09.07.1999

Science-fiction im Pentagon

zurück

Science-fiction im Pentagon

WÄHREND die neue „Star Wars“-Episode von George Lucas wie eine alles überschwemmende Flutwelle auf Europa zurollt, billigte das amerikanische Repräsentantenhaus, wie schon zuvor der Senat, eine Vorlage, die den Gedanken einer weltraumgestützten Raketenabwehr wiederbelebt. Die von Präsident Ronald Reagan Anfang der achtziger Jahre lancierte, als Star Wars apostrophierte Strategic Defense Initiative (SDI) sollte vom Weltraum aus das amerikanische Territorium gegen anfliegende russische Raketen abschirmen. Erdacht worden war das Unsummen verschlingende Projekt von Science-fiction-Autoren, die sich von ihm das Geld für die Eroberung des Weltraums versprachen.

Von NORMAN SPINRAD *

Michel Butor regte einmal an, die Weltgemeinde der Science-fiction-Autoren solle sich versammeln, um eine gemeinsame Sicht der Zunft zu erarbeiten; würden dann sämtliche Romane und Erzählungen in diesem gemeinsam festgelegten Rahmen spielen, werde diese Sicht zur Wirklichkeit. Wer diese Gemeinde kennt, weiß, daß der Vorschlag utopisch ist, denn ihre Mitglieder sind sich nur in einem einzigen Punkt einig, nämlich daß die ferne Zukunft der Menschheit die einer raumfahrenden Spezies sei, deren Zivilisation sich auf das ganze Sonnensystem ausbreiten werde.

Ganz ohne Macht ist diese Gemeinde freilich nicht. Lange Zeit rühmte sie sich, die visionäre Kraft hinter dem amerikanischen Raumfahrtprogramm zu sein, das 1959 nach dem Start des russischen Sputniks begonnen wurde und seinen Höhepunkt, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne, zehn Jahre später mit dem Apollo-Programm erreichte, als ein Amerikaner als erster den Fuß auf den Mond setzte.

Raumfahrt, Kolonisierung anderer Planeten oder schlicht Eroberung des Weltraums – der Ausdruck verrät die imperialistischen Grundzüge des Traums – standen von Anfang an im Zentrum der Ästhetik dieses Genres. Viele der Wissenschaftler und Techniker, die die Amerikaner auf den Mond brachten, und ein bedeutender Teil der Astronauten selbst waren von futuristischen Romanen beeinflußt.

Im Apollo-Programm sah die Science- fiction-Gemeinde eine triumphale Apotheose, den Anbruch eines Goldenen Zeitalters der Erforschung des Weltalls. Nachdem der Mensch 1969 den Mond betreten hatte, würden die siebziger Jahre bestimmt Expeditionen auf den Mars bringen, auch eine erste Mondkolonie und Vorstöße bis zu den Grenzen des Sonnensystems, ganz so, wie es Stanley Kubrick in seinem Film „2001: Odyssee im Weltraum“ dargestellt hatte.

Doch schon 1980 wurde klar, daß diese Vision nicht verwirklichbar war. Das Apollo-Programm stellte nicht den Anfang der Erkundung des Weltraums durch den Menschen dar, sondern seinen Zenit. Das Budget der National Aeronautics and Space Administration (Nasa) schrumpfte, und der Löwenanteil floß in das Spaceshuttle, das als Raumfähre lediglich Besatzungen auf eine Erdumlaufbahn bringt. Das Goldene Zeitalter des menschlichen Vordringens in den Weltraum war zu Ende. Die Mondlandung war nicht der erste Akt dieser Eroberung gewesen, sondern der letzte.

Genau zu diesem Zeitpunkt beschloß Dr. Jerry Pournelle, etwas zu tun. Der Science-fiction-Autor und ehemalige Vorsitzende der Science Fiction Writers of America hatte am amerikanischen Raumfahrtprogramm mitgearbeitet. Und er hatte an Wahlkampagnen, hauptsächlich der Republikaner, teilgenommen und bei seinen politischen Aktivitäten Richard Allen kennengelernt, der in der neuen Regierung von Präsident Reagan nationaler Sicherheitsberater werden sollte.

Im November 1980 gründete Jerry Pournelle ein Bürgerkomitee, das über die nationale Raumfahrtpolitik beriet. Zu den Mitbegründern gehörten sein Mitarbeiter Larry Niven, Science-fiction-Autoren wie Robert A. Heinlein und Paul Anderson, Wissenschaftler und Verantwortliche der Raumfahrtindustrie, der pensionierte General Daniel Graham, der Astronaut Buzz Aldrin und andere.

Äußerlich stellte sich die Organisation als Lobby von Privatpersonen dar, die sich bei der neuen republikanischen Regierung für die Schaffung eines visionären Programms von bemannten Raumflügen einsetzte. Sie entwickelte sich aber zu etwas Besonderem, das mehr und gleichzeitig weniger war. Über Jerry Pournelle unterstand das Komitee direkt Richard Allen und verfertigte Berichte für die provisorische Übergangsregierung. Sie tat dies auch noch, als Richard Allen Sicherheitsberater wurde, und verfügte dadurch über direkte Kanäle bis zu den höchsten Ebenen der Regierung von Ronald Reagan, der im Januar 1981 sein Amt antrat.

Ich war damals Vorsitzender der Science Fiction Writers Association. Obwohl ich sein Nachfolger war, lud Jerry Pournelle mich nie ein, seinem Komitee beizutreten, dafür war meine Abneigung gegen Präsident Reagan und seine Leute zu bekannt. Doch war ich mit Jerry Pournelle befreundet, und wir diskutierten häufig und offen über alle diese Probleme. Während der Übergangsperiode – die Zeit zwischen der Wahl des Präsidenten und seinem Amtsantritt – zirkulierten Gerüchte, wonach Jerry Pournelle Nasa-Chef werden würde. „Ich will nicht“, vertraute er mir grinsend an, „da gibt es bessere Posten mit mehr Macht.“ Das war nur halb im Spaß gemeint.

Jerry Pournelle gehörte, wie die meisten Science-fiction-Autoren, ganz gleich, ob sie eher links oder rechts standen, zu den Verfechtern eines großangelegten Programms bemannter Weltraumflüge. Zahlreiche Lobbys versuchten auf naiv- idealistischer Basis, die Reagan-Administration zur Auflage eines solchen Programms zu bewegen. Doch Jerry Pournelle war ein geschickter, politisch erfahrener Mann; er hatte direkten Zugang zum Nationalen Sicherheitsrat (NSC), und seine Strategie war eher machiavellistisch. Er wußte, daß die Nasa nie die nötigen Mittel erhalten würde, um in großem Maßstab bemannte Raumflüge durchzuführen. Der größte Teil der Gelder mußte aus dem Pentagon kommen, dessen Budget dreißigmal höher war als das der Nasa und das auch über wesentlich mehr Einfluß verfügte, wenn es um Kreditzusagen des Kongresses ging. Auf welchem Wege konnte er die Herren des Pentagons für seine Ziele gewinnen? Wie konnte er sie dazu bewegen, sich für ein solches Programm einzusetzen? Jerry Pournelle fand die Antwort: Die Vereinigten Staaten mußten vor den sowjetischen Atomraketen geschützt werden!

Das erklärt die Zusammensetzung des beratenden Bürgerkomitees: Science-fiction-Autoren für die „Vision“; pensionierte Militärs, die im Pentagon Gehör fanden, und Vertreter der Weltraumindustrie, die ein persönliches wirtschaftliches Interesse daran hatten, daß ein möglichst dickes Budget heraussprang.

Seine erklärte Strategie bestand darin, die Reagan-Administration von der technischen Machbarkeit eines Abwehrsystems zu überzeugen, welches feindliche Raketen im Anflug zerstören und damit die Vereinigten Staaten gegen nukleare Angriffe praktisch unverwundbar machen würde. Er hatte relativ leichtes Spiel. Die Reagan-Administration erhöhte ohnehin die Militärausgaben in geradezu märchenhaftem Ausmaß, die Raumfahrtindustrie war hoch erfreut, ihren Einfluß geltend machen zu können, um massenweise Geld einzuheimsen, die Militärs liebten hochentwickelte Spielzeuge, das strategische Wunschbild war unendlich verlockend, und Präsident Reagan konnte schlecht unterscheiden zwischen Kino und Realität, zwischen George Lucas' „Star Wars“ und der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI), die man danach benannte.

Und tatsächlich, als Ronald Reagan in seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation die Existenz des SDI enthüllte, stammte die entsprechende Passage aus der Feder von Jerry Pournelle, der den mit Metaphern aus der theoretischen Physik sonst wenig vertrauten Präsidenten sogar von einem „Quantensprung“ reden ließ.

Der Traum vom Leben im Raum

DIE insgeheime Strategie des Komitees lief darauf hinaus, das Pentagon mit dem Sternenkriegprogramm zu ködern und es dann zu veranlassen, ein umfassendes Programm bemannter Raumflüge zu finanzieren. Jerry Pournelle und die Science-fiction-Autoren glaubten, daß ein solches System im Raum stationiert sein müsse. Sie träumten von Orbital-Lasern, von im Raum stationierten Abfangraketen, die Interkontinentalgeschosse in der Abschußphase abzufangen vermöchten. Sie phantasierten von Neutronenbomben auf dem Orbit. Das Ganze erforderte, ebenfalls auf der Erdumlaufbahn, Ortungs- und Überwachungssysteme mit entsprechenden Befehlsständen und natürlich vor allem Besatzungen.

So sollten die Militärs Orbital-Stationen bauen, die permanent von Dutzenden, ja Hunderten Personen besetzt wären. Weshalb sie auch Logistiksysteme zu finanzieren hätten, mit denen sich dieses ganze Personal samt Nachschub in den Weltraum befördern ließe. Unversehens hätte so das Pentagon die notwendige Infrastruktur für das Goldene Zeitalter der Raumfahrt finanziert: Raumstationen, leistungsfähigere Raumfähren, Lastentransporter, „Schlepper“, „Jeeps“ und orbitale Treibstofflager.

Jeder Science-fiction-Autor weiß, daß von den Energie-, und das heißt von den finanziellen Kosten her das größte Hindernis für eine Reise im All die allererste Phase ist: Material, Vorräte, Treibstoff und Besatzung müssen, um sie auf die Umlaufbahn zu bringen, ihrer Schwerkraft entrissen werden. Ist das einmal erreicht, kann man mit relativ niedrigem Energie- und Kostenaufwand den Mond, den Mars oder sogar entferntere Planeten erreichen.

Doch diese Vision entstammte eben der Science-fiction. „Glauben Sie“, fragte ich Jerry Pournelle, „daß Sie das Pentagon einwickeln und es dazu bringen können, aus dem Verteidigungsbudget ein ziviles Programm der bemannten Raumfahrt zu finanzieren?“ Für mich war dies politische Phantasterei, und ich versuchte ihm dies zu erklären. „Das klappt nie. Weder Sie noch jemand anderes wird die Militärs übertölpeln können, wenn es um ihre Budgetspiele mit dem Kongreß geht. Darin sind die Meister. Die kassieren Sie mit links. Eine Finanzierung durch das Pentagon, die das Budget der Nasa vergrößern würde, für die Serienfertigung der Raumfähre etwa oder für ein verbessertes Modell, das werden Sie nie erreichen. Im Endeffekt werden die Militärs nicht das Nasa-Budget subventionieren, sondern das Shuttle-Programm militarisieren, und die Nasa wird es bezahlen.“

So ungefähr kam es auch. In den ersten Jahren des Betriebs der Raumfähre haben die Militärs einige Missionen vollständig für sich beansprucht, andere zum Teil. Auf dem Höhepunkt der SDI-Ausgabenorgie hat sich die Raumfahrtindustrie dank des Einflusses des Pentagons im Kongreß den Bauch mit öffentlichen Mitteln vollgeschlagen und Milliarden Dollars kassiert für Abfangraketen, die nichts abfingen, und für Antiraketen-Laser, die ihr Ziel nicht vernichteten, sowie für eine nie erfaßte und vielleicht auch nie erfaßbare Zahl von unsinnigen „Studien“.

Man kann sich kaum vorstellen, welche Blüten dieser Irrsinn trieb. Auf dem Höhepunkt des Wahns war ich auf einem von der Raumfahrtindustrie gegebenen Empfang in Vandenburg, Kalifornien, dem künftigen „Spaceport West“, der dann nie gebaut wurde. Es waren viele Wissenschaftler und Techniker da, die über ihre Vorschläge für das SDI-Programm diskutierten. Ich beschloß, mir einen wissenschaftlichen Witz zu erlauben. Ich sprach vom „Tachyon“, einem theoretischen Element, das schneller als das Licht ist und sich deshalb in der Zeit nicht vorwärts, sondern rückwärts bewegt. Ich brauche nicht eigens zu betonen – aus dem zeitlichen Abstand müßte ich es vielleicht doch –, daß ein solches Element weder jemals entdeckt noch erzeugt wurde, es war ein Phantasieobjekt. „Warum nicht eine Waffe bauen, die einen gebündelten Tachyon-Strahl abschießt?“ schlug ich vor. „Man ortet die feindlichen Raketen in der Startphase und schickt sie auf die Rampe zurück, noch bevor sie abheben.“ Zu meiner großen Überraschung brach niemand in Gelächter aus. Ein Wissenschaftler geriet gleich ins Träumen: „Da ließe sich wahrscheinlich eine halbe Million für eine Studie loseisen.“

Zwei Jahrzehnte und 40 Milliarden Dollar danach gibt es immer noch keine Raketenabwehr, obwohl dank der Trägheit der Bürokratie, der Budgetmacht des Pentagons und des wirtschaftspolitischen Realitätssinns der Raumfahrtindustrie die SDI-Programme auf kleinerem Feuer weiterköcheln, auch nach dem Verschwinden der Sowjetunion.

Die vier mittlerweile betagten Raumfähren sind nach wir vor die einzigen amerikanischen Orbitaltransporter. Den Mond hat man nie wieder betreten. Eine Expedition zum Mars hat nicht stattgefunden. Und es gibt keine einzige bemannte amerikanische Raumstation, zu der die Raumfähre pendeln könnte. Zwar fließt der größte Teil des Nasa-Budgets in die Entwicklung einer solchen Station, die mindestens 50 Milliarden Dollar kosten wird, doch wird sie höchstens sieben Personen aufnehmen können und nie für Forschungsreisen in das Sonnensystem dienen. Was die russische Mir, die zehnmal weniger gekostet hat, schon vor zehn Jahren konnte.

Warum die Nasa dies tue, fragte ich einen Verantwortlichen des Programms. Weil die Nasa (er meinte die Raumfahrtindustrie) eine „kapitalintensive Raumstation“ wolle, antwortete er, das heißt, eine sehr kostspielige.

Kurz nach dem Zusammenbrechen der Sowjetunion erklärten Jerry Pournelle und Larry Niven in Amerika im Fernsehen, sie hätten das „Reich des Bösen“ vernichtet, indem sie es in einen Rüstungswettlauf im Weltraum hineingezogen hätten, den es nicht gewinnen konnte und der es wirtschaftlich geschwächt habe. Mag sein. Der „Krieg der Sterne“ hat aber schließlich auch das amerikanische Raumfahrtprogramm geschwächt. Das SDI-Programm hat 40 Milliarden Dollar, die für eine Mars-Mission und für eine Basis auf dem Mond hätten verwendet werden können, umgepolt und ins intergalaktische Nichts geschleudert. Noch schwerer wiegt, daß das amerikanische Raumfahrtprogramm praktisch auf seine militärische Dimension reduziert wurde, was dem von Jerry Pournelle in aller Ehrlichkeit verfolgten Zweck entgegenläuft. Seinem visionären Ziel hat man sich nie auch nur angenähert. Das Goldene Zeitalter der bemannten Raumfahrt ist entfernter als im Jahre 1969. Und es gibt anscheinend immer weniger Leute, die das schmerzt.

dt. Josef Winiger

* Amerikanischer Science-fiction-Autor, lebt in Paris. Auf deutsch liegen u.a. vor: „Der stählerne Traum“, „Deus X“, „Champion Jack Barron“, München (Heyne) 1991, 1997 bzw. 1998. E-Mail: 100410. 603@compuserve.com

Le Monde diplomatique vom 09.07.1999, von NORMAN SPINRAD