In der Schule des Rassismus
„Funny Boy“ von Shyam Selvadurai, aus dem Englischen von Christiane Mothes, Mannheim (Bollmann) 1996.
DER kleine Junge Arjie ist fasziniert von Hochzeiten. Nichts liebt er mehr, als sie mit seinen Cousinen nachzuspielen, und er weist sich dabei stets dieselbe Rolle zu: die der Braut. Und wenn der Vater, wütend, ihn in dieser Aufmachung zu sehen, sich über sein „seltsames Wesen“ beunruhigt, erfaßt Arjie ein unbestimmtes und rätselhaftes Schuldgefühl. Er ist sieben Jahre alt. Aber dies Anderssein ist nicht das einzige, was ihn zu einem „komischen Jungen“ macht. Als wenig später seine Lieblingstante den Zorn der Familie auf sich zieht, weil sie mit einem Singhalesen verkehrt – das Ganze spielt Anfang der siebziger Jahre in Colombo –, erschüttert auch dies den Jungen. Gut, sie sind Tamilen, na und? Seine Klassenkameraden sind Singhalesen, die Freunde seiner Eltern sind Singhalesen, sie sprechen singhalesisch, und Sri Lanka ist ihr aller Land. Arjie hofft vergeblich darauf, daß ihm jemand das Wort „Rassist“ erklärt, das mit einemmal so häufig fällt. Was es bedeutet, werden ihm – und zwar auf schreckliche Weise – bald die Ereignisse zeigen.
Was an diesem Buch, dem ersten des 1965 in Sri Lanka geborenen Autors, sofort anrührt, ist seine Wahrhaftigkeit. Arjie – und mit ihm der Leser – entdeckt das Leben mit den Augen eines Kindes, eines glücklichen, aber einsamen Kindes wohlhabender Eltern. Er hat keine Freunde und Komplizen, niemanden, der ihm helfen würde, die Welt zu entdecken. Also macht es sich allein daran, versucht, hinter den beschwichtigenden Worten der Erwachsenen die Wahrheit herauszufinden, und saugt begierig alles auf, was da und dort an Neuem aufzuschnappen ist. Doch als ein Freund seiner Mutter, ein Weißer, ihm beibringt, daß man es „heutzutage wie die drei Affen machen muß: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“, und dieser Freund wenig später unter völlig ungeklärten Umständen verschwindet, spürt Arjie, wie er plötzlich erwachsen wird. Seine Welt wird nie mehr so sein wie früher.
Das Buch endet 1983, in dem Jahr, als es in Colombo zu den grausamen Zusammenstößen kam, welche die überlebenden Tamilen zwangen, ins Exil oder den Untergrund zu gehen. Wie alle anderen weiß nun auch der kleine Junge, wer er ist. Sein Vater hatte ihn auf die strengste Schule der Stadt geschickt, damit aus ihm ein richtiger Mann werde. Die Wirklichkeit Sri Lankas hat ihn auf sehr viel effektivere Weise dazu gemacht. Dem Autor Shyam Selvadurai, der heute in Kanada lebt und im Begriff ist, ein englischsprachiger Autor zu werden – ging es in diesem Buch eher um Wahrhaftigkeit als um literarische Effekte. Es ist zu hoffen, daß er diesen Weg fortsetzt.
CELLA MINART