11.12.1998

Neun Frauen begehren auf

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Neun Frauen begehren auf

„Paradise“ von Toni Morrison, New York (Knopf) 1998.

GIBT es das Paradies? Man kann es erschaffen, antwortet Toni Morrison. Aber es wird stören. Denn es wird aus Frauen bestehen, die aus dieser Männerwelt ausbrechen, in der sie unterdrückt werden. Die Männer werden den Krieg erklären und ihn mit dem ruhigsten Gewissen führen. Ohne zu begreifen, daß auch sie verlieren werden. Und zwar alles. Insbesondere ihre Erinnerung, ihre Wurzeln. Allen voran die Afroamerikaner. Weil sie jede erdenkliche Schmach erlitten haben, weil sie als unsichtbar gelten in der amerikanischen Gesellschaft, die auf dem Rassismus aufgebaut worden ist. Kann man zur Befreiung beitragen, indem man sich so verhält wie die Unterdrücker? Eine heikle Frage, die die Autorin da aufwirft. „Krieg“ wollte sie ihren Roman nennen, der Verleger bevorzugte „Paradies“.

Neun Frauen beschließen eines schönen Tages, sich von ihren Ketten zu befreien. Gemäß der großen amerikanischen Tradition gehen sie fort. Sie suchen einen Ort, wohin sie gehen könnten, und finden sich schließlich in einem Kloster wieder. Alt, neu? Man weiß es nicht. Es spielt auch keine Rolle. Wie auch der Grund ihres Aufbegehrens und ihre Vergangenheit. Unwichtig. Was zählt ist, daß sie einander begegnen. Daß sie zusammen leben. Gemeinsam. Toni Morrison weiß nicht alles von ihnen. Sie ist nicht Gott. Sie begnügt sich damit, hinzuschauen, die Reaktionen aufzuzeichnen. Und die Konflikte. Mit der Stadt, die ausschließlich von Schwarzen bewohnt ist (typisch für den Süden der USA), aber auch die Konflikte untereinander. Sie kämpfen, sie zerfleischen sich, sie haben ihre Liebesgeschichten. Kurz: das ganze Leben. Daß eine von ihnen weiß ist, spielt in der Welt, die sie sich aufbauen, keine Rolle.

Sie werden sterben. Das wissen wir von Anfang an. Aber ihr Geist wird uns keine Ruhe lassen. So werden sie auch im Gedächtnis jener Frauen lebendig sein, die vielleicht eines Tages einen ähnlichen Versuch unternehmen werden.

TONI MORRISON, die 1993 den Nobelpreis für Literatur erhielt, wollte in ihrem Werk die Freiheiten dieser neun Frauen miteinander verschmelzen. Um gegen alle Verfälschungen und Verzerrungen zu kämpfen. Wie etwa die von Louis Farrakhan und seiner Gruppe „Nation of Islam“. Nein, die Frauen dürfen nicht zu Hause bleiben. Im Gegenteil, sie stehen mitten im politischen Kampf. Sie sind die Trägerinnen der Erinnerung, der Kultur. Ohne sie gäbe es weder den Blues noch das Gospel, und folglich hätte auch der Jazz nicht entstehen können. Diese Musik, dieses Lebensgefühl vibriert in dem Buch. Es ist der Swing, der ohne Freiheit undenkbar ist.

NICOLAS BENIES

Le Monde diplomatique vom 11.12.1998, von NICOLAS BENIES