Schwarzbuch des Kommunismus
ZUM Jahrestag der Oktoberrevolution erschien in Frankreich im Verlag Robert Laffont das „Schwarzbuch des Kommunismus“, eine über 800 Seiten umfassende Untersuchung französischer Historiker über „Verbrechen, Terror und Unterdrückung“, wie der Untertitel lautet. Untersucht werden die Verbrechen, begangen im Namen des Kommunismus, international: in Rußland, Vietnam, Äthiopien, Kambodscha, China ebenso wie in Lateinamerika.
Anders als in Deutschland sind die Kommunisten in Frankreich selbstverständlicher Bestandteil der politischen Klasse. Sie waren in mehreren Regierungen vertreten, und lange Zeit schien der Gründungsmythos der Nachkriegs-Republik vom allgemeinen Widerstand des Volkes gegen den Nationalsozialismus unantastbar. Um so heftiger ist in den letzten Jahren die Auseinandersetzung über die Vergangenheit, die Debatte über die Kollaboration der Vichy-Regierung mit den Nazis (siehe den Papon-Prozeß) und nun die Debatte über die Verbrechen, die im Namen des Kommunismus begangen wurden. Während die einen die Verbrechen als „Abweichungen“ vom Weg des Kommunismus ansehen, bringen sie für andere das wahre Wesen einer totalitären Ideologie zum Vorschein.
François Furet, der mit seinem Buch über die kommunistischen Illusionen die jüngste Auseinandersetzung eingeläutet hatte (siehe Le Monde diplomatique, Dezember 1996), attackierte in seinem letzten Text anläßlich der französischen Wahlen im Mai 1997 das Verharren der Gesellschaft in den überkommenen Schemata „Gaullismus versus Antifaschismus“.
Der Streit über das Schwarzbuch entzündete sich an dem Vorwort des Historikers (und ehemaligen Maoisten) Stéphane Courtois, in welchem dieser, den Historikerstreit nach Frankreich importierend, die Frage stellt, ob NS und Kommunismus vergleichbar seien. Diverse Autoren des Schwarzbuchs haben sich von diesem Vorwort distanziert, darunter Nicolas Werth, der den Beitrag über die Verbrechen in der Sowjetunion verfaßte (siehe die tageszeitung, 1. Dezember 1997).
Die Debatte über den „historischen Ort des Kommunismus“ ist nach wie vor offen, auch weil die Archive nur in Teilen zugänglich sind. Sie wird notwendig eine gesamteuropäische Debatte sein, in die auch die geteilten Erfahrungen einfließen müssen, welche die Europäer aus dem früheren Osten und Westen in die Diskussion einbringen können.
MARIE LUISE KNOTT