanern, die eine völlige Eigenständigkeit als Republik innerhalb der Föderation forderten, und der jugoslawischen Polizei zu gewalttätigen Zusammenstößen.

Einer der ersten Beschlüsse von Slobodan Milošević als neuem starken Mann in Serbien war 1987 die Aufhebung des Autonomiestatuts und die militärische Überwachung der Provinz. Die institutionellen, politischen, kulturellen und sozialen Rechte der Albaner wurden abgeschafft, Hunderttausende Personen überprüft, Tausende verhaftet und einige Dutzend ermordet.

SEIT Anfang der neunziger Jahre organisieren sich die Kosovo-Albaner unter der Führung des Pazifisten Ibrahim Rugova eine Gegengesellschaft mit eigenem Präsidenten, Regierung, Schulen, Universitäten und Gesundheitszentren. Die Führung der Demokratischen Liga vertritt einen pragmatischen Kurs und lehnt die direkte Konfrontation mit Belgrad ab. Im Gefolge des Dayton-Abkommens ist es ihnen gelungen, den serbischen Würgegriff etwas zu lockern.

Am 2. September 1996 unterzeichneten Ibrahim Rugova und Slobodan Milošević ein Abkommen, das als Gegenleistung für den Verzicht der Albaner, sich an den jugoslawischen Wahlen zu beteiligen, die Wiedereröffnung der Schulen und Universitäten vorsah. Doch dem Kompromiß folgten keine Taten, und im Oktober 1997 kam es zu Studentendemonstrationen, die von der Polizei brutal niedergeschlagen wurden.

Die ausweglose Situation spielt den Gegnern Rugovas in die Hände, die bereits eine Befreiungsarmee für den Kosovo gegründet haben und auf die militärische Karte setzen. Ein Gewaltausbruch in dieser Region würde unweigerlich zum Auseinanderbrechen der Republik Makedonien führen, die sich schon jetzt mit Vertretern der eigenen albanischen Minderheit auseinanderzusetzen hat, die für eine Angliederung an Albanien eintreten.

CHRISTOPHE CHICLET

Le Monde diplomatique vom 14.11.1997, von CHRISTOPHE CHICLET