Frankreich zu Fuß
Fünfzig Tage lang zu Fuß von West nach Ost, vom Mont Saint-Michel bis nach Grenoble, rund tausend Kilometer über Wanderwege, Feldraine und kleine Landstraßen – keine Abenteuerroute, doch eine Entdeckungsreise besonderer Art.
■ Von CHRISTIAN DE BRIE *
AN einem feuchtkalten Aprilmorgen im Bocage, der normannischen Heckenlandschaft an der Küste des Ärmelkanals, dämmert dem Debütanten schon nach wenigen Stunden, was mit der Zeit zur Gewißheit wird: Ein einsamer Wanderer mit Rucksack zählt nicht ganz zur menschlichen Gattung. Die gestern noch seinesgleichen waren, beäugen heute mit ungläubiger und spöttischer Neugier diesen humanoiden Zweifüßer, ihren entfernten Verwandten, der sich völlig unmotorisiert auf den Weg gemacht hat.
Nicht, daß diese Fortbewegungsart unbekannt wäre; im Gegenteil, sie wird offensichtlich sogar immer mehr praktiziert, jedoch unter streng kodifizierten Bedingungen: in der Familie oder Gruppe, zu festen Terminen, am Wochenende oder in den Sommerferien, auf nach Schwierigkeitsgraden ausgeschilderten Wegen – vom lokalen Rundwanderweg bis hin zum Trekking in der Wüste Gobi, nicht zu vergessen die unumgänglichen Montblanc-Touren und der Jakobsweg, diese Autobahn des Wanderers.
Ansonsten sind die Fußwege verlassen, denn lange ist es her, seit man zu Fuß durch die Lande zog: Früher wanderten Tausende Tippelbrüder und Tagelöhner auf der Suche nach Arbeit umher, Straßenräuber, Pilger, Zigeuner und ärmliche Vagabunden bevölkerten die Wege; aber auch neugierige Künstler wie Maupassant oder Delacroix, Mark Twain oder Stevenson, Dickens oder Villermé sind zu Fuß gegangen. Die heutigen Rucksacktouristen folgen den Reiseführern und deren Preisangaben; während sich die Obdachlosen meist nur bis zum Stadtrand vorwagen, wo hinter den Industriegebieten und Großmärkten die urbane Endstation liegt: mit Müllhalden, Kläranlagen und Schrottplätzen.
In den Dörfern wird der Wanderer nicht selten mit einer verstohlenen Geste empfangen – ein kreisendes Handgelenk mit gegen die Schläfe gehaltenem Zeigefinger –, die er gerne als alten ländlichen Willkommensgruß interpretieren würde; des öfteren fragen ihn Kinder, die auf den Schulbus warten, weshalb er so früh am Morgen, mit einem Rucksack auf dem Buckel wie ihresgleichen, unterwegs sei, obwohl er dies Alter doch sichtlich hinter sich gelassen hat; gelegentlich wird er auch von Gesetzeshütern ausgefragt, die es irritiert, in ihm weder einen flüchtigen Anstaltsinsassen noch den vertrauten Typus des Autofahrers vor sich zu haben, der eine Panne hatte. So gelangt der einsame, unzeitgemäße Wanderer zu der Überzeugung, er sei in die Welt der Tiere zurückgekehrt, zumal ihn bald ein instinktives Zusammengehörigkeitsgefühl mit einer Vielzahl von gemarterten Tieren ergreift – Eidechsen, Igeln, Käfern, kleinen Vögeln und so weiter –, die er in den Asphalt der Landstraße eingewalzt findet. Nicht nur weiß er, daß ihm bei der geringsten falschen Bewegung dasselbe Schicksal blüht, sondern er ahnt auch, welchen Schrecken diese rasenden mechanischen Ungeheuer jedem empfindungsfähigen Lebewesen einjagen.
Wandern vermittelt einem vor allem ein Gefühl unermeßlicher Freiheit, so daß das andere Leben einem als eine einzige Anhäufung von Zwängen erscheint, als lebten wir tagtäglich unter dem Joch jener Technologien, die zu beherrschen wir vorgeben. Jeder kennt die Situation, wenn plötzlich ein ohrenbetäubendes Dröhnen in die ländliche Stille einbricht, lange bevor das Auto zu sehen ist. In diesem Moment weiß man, wer die Opfer jener Just-in-time-Produktion sind, bei der um des Profites willen die Lebensqualität der kleinen Leute Schaden nimmt, weil unablässig Waren über Landstraßen rollen müssen.
Die Ungeduld verlieren
DANN sitzt der Wanderer eines Morgens im Billard-Café eines gottverlassenen Dorfes. Draußen regnet es, und drinnen, im Dunst von kalten Tabakschwaden und lauem Zichorienkaffee, schlagen drei Arbeitslose mit Tischfußball die Zeit tot, während alte Eddie-Mitchell-Hits ertönen. Das lange Warten auf ein Aufklaren des Himmels wird vergällt durch ein unaufhörliches Vibrieren aller Gegenstände – selbst die Türglocke, die gewöhnlich das Eintreffen eines Gastes verkündet, zittert. Das Beben rührt her von den riesigen Lastwagen, die ununterbrochen an den Häusern entlangdonnern. Offensichtlich werden die Fahrzeuge nicht wirklich beherrscht; die Männer am Steuer erscheinen vielmehr als Teil der sie beherrschenden Maschinen.
Im Frühling zu wandern heißt auch, eine vergessene Welt aus Gerüchen, Farben und Geräuschen zu entdecken, eine Zeit wiederzufinden, die mit der Kindheit verlorenging. Es heißt, in den Gemälden von Renoir und Monet zu promenieren, am Ufer der Loire, von Sancerre nach Puilly, zwischen zwei Gläsern goldenen Weines. Es heißt, endlich jede Ungeduld zu verlieren und – wie Jean Giono – „gemächliche Nachmittage, samtene Abende, das Rascheln der Linden wie das Plätschern eines Alpenbächleins“ zu erleben, sich an den Weihern des Dombes-Flusses am Duft des wilden Eisenkrauts zu berauschen, während Löffelenten und Fischreiher geruhsam ihre Kreise ziehen. Da die andere Welt ganz nah ist, begegnet man ihr an jeder Wegbiegung, inmitten dieser französischen Ländlichkeit, wo die außergewöhnlichen und verwirrenden Eindrücke sich mischen, kreuzen und überlagern.
Zwischen Saint-Pois und Mortain fegen, vom Westwind getrieben, Wellen feinen, dichten Regens über die normannische Landschaft, die an diesem Sonntag verlassen wirkt. Die Wanderwege sind kaum begehbar; auf ebenem Gelände schlammig und sumpfig, verwandeln sie sich beim geringsten Gefälle in strömende Bäche. Der Wanderer, der sich verlaufen hat, watet durchnäßt und verfroren, bis zu den Knöcheln im Morast versinkend, über das Gelände eines Bauernhofs; und schon überfällt ihn, fern der gewohnten, beruhigenden Landschaft mit ihren properen, von Hortensien gesäumten Höfen, den schöngeschnittenen Hecken und blühenden Apfelbäumen, ein vages Unbehagen.
Der Ort wirkt recht düster: armselige und heruntergekommene Wohn- und Wirtschaftsgebäude, Winkel voller Schrott, Bohlen und Plastikbehälter, die unter Brombeersträuchern und Brennesseln verschwinden, altersschwache, rostige Traktoren und andere Landmaschinen, und ein riesiger, schwarzer Köter mit gelben Augen, der den Eindringling anknurrt. Alles zeugt von einem Leben in Abgeschiedenheit und Armut. Ein verschüchterter Jugendlicher hinter einer überladenen Schubkarre geht zum Stall, wo ein älterer Mann mit hartem und müdem Gesicht dem Wanderer rasch und umstandslos den Weg weist. Gerade als dieser den Hof verlassen will, der wie ein Relikt aus einer anderen Zeit wirkt, wie ein Postkartenmotiv vom Jahrhundertbeginn, flitzt auf der nahe gelegenen Straße, lautlos gegen den Wind, die Werbekarawane eines lokalen Fahrradrennens vorbei; fast unwirklich, wie in einem Film von Fellini, gleiten oberhalb der Hecken und Büsche bunte Schilder, Tafeln und Ballons vorbei. Begegnung zweier Welten, die nebeneinanderher existieren, ohne sich wahrzunehmen.
Im Herzen der Altstadt von Domfront steht auf einem Hügel eine Kirche mit merkwürdig byzantinischen Fresken; drinnen blättert ein Organist in seinen Noten. Die Türen stehen weit offen. Draußen auf dem Platz sitzt eine bunt gemischte, lustige Gruppe Jugendlicher in einem Café und unterhält sich lautstark; man stellt sich vor, daß sie die Schule schwänzen, eine verschworene Gemeinschaft, die die ersten zarten Bande knüpft, wie sie diesem Alter eigen sind. Zwei Schritte weiter spielt ein kleines Mädchen Diabolo. Die Schaufenster der Stadt, von der Apotheke bis hin zur Metzgerei, sind, wie überall sonst auch, mit einer Überzahl an Fußbällen, Fahnen, T-Shirts und Fotos dekoriert – die bevorstehende Fußball-WM läßt grüßen. Plötzlich erfüllt eine Fuge von Bach die menschenleeren, stillen Gassen in der sengenden Sonne des Nachmittags. Die Jugendlichen sind verstummt, horchen aufmerksam und neugierig auf. Das kleine Mädchen hält Stäbe und Spule fest an die Brust gepreßt und lauscht mit großen Augen. Für einen langen Augenblick bleibt die Zeit stehen. Dann spielt die Kleine weiter, und, als wäre es ein Signal, nehmen auch die Jugendlichen ihre Gespräche wieder auf.
Unweit von La Ferté-Bernard führt die Straße an einem seltsamen Denkmal vorbei, das die Bewohner eines kleinen Dorfes zur Erinnerung an drei US-Soldaten aufgestellt haben. Sie starben am 10. August 1944, nur hundertfünfzig Kilometer von der Küste der Normandie entfernt, zwei Monate nach der Landung der alliierten Truppen und fünfzehn Tage vor der Befreiung von Paris; die deutsche Gegenoffensive bei Mortain war bereits gescheitert, und die fanatisierten Nazis der SS-Panzerdivisionen waren bei Falaise militärisch aufgerieben worden. Das Denkmal zeigt ein Maschinengewehr, das von den zwei GIs bedient wird, außerdem deren Portraits in einem Medaillon. Jungengesichter. Vielleicht kamen sie aus dem tiefen Mittleren Westen und wurden hier im normannischen Bocage abgeschlachtet, noch ehe sie hatten herausfinden können, wie man die Hölle des Kriegs überlebt.
Sechzig Kilometer und drei Etappen südlicher, in Montoire-sur-le-Loir, ist die Erinnerung an sie noch wach. Dort hatte vier Jahre und rund vierzig Millionen Tote früher, am 24. Oktober 1940, Hitler Pétain getroffen. Ein schändlicher Handschlag. Der „Führer“ war in seinem gepanzerten Zug auf dem Rückweg von Hendaye, wo er – vergeblich – versucht hatte, das franquistische Spanien für eine Beteiligung an der Blockade gegen England zu gewinnen. Hier in Montoire-sur-le-Loir holte er sich den Zuschlag Vichys zur „Kollaboration“ Frankreichs, bevor er nach Florenz fuhr, um Mussolini zu treffen.
Das von deutschen Sicherheitskräften und Soldaten abgeriegelte Städtchen war nicht zufällig ausgewählt worden. Es lag auf dem Weg zwischen Berlin und der spanischen Grenze in der besetzten Zone, nicht allzuweit von Vichy entfernt, und hatte einen unauffälligen, etwas abgelegenen Bahnhof direkt neben einem Tunnel, der im Falle eines – freilich unwahrscheinlichen – britischen Luftangriffs als Schutz hätte dienen können. In dem mittlerweile stillgelegten Bahnhof erinnert heute nichts mehr an dieses Ereignis – nur das kleine Hotel ist noch immer in Betrieb. An der Bar trinkt ein Arbeiter im Blaumann, der auf einem Bagger vorgefahren ist, ein Radler und klimpert auf einem Handy herum, bis er endlich seinen Chef erreicht, doch bei den übrigen Gästen löst diese Szene kaum mehr Aufmerksamkeit aus, als wenn er sich eine Zigarette drehen würde.
Den Augenblick genießen
VON Chavignol aus geht es ruhigen Schritts durch großartig geschwungene Weinberge hin zu dem Dörfchen Sancerre, das im Schatten der Bäume, die beim leisesten Windhauch in Bewegung geraten, über der Loire thront: Ziegeldächer mit unterschiedlichen Farbschattierungen, die mit blaugrauen, gebrochen weißen und altrosa Fassaden harmonieren. Wie überall sind auch hier alt und neu eng benachbart. In der alten Wäscherei kann man Kommunionskleider mieten; der Preis steht mit Kreide auf einer Schiefertafel angeschrieben. Nebenan, im Computerladen, wird die allerneueste Bürosoftware inklusive Schulung und Wartung zu einem Pauschalpreis in Euro angeboten. Und die kindliche Lähmung, die sich bei den wohlbeleibten Insassen des Touristenbähnchens aufgrund der Werbeflut eingestellt hat, verfliegt beim Anblick der riesigen rauchenden Kühltürme des Atomkraftwerks von Cosne-Cours-sur-Loire.
An einem sonnigen Morgen am Ufer des Cher zwischen Montlouis und Chenonceaux nimmt der pensionierte Bauer, der in seinem Gärtchen herumhackt, den Gruß des Wanderers zum Anlaß für eine Unterbrechung. Er nimmt seine Mütze ab, stützt sich auf seine Hacke und hält ein Schwätzchen. Alles wirkt lieblich hier: das Plätschern von Wasser, das Meer von Glyzinien, die Fliederbüsche, die im sanften Wind duften; und so dächte man, hier würde man ein paar schöne Worte über das liebliche Frankreich des Loiretals wechseln, das seit jeher ein Lieblingsort der Götter und Fürsten war.
Doch bald schon will der alte Mann von etwas anderem reden, als ob es ihn dränge: vom Algerienkrieg, wie er ihn erlebt hat bei der Artillerie unweit der tunesischen Grenze. Da der Mann ein talentierter Erzähler ist, muß der Wanderer fast eine Stunde lang teilhaben an jenen Bildern von Granaten und Napalmbomben, die auf alles abgeworfen werden, was sich in der Sperrzone bewegt, Männer, Frauen, Tiere; Dutzende am Boden liegende Körper, Massengräber, die mit Bulldozern ausgehoben und wieder zugeschüttet und mit Planierraupen eingeebnet wurden, so daß heute nichts mehr von ihnen zu erkennen ist. Vierzig Jahre später verrät der nach wie vor fassungslose Blick, daß der Mann die Massengräber, die niemand je entdecken wird, nicht vergessen kann und vergebens in sein kleines Paradies geflüchtet ist: er wird dort nie wirklich Zuflucht finden.
Kurz vor Nevers auf dem schattigen Treidelpfad längs des Verbindungskanals zur Loire sieht der Wanderer auf einem alten kupferroten Flußkahn langsam ein britisches Ehepaar in mittleren Jahren vorübergleiten. Sie legen an und bieten ihm einen Schluck Wasser an, den er dringend braucht, während inzwischen die rituelle cup of tea zubereitet wird. Eine endlos lange Zeit, während derer man schweigend und ohne jede Ungeduld auf ein unsägliches Gebräu wartet, das sodann wie Nektar in kleinen vorsichtigen Schlücken genossen wird. Es ist einer jener Augenblicke, die aus nichts bestehen und für uns mehr Gewicht haben als aller Lärm der Welt. Wenig später entdeckt der Wanderer zufällig die schlichte Stele, die an den tragischen Suizid von Pierre Bérégovoy erinnert; vielleicht ist er an diesem so friedvollen Fleckchen Frankreichs daran gestorben, daß niemand ihm beizeiten eine Tasse Tee reichte.
Der Schienenbus hat den Wanderer in Dompierre- sur-Besbre aufgelesen, an dem verlassenen, doch rosenübersäten Bahnhof, und ruckelt nun mit voller Kraft Richtung Moulins, wo sich das Triptychon des nach dieser Stadt benannten namenlosen Meisters befindet. Während die Sonne untergeht, fährt der Zug hin und wieder pfeifend an Wiesen vorbei, auf denen plastikverschweißte Heubälle sorgsam aufgereiht stehen. Beunruhigt schaut eine Gruppe japanischer Angestellter (Reiseleitung und Vuitton-Koffer) wie wir aus dem geöffneten Fenster. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein Doppeldecker zwanzig Meter über uns in voller Geschwindigkeit mit unserer Lokomotive flirtet. An ihren andächtigen Gesichtern ist abzulesen, daß sich die Japaner länger an dieses unvorhergesehene Ereignis erinnern werden als an die Abtei von Paray-le-Monial, die sie vermutlich gerade besucht haben.
Einen Ausflug zu den ersten Ausläufern der Weinberge des Beaujolais bricht der Wanderer ab und kehrt, vor sintflutartigem Regen flüchtend, demütig nach Tarare zurück. Frühmorgens verkehrt nur der Schulbus, der unzählige Umwege fährt, um Trauben von Kindern einzusammeln. Sie duzen den Fahrer, der aus Martinique stammt, und begrüßen ihn mit einem Kuß auf die Wange. Das Gefährt ist eine Art fahrbare Außenstelle der Schule, ein Pausenhof, den der aufsichtführende Chauffeur vergeblich in ein Klassenzimmer zu verwandeln sucht. Nach dem Halt an der Schule bleiben nur noch ein paar alte Frauen sitzen, die weder Führerschein noch Auto haben und den ganzen Tag in der Stadt verbringen, während die Dörfer verlassen sind.
So ist es fast in allen Gegenden, die der Wanderer durchquert. Ein merkwürdiges Paradox: Die Arbeit muß man immer woanders suchen gehen, obwohl viele Städtchen, Schlösser und Burgen mit enormer Geschicklichkeit und einer Fülle von ausgeklügelten Aktivitätsangeboten immer mehr Touristen anlocken.
Während der Wanderer sich die steilen Hänge des Charmant Som in der Chartreuse hinaufmüht, steht er plötzlich vor einem toten Reh, das quer über dem Weg liegt. Während der sechs Wochen seines Fußmarsches waren ihm so viele wilde Tiere wie Wanderer begegnet, nicht einmal im wunderbaren Wald von Andaine bei Bagnoles-de-l'Orne oder im Wald von Vouzeron bei Vierzon waren es mehr.
Eine dichte Decke von Schmeißfliegen umhüllt den Rehbock und verrichtet laut brummend ihre Arbeit. Einzig der Kopf ist noch unversehrt, und die samtenen Augen scheinen eine letzte Abwehr gegen den Tod auszudrücken. Gewiß hat er ebenso wie der Wanderer die Kühle des frühen Morgens und die Milde des Frühlings gespürt, ehe er von einem Wilderer erlegt wurde. Wie sollten wir – blind und taub gegenüber menschlichem Leid – nicht auch stumpf sein gegenüber dem tierischen Leben, aus dem wir hervorgegangen sind und das wir, wie die ganze Natur, heutzutage nur in ihrer domestizierten und ausgebeuteten Art kennen?
dt. Eveline Passet
* Christian de Brie, Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Paris-VIII, war fünfzehn Jahre Mitglied der Redaktion von Le Monde diplomatique. Engagiert und rigoros widmete er sich insbesondere den Themen Menschenrechte, Bürgerrechte, Steuersystem, Rechtsextremismus, Sport sowie Geopolitik des südlichen Afrika. Anfang dieses Jahres ging er in den Ruhestand und verwirklichte sich einen alten Traum: Frankreich zu Fuß zu durchqueren. Wir freuen uns, daß er sich bereitgefunden hat, uns - und unseren Lesern - die stärksten Eindrücke seiner Wanderung zu schildern.