Die schwarzen Bosse des Goldes
Von unserem Korrespondenten THIERRY SECRÉTAN *
UNSER neuer Boss ist ein ehemaliger Häftling!“ Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in den Fluren des gläsernen Hochhauses im Herzen der Altstadt von Johannesburg, in dem die Zentrale der Johannesburg Consolidated Investments (JCI) angesiedelt ist, eine Betreibergesellschaft von Goldminen in Südafrika. An jenem Dezembertag im Jahr 1996 versammeln sich Sekretärinnen, leitende Angestellte, Ingenieure und Direktoren, Schwarze und Weiße – in der Mehrheit Weiße – in der riesigen Betriebskantine.
Der athletische, hochgewachsene Zulu gibt sich bescheiden und erklärt, er sei nur ein Mitglied des Teams: „Ich glaube, meine Person wird in den Vordergrund gerückt, weil ich im Gefängnis war. Daß dies einmal zum herausragenden Merkmal meines Lebenslaufs wird, hätte ich nie gedacht. Ich habe jeden Augenblick meiner Gefangenschaft gehaßt, aber allmählich könnte sie mir nutzen.“ Allgemeines Gelächter, Erleichterung bei den Weißen. Seit die Wahrheitskommission die Schrecken der Apartheid offengelegt hat, fragen sich viele Weiße: „Wenn wir so grausam zu ihnen waren, was werden sie uns jetzt antun?“
Mzi Khumalo wurde 1955 in einem Township in Durban geboren, als jüngstes von elf Kindern eines Polizeibeamten und einer Putzfrau. Sehr früh begann er, seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Später wurde er Tankwart und lernte, Autos zu reparieren. Bald war er dafür bekannt, für jedes Problem eine Lösung zu wissen. Freunde, die inzwischen studierten und dem African National Congress (ANC) beigetreten waren, zogen ihn für Überwachungsaufgaben, Autobeschaffung und Waffentransporte heran: „Ich habe erst spät ein politisches Bewußtsein entwickelt. Es war eher so, daß der ANC mich entdeckt und rekrutiert hat, als daß ich aus Überzeugung eingetreten wäre.“
Khumalo wurde im Ausland in Stadtguerillalogistik ausgebildet, 1978 verhaftet und nach Robben Island gebracht, wo bereits Nelson Mandela einsaß. „Ich wurde 1990 entlassen und habe nach zwölf Jahren Haft wieder bei Null angefangen. Das Gefängnis zerstört viele, manche aber macht es stärker ...“
Während der Haftzeit hatte er Wirtschaftswissenschaften studiert. Nach seiner Entlassung fand der ehemalige „Pfiffikus der Townships“ auch weiterhin Gefallen an der Welt der Geschäfte. Er wurde Börsenmakler, dann gründete er eine Unternehmensberatung. Sechs Jahre nach seiner Haftentlassung brachte er eine Investorengruppe zusammen, zu der unter anderem Versicherungsgesellschaften gehörten, die mit den Pensionsfonds von dreihunderttausend schwarzen Südafrikanern arbeiten. Mit Unterstützung dieser aufstrebenden schwarzen Bourgeoisie trieb er rund eine Milliarde Mark auf, um die Aktienmehrheit von JCI, dem viertgrößten Unternehmen im Goldbergbau Südafrikas zu erwerben.
Mzi Khumalo ist der erste schwarze Südafrikaner, der das legendäre Minenunternehmen kontrolliert. Dieser Pionierbetrieb des „Rand“, der Region der Goldminen, wurde 1888 von Barney Barnato gegründet, der bereits mit den Diamanten aus Kimberley reich geworden war. Er war es auch, der alle notwendigen Grundstücke kaufte, auf denen dann Johannesburg entstand.
Schwalbe mit Straußenei
DIE Geschichte von JCI wäre ein guter Stoff für eine Fernsehserie. Nachdem er vom Bergbaukonzern De Beers (“Ein Diamant ist unvergänglich“) zum Präsidenten auf Lebenszeit bestellt worden war, starb Barney Barnato mit 42 Jahren unter seltsamen Umständen: Er fiel vor den Augen seines Neffen Solly Joel vom Deck eines Überseedampfers ins Meer. Joel half dann 1917 dem späteren unbestrittenen König der Gold- und Diamantenbranche, Ernest Oppenheimer, mit seiner Anglo American Corporation of South Africa, das De-Beers-Unternehmen an sich zu reißen.
Obwohl Anglo-American (Gold) und De Beers (Diamanten) als zwei unabhängige Gesellschaften auftreten, besitzt jede Anteile an der anderen. Die sechshundert Unternehmen, die von ihnen abhängen, bilden einen der zwanzig weltweit mächtigsten Konzerne, einen wahren Staat im Staate Südafrika, in dem die Einnahmen aus dem Gold nur noch 10 Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen.
Nach dem Sturz des Apartheidregimes beschloß Anglo-American, um den Zugang der schwarzen Bevölkerung zur wirtschaftlichen Macht zu fördern – das unumgängliche black empowerment –, die JCI nur an einen schwarzen Interessenten zu verkaufen. Doch Geschäft ist Geschäft, und der Meistbietende erhält den Zuschlag. Und so wurde JCI dreigeteilt: Anglo-American behielt die Platingeschäfte, die Industriebeteiligungen wurden separat unter dem Namen „Johnnics“ verkauft und die Gold- und Kohleminen als JCI.
Außer Khumalo gab es noch einen weiteren Bewerber: Cyril Ramaphosa, ein brillanter junger Rechtsanwalt und berühmter ANC-Aktivist. 1982 hatte er die erste Bergbaugewerkschaft, die National Union of Mineworkers, gegründet und 1987 zu dem Streik aufgerufen, der das Apartheidsystem erschüttern sollte.
In den Monaten vor dem Verkauf von JCI sahen alle Kenner des Rand-Gebiets Ramaphosa als den Gewinner. Doch am 28. November 1996 machte Khumalo das Rennen. Sein Angebot an die Anglo-American lag um 11 Prozent höher als der Aktienkurs an der Börse. Zunächst wurde dieses Beispiel wirtschaftlicher Dynamik des neuen Südafrika enthusiastisch aufgenommen, die JCI-Aktien stiegen nach dem Verkauf um 20 Prozent.
Im Januar 1997 besuchte Mzi Khumalo zum ersten Mal die Minen der JCI. Der Leiter der Gold-Abteilung, John Brownrigg, gab ihm, in allgemeinverständlichen Worten, eine Zusammenfassung der komplizierten technischen Aspekte. Die Arbeitnehmer in den Minen nannte Brownrigg manchmal miners und manchmal mineworkers. Khumalo fragte nach dem Unterschied zwischen beiden Begriffen. „Nur diejenigen, die einen Schein für Sprengstoff haben, können sich miner nennen. Die anderen, die Kategorien 1 bis 8 [es gibt im ganzen zwanzig Kategorien] sind mineworkers.“
Die „Kategorien 1 bis 8“ sind Hunderttausende Männer, die bei 40 Grad Celsius in einer Tiefe von 2000 bis 4000 Metern in den Stollen arbeiten, das Gestein durchbohren und die Brocken nach den Sprengungen abtransportieren. Jedes Jahr gibt es etwa fünfhundert tödliche Unfälle. Von 1897 bis 1970 sind die wertbereinigten Löhne dieser Arbeitskräfte nicht gestiegen. Das ist die Grundlage der kolossalen Vermögen, die die Unternehmen im Rand angehäuft haben.
Doch diese mineworkers haben kein Recht auf den Titel miner und kaum eine Chance, den Schein für den Umgang mit Sprengstoff zu bekommen. Unter dem Apartheidregime hatte diese Diskriminierung einen Namen: Es war die „Farbenschranke“, die qualifizierte Arbeitsplätze den Weißen vorbehielt. Diese „Kategorien 1 bis 8“ waren es, die Cyril Ramaphosa 1987 ohne jede Streikkasse in den drei Wochen des berühmten Streiks mobilisieren konnte. Khumalo war damals zwar im Gefängnis, aber dennoch löste seine Frage Verwunderung aus.
Er besuchte auch den neuen Bohrschacht, South Deep genannt, der Zugang zum größten bisher bekannten Goldvorkommen verschaffen soll: Sechzig Millionen Goldunzen werden in 2500 Meter Tiefe vermutet. Das höchste Fördergerüst der Welt steht bereits, aber im jetzigen Baustadium gibt es noch keinen Förderkorb. Es wird vertikal bis zur gewünschten Tiefe gebohrt. Man wird in einem riesigen Stahleimer hinuntergelassen, inmitten von Höllenlärm und Sickerwasser. Unten bewegt sich unter gewaltigem Schnaufen eine gigantische Stahlhand. Um sie herum scheinen die Minenarbeiter im Kreis zu tanzen. Mit ihren Armen ahmen sie die Bewegungen der Stahlhand nach, um den Geräteführer, der zwanzig Meter höher in einer Steuerkanzel sitzt, zu leiten.
Wieder im Tageslicht angelangt, gestand Khumalo, er sei „überwältigt“. Im Stadion wandte er sich auf Zulu an die Bergleute der verschiedenen ethnischen Gruppen, in kurzen Sätzen, die einzeln übersetzt wurden. Er betonte die historische Bedeutung der Kontrolle der JCI durch schwarze Besitzer. Er beruhigte aber auch die weißen Mitarbeiter: Die Aktionäre hätten zwar gewechselt, aber JCI sei weiterhin JCI. Und er fügte hinzu, daß er die Arbeitsverhältnisse in der Bergbauindustrie verändern wolle.
Am Ende seiner Rede, als die Bergleute das Stadion verließen, umringten etwa hundert von ihnen den neuen Boss, um ihm die Hand zu schütteln. Abends jedoch, in den Baracken der Compounds, gestanden viele, sie hätten nichts verstanden. Warum war die Rede nur ins Englische und in Xhosa übersetzt worden und nicht ins Fanakalo, den von allen verstandenen Bergarbeiterdialekt?
Ein Jahr später, am 29. Januar 1998, hatte Khumalo sowohl den Vorsitz von JCI aufgegeben als auch seinen Sitz im Verwaltungsrat. Von „Feigheit“ war die Rede. Ein Geschäftspartner sprach von der „Schwalbe, die ein Straußenei legen wollte“. Unvorhergesehenes war eingetreten: Der Goldpreis war drastisch gefallen. Zur Zeit kostet eine Unze weniger als 300 US-Dollar. Das kann schon bald zur Schließung von mehr als der Hälfte aller Goldminen der Welt führen. Und in den Finanzblättern ist davon die Rede, Gold sei nur noch ein Rohstoff unter anderen.
Im Verlauf dieses dramatischen Jahres verschärften sich die Auseinandersetzungen innerhalb des Verwaltungsrats. Drei Parteien waren gegeneinander angetreten: zum einen die weißen Partner von Khumalo unter der Führung von Brett Kebble, die sich nur auf das Goldgeschäft konzentrieren wollten; zum anderen eine Gruppe, die für den Verkauf von JCI und die Aufteilung des Gewinns eintrat, und schließlich eine dritte Gruppe, die, gemeinsam mit Khumalo, von einer „afrikanischen Bergbaugesellschaft von Weltrang“ träumte. Viele Aktionäre hatten daraufhin ihre Anteile verkauft, die JCI-Aktien fielen auf die Hälfte ihres Wertes.
Wer wird sich die Überreste der von Brett Kebble in Stücke geschlagenen JCI sichern? Die Ausbeutung von Schächten wie South Deep erscheint als die einzige gewinnträchtige Aktivität. Nur Anglo- American hat die finanzielle Kapazität, das neue Unternehmen JCI-Gold aufzukaufen. Aber wenn sie billig zurückkauft, was sie teuer verkauft hatte, wird JCI zur ersten großen Niederlage des black empowerment. Brett Kebble hat erst kürzlich erreicht, daß Anglo-American der JCI- Gold den South-Deep-Schacht überläßt, unter der Bedingung, daß sich erneut eine Gruppe schwarzer Investoren bildet. Sicher ist nur eines: Falls der Goldpreis nicht wieder steigt, werden die Männer der „Kategorien 1 bis 8“ zu Zehntausenden entlassen werden. Khumalo fängt noch einmal von vorne an und gibt sich zehn bis fünfzehn Jahre, um ein neues, vollständig von Afrikanern kontrolliertes Bergbauunternehmen aufzubauen. Und er erklärt: „Sobald ich stark genug bin, werde ich es mit der ganzen Welt aufnehmen.“
dt. Christiane Kayser
* Journalist, Dokumentarfilmer, Autor von „Il fait sombre, va-t-en“, Paris (Hazan) 1994.