13.03.1998

Betr.: Telefongesellschaften

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Betr.: Telefongesellschaften

Seit dem 1. Januar 1998 sind die Telefongesellschaften in zehn von fünfzehn Ländern der Europäischen Union dem freien Wettbewerb ausgesetzt. Spanien, Griechenland, Irland, Luxemburg und Portugal haben Fristen zwischen wenigen Monaten und drei Jahren ausgehandelt. In Frankreich werden vier Anbieter der im Oktober letzten Jahres teilprivatisierten France Télécom Konkurrenz machen, deren Aktien zu 20,9 Prozent Finanzinstitutionen und Privatleuten und zu 2,3 Prozent den Firmenangestellten gehören.

Mit dieser Privatisierung bricht der französische Premierminister Lionel Jospin zum einen sein höchst symbolträchtiges Wahlkampfversprechen, und zum anderen beraubt er die „historische“ Telefongesellschaft ihrer Bestimmung. France Télécom wird kein öffentliches Dienstleistungsunternehmen mehr sein, sondern als Firma wie jede andere hauptsächlich für die Gewinne der Aktionäre arbeiten. Dies bekräftigte kürzlich der Staatsminister für Industrie, Christian Pierret, der sogar höchstselbst für einen der konkurrierenden Anbieter Reklame machte. Alle Scheinargumente, die auf die „Minderheitsbeteiligung“ des Privatkapitals verweisen, können nicht vom Offenkundigen ablenken: Der Wurm braucht keineswegs so groß zu sein wie die Frucht, um sie vollständig zu verderben.

Hier handelt es sich um die erste Stufe eines entscheidenden Umbruchs, der seit Jahren von der Brüsseler Kommission vorbereitet wird. Deren systematische Ablehnung der öffentlichen Dienstleistungen treibt Europa in eine Deregulierung, die in den USA bereits Wirklichkeit ist (vgl. den Artikel von Aline Pailler und Claude Michel). Heute ist bereits absehbar, daß ein halbes Dutzend Firmenkonglomerate ein neues weltweites Oligopol bilden werden, in dem die riesigen US- amerikanischen Firmen marktbeherrschend sein werden. Unter den Kommunikationsunternehmen Europas wie bei allen Netzen auf der Welt wird dies zu einem Kahlschlag führen (vgl. den Artikel von Pierre Musso).

Angesichts dieser Tatsachen darf man sich nicht von den euphorischen Reden der Kommission und von den Sprüchen der France Télécom einlullen lassen, die sich ganz der Privatisierung verschrieben hat. Die vollmundig angekündigte Senkung der Telefontarife wird es geben – aber nur bei Fern- und Auslandsgesprächen, also vor allem für Unternehmen und betuchte Privatkunden. Die Normalbürger dagegen werden erfahren, daß Anschluß, Grundgebühr und Ortsgespräche teurer werden. Und über die Auswirkungen auf die Beschäftigung gibt schon ein Blick auf die USA einen beunruhigenden Bescheid.

Letztlich geht es bei der Privatisierung eines öffentlichen Dienstleistungsunternehmens um den Übergang von einer Logik der Solidarität – vor allem in Form einheitlicher Tarife – zu einer Logik des Ausverkaufs. Damit wird ein Gemeingut, das durch jahrzehntelange Anstrengungen der Steuerzahler und des Personals entstanden ist, zum bevorzugten Besitz von angelsächsischen Pensionsfonds und von Versicherungsfirmen.

B. C.

Le Monde diplomatique vom 13.03.1998, von B. C.