15.01.1999

Warum Saddam Hussein nicht nachgeben wird

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Warum Saddam Hussein nicht nachgeben wird

Von RAAD ALKADIRI *

IM Dezember letzten Jahres hatte die Welt so etwas wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Es lief alles wie gehabt: zuerst Richard Butlers vernichtender Bericht samt der Behauptung, daß der Irak die Kooperation mit der Unscom verweigere; danach die Verurteilung Saddam Husseins durch die Vereinigten Staaten und Großbritannien; dann die Reaktion aus Bagdad: wilde Empörung über Butlers Schlußfolgerungen und die übliche Anschuldigung, die UN-Kommission sei voreingenommen. Die ganze Krise spulte sich ab wie ein gut einstudiertes und allseits bekanntes Theaterstück, in dem sämtliche Protagonisten ihre mittlerweile vertrauten Texte herunterbeten.

Das Stück läuft nunmehr ohne Unterbrechung seit gut einem Jahr – genauer: seit Oktober 1997 – vor einem internationalen Publikum. Im Dezember 1998 war lediglich der Schluß ein wenig anders als bei früheren Vorstellungen, aber selbst dieser Effekt kam nicht allzu überraschend. Die Regierung in Washington machte, unterstützt von London, wahr, was sie seit Monaten angedroht hatte. Sie realisierte eine ausgedehnte Strafaktion mit Bombenangriffen gegen verschiedene Ziele im Irak.

Für dieses Vorgehen gab es in vielerlei Hinsicht keine Alternative. Wozu hätte man sonst soviel Zeit und politisches Kapital aufgewendet, die Bedrohung an die Wand zu malen, die Saddam Hussein angeblich für den Frieden und die Sicherheit der Welt darstellt? Wozu sonst hätte man sich abgemüht, den Einsatz jedes alternativen Mittels zur Lösung des irakischen Problems erfolgreich abzublocken, während sich Saddam an der Macht halten konnte? Angesichts dessen galt es die Glaubwürdigkeit der US-amerikanischen (und damit auch der britischen) Politik gegenüber dem Irak zu demonstrieren, mithin die Entschlossenheit, Gewalt anzuwenden.

Der Zyklus der Konfrontation wird zur Spirale

ZWAR kam der Zeitpunkt der Militäraktion – und erst recht der des Butler-Berichts – dem amerikanischen Präsidenten angesichts seiner innenpolitischen Probleme verdächtig gelegen, aber das war gewiß nur ein Nebenaspekt. Der Showdown, der im Dezember ablief, war ganz und gar unvermeidlich. Die Frage war nur gewesen, wann er vonstatten gehen würde.

Nachdem jetzt die Sache, zumindest fürs erste, vorüber ist, liegt die Frage auf der Hand, ob die viertägigen militärischen Operationen die Situation wirklich verändert haben. Mit ziemlicher Sicherheit muß diese Frage verneint werden. Alles spricht dafür, daß der Zyklus der Konfrontation, der sich über die letzten vierzehn Monate hingezogen hat, eine Fortsetzung finden wird. Zwar gibt es in Randaspekten ein paar neue Akzente, die sich im Endeffekt als bedeutsam erweisen könnten: etwa die Tatsache, daß Washington und London offenkundig gewillt sind, auf das völkerrechtliche Dach des UN-Sicherheitsrates zu verzichten und ohne breite internationale Unterstützung zu handeln. Aber davon abgesehen ist das Problem in seinen Grundelementen nach wie vor dasselbe.

Am deutlichsten sieht man das vielleicht auf irakischer Seite. Saddam Hussein mag seine Taktik im Lauf der Zeit geändert haben, aber sein strategisches Ziel blieb stets unverändert. Es geht ihm um das Überleben des irakischen Regimes und seiner Person an dessen Spitze.

Die irakische Außenpolitik, und speziell die Politik gegenüber den UN-Waffeninspektoren, wird zweifellos auch von anderen Faktoren beeinflußt. Da spielt etwa der unerbittliche Nationalstolz eine Rolle, oder der Wunsch, den Irak erneut als führende Kraft im Mittleren Osten zu etablieren, was man als seine natürliche Bestimmung empfindet; oder die Weigerung, sich nach dem Golfkrieg von 1991 in die Rolle des Besiegten zu fügen und die daraus resultierenden Bedingungen und Abkommen zu akzeptieren. Doch all diese Faktoren sind zweitrangig gegenüber dem übergeordneten Ziel des Überlebens – und seiner Begleiterscheinung, nämlich Furcht und Mißtrauen.

Von diesem Überlebensdrang getrieben, versucht das irakische Regime seit 1991 eine Bedrohung abzuwenden, die langfristig als eine Hauptgefahr für die Zukunft des Landes gesehen wird. Wenn die Unscom in der irakischen Rhetorik als Werkzeug der CIA und des israelischen Mossad angeprangert wird, mag dem durchaus ein ernstgemeinter Verdacht zugrunde liegen. Doch es ist keineswegs dieser Aspekt, der die Iraker am meisten verschreckt. Weitaus bedrohlicher ist für sie die Aussicht, die Unscom könnte die ihr übertragene Aufgabe erfolgreich abschließen und das volle irakische Potential zur Herstellung nichtkonventionaller (vor allem biologischer und chemischer) Waffen aufdecken.

Der dringliche Wunsch des Regimes, dies zu vermeiden, hat weniger mit seiner Absicht zu tun, benachbarte oder weiter entfernt liegende Länder zu bedrohen, als vielmehr mit seiner Einschätzung der Machtverhältnisse in der gesamten Nahostregion. Der Irak sieht sich als Staat, der von potentiell feindlichen Nachbarn umzingelt ist, die alle entweder nichtkonventionelle Waffen herstellen können oder dabei sind, das entsprechende Potential zu entwickeln.

Daraus ergibt sich ein klassisches „Sicherheitsdilemma“. Jeder Bericht, der einem regionalen Gegenspieler die Fähigkeit zur Produktion oder zur Weiterentwicklung von Massenvernichtungsmitteln zuschreibt, löst in Bagdad das Gefühl aus, noch verwundbarer zu sein. Das gilt vor allem, wenn der Irak ausdrücklich als mögliches künftiges Ziel solcher Waffen genannt wird, wie es Anfang 1998 der Fall war, als der Iran den erfolgreichen Test einer Mittelstreckenrakete meldete.

Infolgedessen sieht Bagdad durch die Arbeit der Unscom die nationale Sicherheit des Irak und die Sicherheit des eigenen Regimes bedroht. Man glaubt, daß man ohne eigene Massenvernichtungswaffen gegenüber den Nachbarstaaten ins Hintertreffen gerät. Vor diesem Hintergrund kann es nicht nur darum gehen, daß der Irak sich nicht zur Hegemonialmacht der Region aufschwingen kann. Man muß vor allem auch dem Problem gerecht werden, daß der Irak damit der Fähigkeit beraubt wäre, sich selbst zu verteidigen oder potentielle Aggressoren abzuschrecken.

Auf dieser Linie hat der Irak seit dem Golfkrieg eine kohärente Politik verfolgt. Sie zielt darauf ab, die Arbeit der Unscom zu verzögern und zu blockieren. Und zwar in der Hoffnung, das System der Sanktionen werde zusammenbrechen, bevor das irakische Potential zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen voll aufgedeckt und zerstört sein würde beziehungsweise bevor das Regime sich dem internationalen Druck beugen muß. Im Rahmen dieser Strategie war Bagdad außerdem nach Kräften bemüht, die nach dem Golfkrieg aufgetretenen Differenzen zwischen den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates zu verschärfen. Denn der Zusammenbruch des Konsens im Sicherheitsrat eröffnet die Chance, die ökonomische und politische Isolierung des Irak zu überwinden.

Wenn diese Analyse der politischen Weltsicht und der strategischen Ziele Bagdads stimmt, läßt sich behaupten, daß die jüngste Militäraktion den langfristigen Absichten des Irak viel eher entspricht als den Interessen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Saddam Hussein hätte zwar die Luftangriffe zweifellos lieber vermieden – und zwar vor allem diejenigen, die direkt auf die Infrastruktur seines Militär- und Sicherheitsapparates zielten, mit deren Hilfe sich sein Regime an der Macht hält. Ein hinreichender Beleg für seine Prioritäten war die zweimal zuvor im Jahre 1998 demonstrierte Bereitschaft, angesichts drohender Militäraktionen klein beizugeben. Dennoch haben die anglo-amerikanischen Bombenangriffe ihr Ziel verfehlt. Sie haben keine Rebellion innerhalb des irakischen Militärs ausgelöst, und es ist auch keineswegs sicher, daß sie ihr erklärtes Ziel erreicht haben, die irakische Fähigkeit zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen deutlich „herabzusetzen“.

Auf der anderen Seite lieferten die Angriffe Saddam Hussein den perfekten Vorwand, die Unscom endgültig vor die Tür zu setzen. Mit ihrer Entscheidung, auf eigene Faust und ohne Rückendeckung der UN zu handeln, haben Washington und London dem Regime in Bagdad zudem einen wertvollen Verhandlungstrumpf verschafft, den es bei einer eventuellen neuen Vereinbarung über eine Rückkehr der Unscom voll ausspielen wird, um die Kompetenzen der Kommission zu schwächen.

Noch bedeutsamer ist vielleicht, daß die Militäraktion die Risse, die den UN-Sicherheitsrat in Sachen Irak spalten, über alle Zweifel sichtbar gemacht hat. Rußland und China haben ihre Kritik der Angriffe besonders deutlich artikuliert, wobei Moskau so weit ging, seine Botschafter aus den USA und aus Großbritannien zurückzurufen. Frankreich hielt sich zwar verbal zurück, ließ aber sein Mißfallen über die anglo- amerikanischen Luftangriffe ebenfalls sehr deutlich erkennen. Mit Sicherheit wird Bagdad versuchen, aus der fehlenden Einigkeit Kapital zu schlagen und seine Isolierung zu überwinden.

Wie sich die Situation langfristig entwickelt, wird weitgehend von der Politik der USA und Großbritanniens abhängen. Derzeit scheint man aber weder in Washington noch in London ein klares Konzept zu haben, außer daß man sich bemüht, Saddam Hussein „im Käfig zu halten“ (wie Tony Blair es formuliert hat) oder den Wunsch andeutet, in Bagdad ein anderes Regime – egal welches – an der Macht zu sehen.

Die US-Politik am Ende ihrer Möglichkeiten

DAS alles ist nichts Neues. Die USA wie Großbritannien heben immer wieder hervor, daß eine politische Lösung und die Aufhebung der Sanktionen unmöglich seien, solange Saddam Hussein an der Macht ist. Während diese Politik in der Vergangenheit allgemein in einer diplomatischen Sprache artikuliert wurde, die sich häufig auf die Resolutionen des UN- Sicherheitsrates berief, wurde sie im Laufe des letzten Jahres immer schroffer formuliert. Aber erst im Kontext der jüngsten Militäraktion verzichten die anglo-amerikanischen Absichtserklärungen auf alle diplomatischen Drapierungen. In gewisser Weise haben damit die Luftanggriffe vom Dezember bestätigt, was Bagdad schon die ganze Zeit behauptet hatte: Man führe einen existentiellen Kampf gegen unerbittliche Feinde, denen UN und Unscom als bequemer Deckmantel dienten und die niemals die Absicht hatten, die Aufhebung der Sanktionen zuzulassen – ganz egal, ob der Irak mit den Waffeninspektoren zusammenarbeitet oder nicht.

Angesichts dessen ist nicht damit zu rechnen, daß eine der beiden Seiten nachgeben wird. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien werden weiterhin versuchen, den Irak im Schwitzkasten zu halten, wobei sie demnächst durchaus wieder zu gewaltsamen Mitteln greifen könnten. Aber diese Politik hat ihre Möglichkeiten bereits ausgereizt. Zum einen haben sich die beiden Staaten über das Konsensprinzip im UN-Sicherheitsrat hinweggesetzt; zum anderen ist das irakische Regime auch durch Angriffsdrohungen kaum mehr einzuschüchtern, es sei denn, es hätte mit der Beteiligung von Bodentruppen zu rechnen.

Bagdad wiederum wird die gleiche Politik betreiben wie vor den Bombardierungen: Das Regime wird behaupten, daß es die Resolutionen des Sicherheitsrates erfüllt hat, und die Aufhebung der Sanktionen fordern. In dem unwahrscheinlichen Fall, daß die Unscom in den Irak zurückkehrt, kann sie kaum damit rechnen, daß sich die Iraker wesentlich anders als bisher verhalten werden. Bagdad verfolgt ganz bestimmte Endziele und hat ein bestimmtes Bild von der internationalen Gemeinschaft, die sich in ihren Augen weigert, den Irak in ihre Reihen aufzunehmen oder seine nationalen Sicherheitsbedürfnisse in Rechnung zu stellen. Solange dem so ist, wird man in Bagdad das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, wohl kaum überwinden. Und deshalb könnte schon morgen wieder eine weitere Vorstellung des irakischen Dramas auf dem Programm stehen.

dt. Niels Kadritzke

* Raad Alkadiri ist Nahost-Spezialist bei der Petroleum Finance Company in Washington DC. Der Beitrag gibt die persönlichen Einschätzungen des Autors wieder.

Le Monde diplomatique vom 15.01.1999, von RAAD ALKADIRI