13.03.1998

Allgegenwärtiger Staat

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Allgegenwärtiger Staat

DIE Herausbildung des traditionellen japanischen Wirtschaftsmodells geht auf die Meiji-Periode (1868-1912) zurück, als das Land den Feudalismus hinter sich ließ mit dem erklärten Ziel, den Westen einzuholen. Als erstes asiatisches Schwellenland stand Japan vor der Aufgabe, ein völlig neues Modell zu entwerfen. Grundlage dieses Modells war ein allgegenwärtiger Staat, der seine Bürger aktiv zum Sparen anhielt. Investiert wurden diese Spareinlagen in die Industrie und in das Bildungswesen, das zu einem der nationalen Hauptziele erklärt worden war (1902 genossen bereits mehr als 90 Prozent der Kinder eine Schulausbildung). Die Industrialisierung basierte zunehmend auf einer dualen Struktur, die auf den großen Konzernen – den zaibatsu – wie auf den mittelständischen Betrieben aufbaute.

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte sich der Staat erneut im Zentrum dieses Wirtschaftsmodells. Er organisierte den Wiederaufbau eines flexiblen und wettbewerbsfähigen Produktionssektors in den nicht abgeschotteten Wirtschaftssektoren. Das Finanzsystem stand auch weiterhin im Dienste der Industrie, der es besonders leichten Zugang zu billigem Kapital verschaffte. Die Industriepolitik förderte besonders den Wiederaufbau eines vollständigen Produktionsapparates. Dazu gehörten auch einige Exportsektoren, die sich auf die Herstellung von Produkten spezialisiert hatten, die von einer weltweiten Nachfrage getragen wurden.

Anstatt sehr kostspielige Forschungsprogramme, vor allem im Bereich der Grundlagenforschung, auf den Weg zu bringen, wurden neue Technologien in großem Umfang eingeführt. Dies ermöglichte dem Land große Einsparungen: Die 30000 ausländischen Lizenzen, die zwischen 1950 und 1980 gekauft wurden, kosteten etwa 10 Milliarden Dollar — etwa 20 Prozent der Summe, die in diesem Zeitraum in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt pro Jahr für Forschung und Entwicklung ausgegeben wurde. Die Industriekonzerne – die keiretsu – organisierten sich in Netzwerken, innerhalb derer unzählige Subunternehmer die konjunkturellen Schwankungen auffingen.

IN den großen Unternehmen wurden lebenslange Beschäftigung, Bezahlung nach Dienstalter und Betriebsgewerkschaften üblich. Die Starre dieses Systems war nur eine scheinbare, denn nur eine kleine Minderheit der Beschäftigten (25 Prozent) profitierte von einem lebenslang garantierten Arbeitsplatz, auch wechselten die Beschäftigten häufig zwischen den verschiedenen Tochtergesellschaften eines Konzerns. Darüber hinaus hing ein erheblicher Teil des Gesamtlohns (30 Prozent) bei dieser Gruppe von Beschäftigten von Überstunden und Prämien ab. Im übrigen haben die „Qualifiziertenkreise“ das Gefühl der Zugehörigkeit zum Unternehmen verstärkt.

Neue Methoden der Just-in-time-Produktion machten die Einsparung von Zeit, Raum und Material möglich, indem die Lagerbestände aufgelöst und Fehlerquellen beseitigt wurden. Auf der Ebene der Produkte hat sich schnell eine Wirtschaft mit breitem Warenangebot entwickelt, das auch die anspruchsvollen Kunden ansprechen konnte.

E. D.

Le Monde diplomatique vom 13.03.1998, von E. D.