13.02.1998

Roulette im Reservat

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Roulette im Reservat

Von NELCYA DELANOÄ *

DIE Eröffnung des inzwischen berühmten Spielkasinos der Pequots, des Foxwoods Casino, ist das Ergebnis des Indian Gaming Regulatory Acts (IGRA) von 1988. Danach dürfen Stammesregierungen grundsätzlich in ihren Reservaten Spielhallen und Kasinos betreiben, und die Regierungen der verschiedenen Bundesstaaten sind verpflichtet, mit allen Stämmen, die die Genehmiguung für solche Einrichtungen beantragen, in Verhandlung zu treten. Erklärtes Ziel war es, auf diese Weise das extreme Elend in den Indianerreservaten zu bekämpfen – hohe Arbeitslosigkeit, allgemeine Agonie sowie katastrophal niedrige Lebenserwartung – und die dortige Wirtschaft anzukurbeln.

1973 wurde in Connecticut mit den Stimmen von Republikanern und Demokraten das Glückspiel zugelassen. Man wollte dem Staat Einnahmen verschaffen, ohne auf die Einführung von Einkommensteuern zurückgreifen zu müssen, die es bislang in diesem Bundesstaat nicht gab.

Nach und nach kamen zum ersten Glücksspiel Hunde- und Pferderennen hinzu, sowie jai-alai (eine Art Squash). Dennoch beliefen sich die Einkünfte aus Glücksspielen 1992 nur auf 2,8 Prozent des Staatshaushalts, weshalb Gouverneur und Gesetzgeber sich entschlossen, mit dem Indianerstamm der Pequots ins Geschäft zu kommen, die sich um die Lizenz für ein Spielkasino beworben hatten. Der Mitbewerber Steve Wynn, ein schwerreicher Mann aus Las Vegas, hatte das Nachsehen, denn die Pequots verhandelten geschickt: Sie boten zur allgemeinen Überraschung der Regierung „eine Beteiligung“ von 20 Prozent an. Das Reservat erhielt den Zuschlag, und das Geld floß in die Staatskassen von Connecticut.

In Connecticut, wo in zehn Jahren 250000 Arbeitsplätze verschwunden waren, wo Werften, chemische Industriebetriebe und Fertigungsbetriebe geschlossen hatten, wo der Fischfang drastisch zurückgegangen war und Unternehmen ausgelagert wurden, entpuppte sich das Spielkasino von Foxwoods als wahre Goldgrube. Es liegt im Zentrum einer der dichtbesiedeltsten Regionen der USA und lockte Tag und Nacht Tausende von Neugierigen in die Stadt. Die Pequots wurden wieder zu wichtigen politischen und wirtschaftlichen Akteuren in Connecticut (und im nationalen Glücksspiel-Sektor), denn das Kasino schuf mehr als 12000 Arbeitsplätze, und es ist geplant, die Werft teilweise wieder in Betrieb zu nehmen, um Schnellboote und Fährschiffe zu bauen und so die Besuchermenge zu transportieren und die negativen Auswirkungen des Autoverkehrs einzudämmen.

Ende der fünfziger Jahre lebten von dem einst souveränen Stamm der Pequots nur noch einige Dutzend Männer und Frauen – von Nachbarn wie regionalen und staatlichen Einrichtungen völlig vergessen, doch entschlossen, ihr Territorium nicht zu verlassen.

Durch die Protestbewegung der Pequots-Indianer in den sechziger Jahren fühlte sich auch der dortige Stammesrat ermuntert, beim US-Kongreß die Anerkennung ihrer früheren Stammesrechte zu verlangen, die sie nach dem berüchtigten Massaker von 1637 eingebüßt hatten. 1983 erlangten sie mit der Unterstützung eines jungen engagierten Anwaltsteams die territoriale Souveränität zurück. Damit verbunden war der Anspruch auf staatliche Zuschüsse, welche die Pequots klug investierten: Stammesoberhaupt „Skip“ Hayward und seine Berater bauten eine Bingo-Halle, die seit 1986 in Betrieb ist und viel Geld eingebracht hat.

Der nächste Schritt war das Kasino. Er wurde geschickt eingefädelt: Hayward fand – gut beraten von Fachmann Mickey Brown, einem Experten bei der Spiel-Kontrollkommission von Atlantic City – das nötige Kapital, das keine amerikanische Bank dem Stammesrat leihen wollte, bei einem reichen chinesischen Geschäftsmann aus Malaysia. Dann schlug der Stammesrat vor, einen Teil der künftigen Erträge aus dem Kasino, die der Staat nicht besteuern darf, an den Staat abzutreten und im Gegenzug das Monopol für Glücksspielautomaten und Spieltische im ganzen Staat übertragen zu bekommen. 1992 öffnete das Kasino in Foxwoods seine Tore. Die Einnahmen übertrafen alle Erwartungen. Durch die Ausstattung steht das erste Spielkasino in einem Indianerreservat Nordamerikas ganz im Zeichen der „autochthonen Völker“ – mit indianischen Skulpturen und Bildern (zumeist Genrebildern) von bekannten indianischen Künstlern, mit kunsthandwerklichen Gegenständen und didaktischen Videos.

Seither sind die Pequots zu einem (zumal für ein Indianerreservat) ungewöhnlichen Reichtum gekommen. Ihr Reservat, vor kurzem noch verslumtes Brachland, ist längst eine hübsche Gemeinde – mit guter Infrastruktur (Straßen, Sporteinrichtungen, Krankenhaus, Apotheke, Krankenwagen) und mit allen Merkmalen der Souveränität (Gericht, Rathaus, Lokalzeitung, Feuerwehr, Polizei und Gefängnis). Da sie wissen, daß Glück (und erst recht das Glück der Indianer) vergänglich ist, haben sie ihr Vermögen gestreut, die Gewinne reinvestiert, die Kinder auf die besten Schulen geschickt und die Stammesmitglieder in die Entwicklung der Gemeinde miteinbezogen.

Eine Investition in die indianische Zukunft

DER Stammesrat vergibt Ausbildungsstipendien und Zuschüsse für andere indianische Entwicklungsprojekte – für Kritiker immer noch viel zu wenig – und entrichtet Geldspenden an die beiden großen Parteien des Landes ebenso wie an die wichtigsten staatlichen Kultureinrichtungen (100000 Dollar für das neue, ausschließlich den Indianern gewidmete Museum – dessen Organisatoren von der Smithsonian Institution ihren Augen nicht trauten); außerdem unterstützt der Rat indianische Zeitschriften und Zeitungen. Als Vertreter der Souveränität der Pequots und Hüter der indianischen Kultur vertreten der Rat und sein charismatischer Präsident vehement die eigenen Interessen: Sie haben ihre Auftritte im US- Kongreß und bezahlen in Washington einen als Lobbyisten tätigen Anwalt, der zugleich Mitglied der Vereinigung aller Indianerstämme ist und selber in der Glücksspielindustrie investiert.

Sie sind zugleich Leiter eines Unternehmens und Organisatoren eines Volkes und beherrschen als solche perfekt und zum eigenen Vorteile die Spielregeln des American way of life, wie man, sofern es eines Beweises bedarf, an ihrer Entscheidung ablesen kann, eines der wohl reichhaltigsten Indianermuseen zu errichten.

Der Fall der Pequots mag untypisch sein, aber er ist dennoch symptomatisch. Der Erfolg hat in den Reservaten für unternehmerischen Elan gesorgt, so daß inzwischen mehr als 200 Kasinos existieren. Auch wenn dort nicht mehr ganz so viel Geld fließt, ist es den Gemeinden gelungen, in die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie in Wohnungen, Infrastruktur, Gesundheitswesen und Erziehung zu investieren, kurz: zu erhalten, was ihnen bislang versagt war.

Dennoch ist die Glücksspielindustrie kein Allheilmittel. Die Indianer sind unter allen Amerikanern immer noch die ärmsten – ein Drittel lebt unter der Armutsgrenze; ihre Lebenserwartung ist die niedrigste und ihre Selbstmordrate die höchste im ganzen Land. Ihr Durchschnittseinkommen sinkt ständig, und die Erziehung der häufig alkoholkranken und drogensüchtigen Jugendlichen bleibt ein schwieriges und mühsames Unterfangen. Zwar erlaubte das Spiel einigen Stämmen einen wirtschaftlichen Aufschwung, doch es hat andere Probleme nach sich gezogen, jene einer Kasino-Wirtschaft: fiebernd, explosiv und äußerst fragil.

dt. Sigrid Plöger

* Professorin an der Universität Paris-X-Nanterre, Verfasserin von „L‘Entaille rouge. Des terres indiennes à la démocratie américaine, 1776-1996“, Paris (Albin Michel) 1997.

Le Monde diplomatique vom 13.02.1998, von NELCYA DELANOÄ